„Orte suchen, an denen man sich zurückziehen kann“

"Es ist wirklich schwierig, in Trier noch einen Ort zu finden, wo es still ist", sagt die Hörgeräte-Akustikerin Laura Hamm. Foto: Malte LegenhausenVielleicht ist es kein Zufall, dass der „Tag gegen Lärm“, der heute zum 17. Mal in Deutschland stattfindet, direkt vor einem Feiertag liegt, an dem man sich einmal Ruhe gönnen kann. Der Tag, der in diesem Jahr unter dem Motto „Die Ruhe weg“ steht, dient dazu, die Öffentlichkeit verstärkt über Lärm und seine Ursachen sowie dessen Auswirkungen zu informieren. 16vor sprach mit der Trierer Hörgeräte-Akustikerin Laura Hamm (28) darüber, warum es besonders wichtig ist, sich stille Momente zu gönnen und welche Folgen die ständige Geräuschkulisse um uns herum für unser Gehör hat.

16vor: Frau Hamm, Ihr Arbeitgeber „Geers Hörakustik“ hat zum „Tag gegen Lärm“ gesagt, dass auch in Trier die Verlärmung der Umwelt stetig zunehme. Was schließt das ein?

Laura Hamm: Hauptsächlich verantwortlich dafür ist der Verkehr. Das merkt man schon, wenn man sich hier draußen auf die Kreuzung stellt. Die Fußgängerzone in Trier ist wenig befahren, aber es sind viele Menschen unterwegs. Es ist wirklich schwierig, in Trier noch einen Ort zu finden, an dem man sagt: Okay, hier hat man mal Stille! Die Augen kann man schließen, aber die Ohren nicht. Es ist eine permanente Beeinflussung.

16vor: Jetzt gibt es aber doch Menschen, die an Hauptverkehrsstraßen oder Zuggleisen wohnen. Irgendwann gewöhnt man sich doch an die ständige Geräuschkulisse.

Hamm: Das ist noch gravierender, weil man sich daran gewöhnt. Man nimmt es nicht mehr wahr, aber das Ohr wird trotzdem geschädigt – und irgendwann kriegt man die Quittung dafür.

16vor: Und wie sieht die aus?

Hamm: Man hört erst die hohen Töne immer schlechter und irgendwann merkt man, dass das Verstehen nachlässt. Man hört, dass jemand spricht, aber was derjenige sagt, versteht man nicht mehr.

Häufig ist das bei Menschen, die im Lärm arbeiten, sprich: in großen Fabriken, auf dem Bau – die benutzen dann keinen Gehörschutz, weil man sich ja auch noch mit dem Kollegen unterhalten will. Und es passiert ja auch nichts, wenn man mit dem Presslufthammer gearbeitet hat, außer dass man abends mal ein Piepen im Ohr hat, aber das geht ja auch wieder weg … Und dann kommen die Leute so mit fünfundvierzig, fünfzig zu uns und sagen: „Also irgendwie stimmt was mit meinem Ohr nicht.“

16vor: Was genau passiert ihm Ohr, wenn es lauten Geräuschen ausgesetzt ist?

Hamm: Das Innenohr ist wie eine Schnecke aufgebaut und in dieser Schnecke sind Haarsinneszellen. Die Haarsinneszellen für die Aufnahme der hohen Töne liegen an der Basis dieser Schnecke, das heißt, alles was ins Ohr reingeht, fegt erst mal über diese Haarsinneszellen für die hohen Töne hinweg. Dadurch sind diese als erstes betroffen. Erst später in der Schneckenspitze kommen die Haarsinnesszellen für die tiefen Töne. Wenn sie ständig belastet werden, knicken sie ab – und sind dann nicht wieder reproduzierbar, sie erholen sich nicht mehr. Man kann dann nur versuchen, mit einem Hörgerät die Nachbarzellen anzuregen.

16vor: Was können wir tun, um dem Lärm im Alltag zu entfliehen?

Hamm: Das ist schwierig. Man sollte sich einfach ab und zu mal seiner Umgebung bewusst werden. Vielleicht einfach mal ruhig ins Wohnzimmer setzen und mal hören: Was höre ich? Wie laut ist es tatsächlich bei mir im Wohnzimmer? Eben, um dieser Gewöhnung vorzubeugen. Was immer sinnvoll ist, wenn man auf Konzerte geht oder in laute Umgebung: Gehörschutz tragen – auch, wenn es vielleicht ein bisschen uncool ist, vielleicht gerade für die Jüngeren. Aber wie gesagt, man kriegt die Quittung später.

