Lehrstück mit Blendwirkung

Als Mitglied des Klimabündnisses hat sich die Stadt Trier das Ziel gesetzt, ihre Kohlendioxid-Emissionen langfristig und dauerhaft zu senken. Einen Beitrag dazu könnte eine großflächige Photovoltaik-Anlage auf dem Petrisberg leisten. Während die Stadtverwaltung das Projekt längst in trockenen Tüchern sieht und sich im Stadtrat eine deutliche Mehrheit für das Vorhaben fand, fordert eine Bürgerinitiative den Stopp des „Prestigeprojekts“: Das Verfahren sei intransparent, der Standort ungeeignet. Auf Einladung des Bernhard-Vogel-Kreises diskutierten jetzt Befürworter und Gegner des Projekts. Die Podiumsdiskussion geriet auch zu einem Lehrstück über das Verhältnis von Bürgern und Politikern.

TRIER. „Ich bin gegen Solarstrom.“ Es wird Mühe kosten, jemanden zu finden, der diesen Satz unterschreibt. Nicht erst seit dem Atomausstieg firmiert das Bekenntnis zu Strom aus regenerativen Quellen als gesamtgesellschaftlicher Konsens. Doch das generelle „Ja“ wird schnell zum energischen „Aber nicht hier!“, sobald die Konsequenzen in den Alltag der Bürger hineinreichen. Die Energiewende ist kein Abstraktum, sie manifestiert sich in weithin sichtbaren Symbolen in der Landschaft. Je mehr Stromtrassen, Windräder und Biogasanlagen gebaut werden, desto größer wird auch die Gruppe derer, für die das Englische den Ausdruck „Nimby“ parat hat – „Not In My Backyard“. Im Deutschen bekannt als Sankt-Florians-Prinzip, das Probleme nicht lösen, sondern auf andere abschieben will.

Dass trotz der Aktualität des Themas die Reihen im Hörsaal 5 der Universität nur spärlich besetzt sind, schreibt Ignaz Bender der klirrenden Kälte zu. Wahrscheinlich hat er Recht, denn das diskutierte Vorhaben dürfte weit mehr Menschen interessieren, als die betroffenen Anwohner. Der Bernhard-Vogel-Kreis hat am vergangenen Donnerstag geladen, es sollen Pro- und Contra-Argumente zum Bau einer eigentlich längst beschlossenen Photovoltaik-Anlage auf dem Petrisberg ausgetauscht werden. Im Kern dreht sich die Podiumsdiskussion aber um ganz grundsätzliche Fragen. Denn während der Stadtrat bereits im September letzten Jahres eine Bebauungsplansatzung beschlossen hat, regt sich bei Bürgern – vor allem aus dem anliegenden Stadtteil – vehementer Widerstand gegen die Pläne.

Diskussionsbedarf, der aus Sicht des Stadtrats nicht besteht. Dass die Stadt Trier als größter Verbraucher in der Region auch als Produzent regenerativer Energien auftreten muss, zumal als Mitglied des Klimabündnisses, scheint fraktionsübergreifender Konsens. Die Frage ist also nicht, ob eine Anlage gebaut wird, sondern wo und wie viele. Die Wahl fiel auf den Petrisberg, weil er aus Sicht der Befürworter gleich in mehrfacher Hinsicht die Kriterien erfüllt: Als Konversionsfläche wird seine Nutzung in besonderem Maße gefördert, die Abfallbelastung des Areals verbietet eine Nutzung als Wohngebiet, die süd-östliche Hanglage ist prädestiniert für die Installation der Module, und es besteht kein schützenswertes Biotop. Neben der Tatsache, dass die Fläche wesentlich günstiger zu nutzen ist als ausgewiesene Industriegebiete oder Ackerflächen, steht zudem schon ein williger Investor auf der Matte. Alles Argumente, die der Stadtrat abwägte, bis er sich schließlich mit überwältigender Mehrheit für den Standort aussprach.

