Wolfram Leibe gelingt die Sensation

JensenLeibekleinEs war ein Wahlkrimi, wie ihn das Rathaus der Moselstadt noch nicht erlebte: Mit einem Vorsprung von nur 111 Stimmen hat der Sozialdemokrat Wolfram Leibe am Sonntag die Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters für sich entschieden. Erst die Auszählung der Briefwahl-Stimmen verschaffte ihm den hauchdünnen Vorsprung. Für Mitbewerberin Hiltrud Zock und die CDU geriet der zweite Wahlgang zu einem Debakel. Denn verglichen mit ihrem Ergebnis im ersten Wahlgang konnte die PR-Unternehmerin lediglich 129 Stimmen hinzugewinnen. Leibe hingegen legte um mehr als 2.800 Stimmen zu. Der zweite SPD-OB in der Geschichte der Stadt ließ seinen Tränen freien Lauf, als um 19.07 Uhr das Ergebnis feststand. Marcus Stölb berichtet von einem Wahlabend, wie er spannender nicht hätte sein können.

TRIER. „So etwas hat die Welt noch nicht gesehen“, sagt ein sichtlich angespannter Chef des städtischen Presseamts. Die Welt vielleicht schon, aber die Stadt Trier noch nicht. Kurz nach Schließung der Wahllokale beginnt am Sonntagabend ein regelrechter Zwischenergebnisse-Krimi. Hoffen und Bangen wechseln sich ab, je nach Präferenz des Betrachters; und man wollte nicht in der Haut derjenigen stecken, deren berufliches Schicksal sich innerhalb einer guten Stunde entscheiden würde. Liegt Wolfram Leibe anfangs schier unglaubliche 17 Prozentpunkte vorn, schmilzt dieser Vorsprung mit jedem weiteren ausgezählten Stimmbezirk. Um 18.23 Uhr dann die Wende: Erstmals fällt der schwarze Balken auf der Leinwand ein ganz klein wenig höher aus als der rote: Hiltrud Zock 50,17 Prozent, 49,83 Prozent für Leibe.

Wer nun gedacht hatte, es ginge nicht noch dramatischer, sah sich schon wenig später getäuscht. Als um 18.30 Uhr das Ergebnis aus einem Mariahofer Stimmbezirk eintrifft, liegen beide Kandidaten nur noch eine Stimme auseinander. Die Leinwand zeigt jetzt für Zock und Leibe jeweils 50 Prozent, ein Raunen geht durch den Raum. Es wird nicht das einzige Mal bleiben, dass es – zumindest prozentual – zu einem Patt bei den Zwischenergebnissen kommt. Als gegen 19 Uhr schließlich 72 von 73 Stimmbezirken ausgezählt sind, heißt die künftige Oberbürgermeisterin der Stadt Trier Hiltrud Zock.

Hoffen und Bangen bei den Kandidaten

Im Foyer des Rathauses ist die Spannung mit Händen zu greifen, vor allem Leibe-Anhänger, Verwaltungsmitarbeiter und Journalisten drängeln sich zu diesem Zeitpunkt im Saal. Inzwischen ist der SPD-Kandidat eingetroffen und wird sogleich von den Genossen gefeiert. „Wolfram“-Sprechchöre schallen durch den Raum, rhythmisches Klatschen begrüßt den 54-Jährigen und dessen Frau. Für ihn und seine Unterstützer beginnt nun das große Warten, das nur ein paar Minuten dauern wird, sich für Leibe und seine sozialdemokratische Entourage aber ungleich länger anfühlen muss. Denn noch liegt er ja hinten, zeigen die Balken einen hauchdünnen Vorsprung für Zock.

19.07 Uhr: Auf der Leinwand erscheint das vorläufige Endergebnis, Leibe hat gewonnen. Bei den Sozialdemokraten und weiteren Unterstützern kennt die Begeisterung nun keine Grenzen mehr. Der in den vergangenen Monaten oft als eher nüchterner und kontrollierter Behördenprofi beschriebene Sieger lässt seinen Gefühlen freien Lauf. Derart groß war die Anspannung und ist nun die Freude, dass Leibe die Tränen fließen. Seine Frau fällt ihm um den Hals, Sozialdemokraten wie Parteichef Sven Teuber oder die Bundestagsabgeordnete Katarina Barley tun es ihr nach. Es ist ein Moment, der auch einen distanzierten Beobachter nicht kalt lässt; zumal, wenn er nicht mit einem solchen Ausgang gerechnet hat.

Denn dass es knapp werden würde, hatten vielleicht einige im Saal erwartet und manche auch erhofft, doch dass es Leibe gelingen würde, die klare Favoritin des ersten Wahlgangs nun aus dem Feld zu schlagen, dass glaubte der am Ende siegreiche Kandidat selbst erstmals am Samstagnachmittag, wie er gegenüber 16vor erklärte. An den fünf Wahlkampfständen, die er am Tag vor der Stichwahl noch absolviert habe, seien erstmals Leute auf ihn zugekommen und hätten mehr von ihm wissen wollen, auch von seinem Hintergrund. Da habe er gespürt, dass sich der Wind drehte, so Leibe. „Ich freu‘ mich riesig“, erklärte er ein ums andere Mal, er werde nun das Gespräch mit allen Fraktionen suchen und alles dafür tun, dass in Trier „nicht immer nur das Negative aufgezählt wird“.

