Missglückte Experimente

Kristina Stanek überzeugt gesanglich und schauspielerisch als Ronnie in "The Fly". Foto: Marco Piecuch/Theater TrierEs ist gut und wichtig, dass das Trierer Theater trotz Erfolgs-, also wirtschaftlichem Druck, Experimente wagt. Mit Howard Shores Oper „The Fly“, einer Adaptation des gleichnamigen Horrorfilms von David Cronenberg, hat es sich jedoch ein Stück ausgesucht, das bereits bei der Uraufführung 2008 in Paris und bei der US-Premiere wenige Monate später in Los Angeles keine Euphorie verursachte und auch keine weiteren Inszenierungen nach sich zog. Warum entschied man sich in Trier, das Werk trotzdem in den Spielplan aufzunehmen? Glaubte man, dass das Trierer Orchester mehr aus der Komposition herausholen könnte als das des Théâtre du Châtelet und der Los Angeles Opera? Oder dass der Regisseur Sebastian Welker einen besseren Ansatz finden würde als Cronenberg, der auch bei diesem Werk die Regie übernommen hatte? Oder war es zu verlockend, das Stück als Erster in Deutschland aufzuführen? Mit „The Fly“, das am vergangenen Samstag im gut gefüllten Großen Haus Premiere hatte, wird das Trierer Theater jedenfalls nicht in die deutsche Aufführungsgeschichte eingehen. Selbst die herausragende Kristina Stanek kann das Stück nicht retten.

TRIER. Der Forscher Seth Brundle hat eine Maschine entwickelt, mit der er Gegenstände von einem Ort zum anderen versetzen kann. Nur mit Lebewesen funktioniert die Teleportation noch nicht. Seine Erfindung stellt er der Wissenschaftsjournalistin Veronica Quaife vor, die er bei einer Preisverleihung kennengelernt hat. Schnell funkt es zwischen den beiden. Als es Seth schließlich doch gelingt, ein lebendiges Wesen zu teleportieren, will er dies mit Ronnie feiern, doch die hat sich mit ihrem Chef und Ex-Freund Stathis Borans verabredet, um ein klärendes Gespräch zu führen. Seth betrinkt sich und betritt selbst seinen „Telepod“. In das Gerät ist jedoch auch eine Fliege geraten, die nun unaufhaltsam seine Gene durcheinanderbringt.

Die Geschichte wird als Rückblende erzählt. Als Silvie Offenbeck als Polizistin, die Veronica (Kristina Stanek) verhört, zu singen beginnt, glaubt man, die eigenen Ohren wären noch von der abklingenden Erkältung verstopft. Nicht viel anders ergeht es einem bei Alexander Trauth als Seth Brundle, der sich insgesamt schwertut mit seiner Rolle, im Laufe des Stücks aber zumindest lauter wird.

Kristina Stanek hat jedoch schon zuvor bewiesen, dass die schlechte Verständlichkeit nicht an einem beeinträchtigten Gehör liegt. Die Mezzosopranistin, die ihre schwierige, über ihre Stimmlage hinausgehende Partie vorzüglich meistert, ist eine der Wenigen, bei der man nicht ständig auf die Übertitel schauen muss, um etwas zu verstehen. Leider kommt es in „The Fly“ in hohem Maße auf die Verständlichkeit an, da die Handlung von den Sängern und dem Chor oft nur beschrieben wird.

Sebastian Welker reduziert das sichtbare Geschehen noch weiter. Entweder wollte der 30-Jährige auf Effekte wie die zunächst miss- und dann geglückte Teleportation eines Lebewesens sowie die Verwandlung Seths verzichten, weil er die Beziehung zwischen dem Wissenschaftler und Ronnie in den Vordergrund rücken wollte – und nicht den Technikaspekt -, oder er musste darauf verzichten, weil deren Umsetzung aus Kosten- oder technischen Gründen nicht möglich war.

Denkbar wäre auch, dass der Regisseur die Handlung raffen wollte. Allerdings hätte er dabei nicht die Sexszene oder die Entdeckung der Insektenhaare auf Seths Rücken nehmen dürfen, die für die Darstellung der Verwandlungsfolgen wichtig sind. Gegen eine Raffung spricht, dass Welker die überflüssige, langatmige und kitschige Kneipenszene dringelassen hat, in der der bereits mutierende Seth beim Armdrücken die Freundin des Unterlegenen als menschliches Versuchskaninchen „gewinnt“.

