Mehr Haltung, bitte

Am Theater Trier hat sich Regisseur Steffen Popp Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“ vorgenommen. Der Regisseur inszeniert die Komödie von 1962 betont zeitlos und verweist nur unwesentlich auf die Perspektiven, die das Stück nach heutiger Lektüre zu eröffnen vermag. Zur Premiere am vergangenen Samstag gab es ein ausverkauftes Großes Haus und langen Applaus für eine Inszenierung, die vor allem mit Schauspielern und Ausstattung zu überzeugen vermag.

TRIER. „Dürrenmatt, Die Physiker“. Je nach Generation weckte diese Ankündigung lange Zeit entweder die Erinnerung an langwierig zerfaserte Interpretationsstunden im Deutschunterricht oder an die Jahrzehnte währende Dauerpräsenz in den Spielplänen deutschsprachiger Theaterhäuser. Erst seit wenigen Jahren schimmert die Komödie zunehmend auch in anderem Lichte: Die Diskussion über Risiken der Kernenergie, die zunehmend realistische Sorge um einen atomaren Erstschlag, aber auch die Fragen nach den Schnittstellen von Technik und Gesellschaft, die unsere Gegenwart sich dringender stellen muss als noch andere Generationen – das Jahr 2012 drängt geradewegs dazu auf, die Physiker als Zeitgeistlektüre neu zu entdecken. Denn die Ethik der Forschung, deren Mangel Dürrenmatt 1962 so eindringlich in Schrift gebannt hat, sie steht auch heute noch aus.

Regisseur Steffen Popp hat sich allerdings nicht dazu entschieden, die Thematik bedingungslos für die Gegenwart zu adaptieren und bemüht sich stattdessen um zeitlose Gültigkeit seiner Inszenierung. Die Kostüme (Claudia Caséra), die sich unaufdringlich im Sechzigerjahre-Schick bewegen, sind die einzige Reminiszenz an die Entstehungszeit des Stückes. In Ausstattungsdetails blitzt hier und da, in einem Handy oder einem USB-Kabel, die Gegenwart auf. Die Handlung ist aus den muffigen Anstaltszimmern des Sanatoriums nach draußen verlegt, in die imaginierte frische Luft auf grünem Schweizer Rasen (Bühnenbild: Susanne Weibler). Eine Parkbank, klassische Liegewiesenausstattung und Badewanne, dazu einige Requisiten, an denen die Schwachsinnigen ihren Verirrtheit demonstrieren dürfen (Federball, Ballon, Seifenblasenpistole).

Eröffnet wird die Szenerie als Tatort, mit einer frischen Frauenleiche auf dem saftig-grünen Gras. Dazwischen stolpert, als das Sinnbild des orientierungslosen Kriminalinspektors mit Hut, Sonnenbrille und Kippe im Mund, der ermittelnde Richard Voß (Christian Miedreich) und versucht, die Vorgänge mit seinem Empfinden von der Ordnung der Dinge in Einklang zu bringen. „Mörder“, sagt er. „Kranke Menschen“, korrigiert ihn Irrenärztin Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd (Barbara Ullmann).

Drei Patienten sind die einzigen Insassen im Sanatorium „Les Cerisiers“: Die Physiker Einstein (Klaus Michael Nix), Newton (Peter Singer) – oder zumindest, wer vorgibt, sich dafür zu halten – sowie der geniale Forscher Johann Wilhelm Möbius (Michael Ophelders), der darauf beharrt, dass ihm der König Salomo erscheine. Im Verlauf der Ermittlungen von Voß entpuppen sich die drei Patienten als alles andere als geistig umnachtet: Möbius ist in Besitz der Weltformel und spielt die Rolle des Verrückten, um die Menschheit vor den potentiell verheerenden Konsequenzen seiner Erkenntnisse zu schützen. Seine Mitinsassen sind Spione, entsandt von konkurrierenden Geheimdiensten, um Möbius für die jeweilige Sache zu gewinnen. Die Arbeitsbedingungen als Wissenschaftler genügen allerdings in beiden Fällen nicht seinem Anspruch an wissenschaftliche Ethik, so dass der lebenslange Verbleib aller drei Wissenschaftler im Sanatorium die einzig verbleibende Möglichkeit zur Wahrung der Menschheit ist.

Eine Situation, die den Geist des Kalten Krieges atmet. Das Verhältnis von Macht und Wissenschaft stellt sich jedoch nicht als systemisch lösbare Frage dar, sondern als ein Dilemma, das der kluge Möbius natürlich als solches erkennt, gleichsam aber den fatalen Fehler begeht, ihm im Alleingang zu begegnen. Als zum Ende hin die Protagonisten ganz bildlich den Boden unter den Füßen verlieren, scheint die Erkenntnis auch für seine tragische Figur auf: Sekundenschnelle Zerstörung im Alleingang funktioniert seit Menschengedenken; ihre Verhinderung nicht, wie er durch sein Scheitern erfahren muss.

Dieser im Stück angelegte Aufruf zum gemeinsamen Aufbegehren gegen die zerstörerischen Kräfte, die an der wissenschaftlichen Erkenntnis zerren und sie für sich vereinnahmen wollen, schimmert allenfalls schwach in dieser Inszenierung. Man hätte sich gewünscht, dass eine – wie auch immer geartete Erkenntnis – stärker herausgearbeitet worden wäre, dass die Inszenierung etwas über die Beschäftigung des Ensembles mit der Thematik verriete. So verlaufen viele der relevanten und wichtigen Anknüpfungspunkte zwischen großen Effekten und regen Bühnentreiben im Sande. Was schade ist, denn selbst in den schwächsten Momenten schwingt die ethische, politische und erkenntnistheoeretische Reichhaltigkeit mit, die sich in den Physikern verbirgt. Dass man die Konfrontation mit der eigenen Zeit scheut, lässt den Abend hart an der Grenze zur Beliebigkeit kratzen. Dieser Inszenierung, der es schauspielerisch und ästhetisch an nichts fehlt, man hätte ihr einzig ein wenig mehr Mut zur Haltung gewünscht.

Weitere Aufführungen im März: Dienstag, 6. März, 20 Uhr; Freitag, 9. März, 20 Uhr; Freitag, 16. März, 20 Uhr; Samstag, 17. März, 19.30 Uhr; Mittwoch, 21. März, 20 Uhr; Sonntag, 25. März, 19.30 Uhr; Samstag, 31. März, 19.30 Uhr.

Gastspiele im Theatre Esch-sur-Alzette: Dienstag, 13. März, 20 Uhr und Mittwoch 14. März, 10 und 20 Uhr.

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