Während der designierte Oberbürgermeister feierte und sich feiern ließ, bahnte sich sein designierter Vorgänger Klaus Jensen den Weg ins Foyer. Der noch bis Ende März amtierende OB verkündete noch einmal das Endergebnis, und noch einmal hallten Beifall und „Wolfram“-Sprechchöre durch den Saal. „Ich habe in meinem ganzen politischen Leben noch keine so dramatische Wahl erlebt“, erklärte Jensen gegenüber 16vor und gratulierte Leibe. „Erschrocken“ zeigte er sich über die Wahlbeteiligung. Dass diese noch einmal auf nunmehr 30,4 Prozent gesunken war, ist mehr als nur ein Schönheitsfehler des Ergebnisses. Denn im Klartext bedeutet dies: Dem künftigen Chef der Stadt gaben lediglich 15 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme.

LeibeZockWahlsiegkleinDabei hatte allen voran Hiltrud Zock in den vergangenen beiden Wochen unermüdlich für eine höhere Wahlbeteiligung getrommelt. Noch in der Nacht zum Wahlsonntag ließ sie an Tausende Trierer Haustüren Flyer mit der mundartlichen Aufforderung „Muss eich? Nä, de darfs!“ aufhängen. Nicht nur, dass sich dieser Aufwand nicht in einer höheren Wahlbeteiligung niederschlug – für die PR-Frau zahlte sich ihre professionelle und horrend teure Kampagne am Ende nicht aus. Zahlreiche Unternehmer, vor allem stadtbekannte Gastronomen hatten Zock in den vergangenen Wochen massiv unterstützt, und das nicht nur mit Geld. Lebensgroße Papp-Aufsteller von ihr standen in etlichen Kneipen und Läden, ein großes Modehaus bot der OB-Kandidatin samt CDU-Landeschefin Julia Klöckner gar eine Bühne.

In die Stichwahl zog Zock denn auch als klare Favoritin, und bis nach Schließung der Wahllokale galt sie das auch wohl den meisten im Rathaus-Foyer. Derart massiv war die Materialschlacht der vergangenen Wochen, aber auch der Einsatz der Unternehmerin in den Stadtteilen, dass Leibes Chancen eher gering schienen. Umso bitterer muss für Zock eine Zahl sein, die im allgemeinen Trubel fast unterging: In der Stichwahl erhielt sie nur 129 Stimmen mehr als im ersten Wahlgang, als sie deutlich vorne lag. Somit hatte sie ihr Potenzial vor 14 Tagen offenbar schon weitgehend ausgeschöpft. Es gelang ihr nicht, nennenswert neue Wähler hinzu zugewinnen, sie konnte allenfalls die vom 28. September bei der Stange halten. Die Unterlegene wahrte am Sonntagabend Haltung, gratulierte Leibe und räumte ein, was jeder wusste – dass sie sich ein anderes Ergebnis gewünscht hätte. Der Wahlgewinner zollte ihr Respekt: „Ein dickes Kompliment“ an Frau Zock, diese Wahl habe gezeigt, dass es wirklich auf jede Stimme angekommen sei, so Leibe.

Betretene Gesichter bei der CDU

Wohl wahr, doch die Stimme verschlagen hatte es der CDU-Spitze. Sichtlich gezeichnet von der unerwarteten Niederlage hielten sich Kreischef Bernhard Kaster und Fraktionschef Dr. Ulrich Dempfle eher am Rande des Saals. Man habe durchaus geahnt, dass es knapp werden könne, so Kaster, aber mit einer Niederlage habe man natürlich nicht gerechnet. Für Erklärungsversuche sei es noch zu früh, schob Dempfle hinterher. Der Jurist gilt als der eigentliche Erfinder der Kandidatur Zock, für ihn dürfte die Niederlage besonders bitter sein. Die Aussicht auf eine Oberbürgermeisterin auf dem Ticket der CDU war für Dempfle der maßgebliche Grund, entgegen seiner ursprünglichen Lebensplanung im vergangenen Mai doch noch einmal für den Stadtrat zu kandidieren und sich für den Fraktionsvorsitz zur Verfügung zu stellen.

Bitter ist die Niederlage aber auch für die gesamte Union. Zum zweiten Mal geht das wichtigste Amt der Stadt an einen Sozialdemokraten. Was 2006 noch als eine Art „Betriebsunfall“ in der CDU-Hochburg durchging, hat sich nun wiederholt. Ein nicht unbedeutendes Mitglied der Partei wetterte am Sonntagabend hinter vorgehaltener Hand schon von „Anfängerfehlern“, die in den vergangenen zwei Wochen gemacht worden seien. Das bezog sich auf das Bekanntwerden eines „schwarz-grünen“ Papiers für eine „Verantwortungsgemeinschaft“ im Stadtrat. Ob nun jemand in der Union die personelle Verantwortung für die Niederlage übernehmen wird, werden die kommenden Tage zeigen. Und auch bei den Grünen dürfte der Gesprächsbedarf groß sein. Denn obwohl man auf eine Empfehlung zugunsten Leibes verzichtete, sammelte der in der Stichwahl nahezu alle Wähler ein, die im ersten Wahlgang Fred Konrad unterstützt hatten und auch an der zweiten Runde teilnahmen. Um 2826 Stimmen legte der Sozialdemokrat zu.

Auch das ist ein Grund, weshalb sich Leibes hauchdünner Sieg für ihn und seine Unterstützer wie ein Triumph anfühlen muss. SPD-Chef Sven Teuber genoss das Ergebnis. Dass man den klar besseren Kandidaten gehabt habe, daran habe er nie gezweifelt, so Teuber gegenüber 16vor; dass Leibe es am Ende packen würde, daran aber „zwischendurch schon mal“, räumte er ein. Dass der Arbeitsagentur-Manager das Blatt binnen zwei Wochen noch dermaßen wenden würde, empfand nicht nur der SPD-Vormann als absolute Sensation.

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