Trotz der Fokussierung auf das Liebesdrama berührt die Beziehung der beiden Protagonisten kaum – ihr fehlt die Glaubwürdigkeit. Dies liegt vor allem an der eindimensionalen, schwerfälligen Darstellung der Hauptfigur. Alexander Trauths Seth ist kein charismatischer, dem Wahnsinn verfallender Wissenschaftler, sondern ein schwermütiger Nerd.

Oberflächlich bleibt auch das Beziehungsgeschichte zwischen Ronnie und Stathis, die schon im Original schlecht entwickelt war, im Film aber einen besonderen Reiz ausmacht, weil sich der Ex-Freund vom unsympathischen Störenfried zum passablen Helden wandelt. Diese Chance wird Luis Lay, der einen vielversprechenden Auftritt als Stathis hat, leider nicht gegeben.

Die düstere Musik schafft es nur selten, die – auch wegen des sperrigen Librettos – fehlenden Emotionen auf der Bühne zu kompensieren. Das liegt nicht an der guten Umsetzung der Partitur durch das Orchester (Leitung von Joongbae Jee), sondern daran, dass bis auf die Ouvertüren zu den beiden Akten und dem Liebesduett wenig ins Hör- beziehungsweise Gefühlszentrum geht.

Für Dramatik könnte und sollte ursprünglich auch der Chor sorgen. Obwohl er in der Trierer Inszenierung stärker in Erscheinung tritt – besonders als sichtbares Innenleben der „Telepods“ – , geht von ihm wenig Bedrohlichkeit aus.

Seth (Alexander Trauth) nach seiner Verwandlung (Haare offen). Foto: Marco Piecuch/Theater TrierLetztendlich erweist sich der Verzicht auf Spezialeffekte und ein wirkungsvolleres Bühnenbild als weiteres Manko der Trierer Inszenierung. Dabei wäre der Aufwand nicht groß gewesen: Zwei voneinander entfernt stehende Boxen, die unter der Bühne zu erreichen sind – fertig.

Die „Telepods“ von Gerd Hoffmann und Arlette Schwanenberg bestehen jedoch aus einem Stück, sehen aus wie eine Mischung aus einem U-Bahn-Waggon und einem Castorbehälter, sind größer als eine Studentenwohnung und muten qualitativ wie eine Rakete aus einer Schulaufführung an. Es wurde kein großer Wert darauf gelegt, die Illusion einer Teleportation zu vermitteln. Trauth steigt auf der linken Seite ein und geht – mehr oder weniger erkennbar – auf die rechte. Und die New York Times kritisierte an der Premiere in Los Angeles, dass ein Akrobat, der mit Kunststücken Seths neue Beweglichkeit darstellen sollte, die Bühne rechts verließ und der eigentliche Darsteller sie links wieder betrat, sodass es offensichtlich gewesen sei, dass dieser ein Double hatte… In Trier gibt es nicht einmal ein Double.

Für Seths Verwandlung in etwas Fliegenartiges hat man sich für einen unglücklichen Kompromiss entschieden: In ein paar Sätzen beschreibt der Chor die Veränderungen über mehrere Monate. Anstatt dass man die Besucher nun auch über sein Aussehen im letzten Stadium der Verwandlung im Unklaren und einen gebückten oder kriechenden Trauth einfach unter einem schmuddeligen Laken verschwinden lässt, wählte man ein Maske, mit der er wie die ältere Protagonistin aus „Hänsel und Gretel“ erscheint.

Man möchte die Inszenierung gerne unter anderem mit einer besseren Vorlage durch die „Telepods“ schicken, auf dass beide zu etwas Bewegenderem fusionierten. Aber das ist leider Zukunftsmusik.

Die nächsten drei Aufführungen: Freitag, 24. Januar, 20 Uhr; Sonntag, 2. Februar, 19.30 Uhr; Dienstag, 4. Februar, 20 Uhr.

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