Man sollte seinem Ohr ab und zu mal ein bisschen Ruhe gönnen und sagen: „Okay, ich setzte mich jetzt nicht neben eine Baustelle und lese da mein Buch, sondern dann eher in den Park.“ Am Tag zehn Minuten oder eine halbe Stunde, würden schon viel ausmachen. Aber der zeitliche Aspekt spielt natürlich auch eine Rolle – wer hat wirklich Zeit, sich irgendwo hinzusetzen, um das Gehör zu schonen!? Wenn ich Zeit habe, mich in den Wald zu setzen, entspannt das sicherlich nicht nur das Gehör.

16vor: Gegen den störenden Straßenverkehr kann ich aber dann trotzdem nichts tun.

Hamm: Nein. Außer man würde immer einen Gehörschutz tragen, aber das ist auch unangenehm. Worauf man auch noch achten sollte, ist, Musik nicht allzu laut über Kopfhörer zu hören. Klar, laute Musik ist immer cooler als leise, aber man sollte das zurückschrauben, wenn es geht.

Man sollte versuchen, sich Orte zu suchen, an denen man sich auch mal zurückziehen kann. Und natürlich auch auf den eigenen Körper hören. Man merkt selber am ehesten, wenn man gestresst ist und sich einfach zurückziehen sollte.

16vor: Ist ein „Tag gegen Lärm“ nachhaltig effektiv, um ein Bewusstsein bei den Menschen zu schaffen?

Hamm: Ich glaube, dass Lärm ganz häufig unterschätzt wird. Ich bin froh, dass wir den „Tag gegen den Lärm haben, um überhaupt ansatzweise ein Bewusstsein dafür zu schaffen. Aber letztendlich reicht ein Tag nicht aus. Es gibt so viele verschiedene Tage für alle möglichen Dinge und ich glaube, das geht dann tatsächlich schnell unter. Man müsste noch mehr Bewusstsein schaffen, dass Lärm einfach schädigend ist. Nicht nur gehörschädigend, es kann ja auch psychische Auswirkungen haben wie Schlaflosigkeit.

16vor: Heißt das, wir sollten alle am Besten sofort einen Hörtest machen?

Hamm: Nein. Aber man sollte, wenn man merkt, dass irgendwas nicht stimmt – und sei es einfach nur ein Tinnitus, der eine Stunde anhält und nicht weggeht – möglichst schnell einen Arzt aufsuchen. Oder wenn man merkt, dass man häufiger nachfragen muss als andere. Wenn sie selber merken, da stimmt was nicht oder darauf angesprochen werden, warten ganz viele Leute noch fünf Jahre, bis sie tatsächlich was machen. Je früher, desto besser.

16vor: Beim Busfahren oder Laufen durch die Stadt fällt auf, dass ganz viele Leute Kopfhörer in den Ohren haben. Kann es sein, dass gerade junge Menschen Stille gar nicht mehr gut aushalten?

Hamm: Ich glaube, das ist ein ganz großes Thema. Es fängt damit an, dass man erst mal den Fernseher oder die Musikanlage anmacht, wenn man allein zu Hause ist. Man muss das auch ein Stück weit trainieren, einfach mal zu sagen: „Nein, ich mache jetzt mal absolute Ruhe!“

16vor: Wie können Menschen dafür sensibilisiert werden, sich so zu verhalten?

Hamm: Durch den „Tag gegen Lärm“. (lacht) Es ist schwierig, denn das Thema „Hören“ oder auch „Nicht hören können“ ist immer noch sehr negativ belegt. Heutzutage ist es kein Problem mehr, wenn jemand eine Brille trägt. Aber wenn jemand Hörgeräte trägt, wird er doch komisch angeguckt. Die Hemmschwelle ist einfach größer, zum Akustiker zu gehen als zum Optiker.

Das Problem ist auch: Wenn ich auf eine heiße Herdplatte fasse, bekomme ich die Quittung sofort. Wenn ich mein Gehör schädige, dann dauert das mal zehn bis zwanzig Jahre, bis wirklich Auswirkungen da sind.

Wir haben mal Gehörschutze hier auf der Straße verteilt, aber die Menschen haben eher einen Bogen um uns gemacht. Diejenigen, die sich dafür interessiert haben, hatten meist selbst Hörgeräte.

16vor: Gibt es in Trier noch Orte der Stille, an denen Ruhe vorherrscht?

Hamm: Ich wohne relativ ruhig, deswegen ist es für mich mein Wohnzimmer. Ein bisschen außerhalb kann man sich auch noch wunderbar an die Mosel setzen – aber da muss man auch gucken, dass man nicht direkt am Fahrradweg sitzt. Der Nells Park ist auch nicht mehr wirklich ein Rückzugsort, dafür ist da auch zu viel los. Es ist wirklich schwierig in Trier geworden, weil viel touristisch erschlossen ist.

Meine Chefin und ich gehen ganz gerne auf den Hauptfriedhof. Gerade wenn im Laden viel los ist, gehen wir in der Mittagspause auf den Friedhof, setzen uns dahin und lesen einfach mal ein Buch.

Weitere Informationen finden Sie hier.

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