Keine Abwägung, sondern eine Farce, argumentieren hingegen die Kritiker. Stellvertretend für die „Bürgerinitiative Heinrich-Lübke-Straße“ trägt Klaus Wittenkämper die Liste der Bedenken vor – und die ist lang. „Wir sind nicht gegen die Anlage, und wir sind auch nicht gegen Photovoltaik. Wir sind gegen den Standort und die Art des Verfahrens“, setzt er beinahe trotzig an, um dann zu einem Rundumschlag gegen das Projekt auszuholen: Der Entscheidung für den Standort Petrisberg seien fehlerhafte Abwägung, falsche Schlussfolgerungen und Täuschungsmanöver vorausgegangen. Das Areal, das von den Projektplanern als einzig in Frage kommendes präsentiert werde, sei „völlig ungeeignet“. Die Erschließung („metertiefe Gräben“) des ehemals als Müllkippe genutzten Konversionsgeländes führe zur Kontamination des Grundwassers, die Erwärmung der Module störe im Sommer den Kaltluftabfluss ins Tal, das Wegenetz des Naherholungsgebietes werde zerschnitten und die Blendwirkung der Module lasse sich auch durch die vorgesehene Bepflanzung nicht eindämmen. Kurzum: Das gesamte Areal würde als Wohn- und Naherholungsgebiet an Qualität einbüßen. Seinen Ausführungen zufolge gäbe es wohl weltweit kein Gelände, das weniger geeignet wäre, um eine Photovoltaikanlage darauf zu errichten.

Auch Eckart Leipprand, ehemals Stadtplaner im Trierer Rathaus, redet gegen das Vorhaben, und berufsbedingt liefert er die Argumente aus städtebaulicher Sicht. Mit der Errichtung einer industriellen Photovoltaikanlage werde kostbare innerstädtische Fläche für stadtfremde Zwecke verschwendet, meint Leipprand. Seine Vision für die Höhenlage sieht eine Erschließung als Baugebiet und städtische Wohnfläche vor – als „einer der sieben Hügel im Rom des Nordens“. Ihm dränge sich der Verdacht auf, dass es sich bei der Anlage um ein Prestige-Projekt handele, das sich in das werbewirksame Image vom modernen Petrisberg mit Wissenschaftspark und Universität einfüge.

Den anwesenden Vertretern aus Stadtrat und Stadtvorstand verlangen die Ausführungen der Projektgegner sichtlich Geduld ab. „Falsche Behauptungen werden dadurch nicht richtiger, dass man sie wiederholt“, kommentiert Baudezernentin Simone Kaes-Torchiani (CDU) den Redebeitrag und verweist auf die öffentliche Widerlegung der Argumente durch Gutacher. Befürworter und Gegner tauschen in dieser Podiumsdiskussion nicht zum ersten Mal ihre Argumente aus, doch langsam aber sicher scheint die Geduld beider Parteien erschöpft zu sein. „Sie schüren mit der Aufstellung falscher Tatsachen unbegründete Ängste“, kritisiert Elisabeth Tressel, die ausdrücklich nicht in ihrer Funktion als CDU-Ratsmitglied spricht, sondern als Umweltwissenschaftlerin. Auch die weiteren Fraktionsvertreter wie etwa die Umweltfachfrau Begoña Hermann (SPD) stehen in selten gesehener Eintracht auf dem gleichen Standpunkt: Die Vorteile einer Photovoltaikanlage auf dem Petrisberg überwiegen klar die Nachteile.

Nachdem die Sachargumente der Anlagengegner, auch durch den Widerspruch anwesender Experten aus dem Plenum, weggetaut sind, bleibt ein letztes, unverrückbares Argument, das eher ein Ressentiment ist: „Sie können die Anlage überall bauen, nur nicht hier. So etwas gehört dahin, wo es niemanden stört, wo niemand es sieht“, sagt Leipprand. Eine Haltung, der mit sachlichen Argumenten kaum mehr beizukommen ist. Dementsprechend merkt ein anwesender Anwohner aus dem Pubikum auch an, dass er anderer Meinung sei: „Die Gefahr einer Blendwirkung am Nachmittag ist ein Nachteil, den ich gerne in Kauf nehme, wenn es um die Zukunft unserer Kinder geht“.

Die Linie in diesem Konflikt verläuft nicht zwischen den verschiedenen Fraktionen, sondern zwischen den Bürgern und ihren Vertretern. Gerne wird sich in solchen Konflikten des Begriffes „Wutbürger“ bedient, der sich – quasi zum Selbstzweck – gegen öffentliche Projekte stemmt und Innovationen blockiert, um seinen persönlichen Status Quo zu wahren. Trotzdem wäre es falsch, den Bürgerinitiativen ihre grundsätzliche Berechtigung abzusprechen. In vielen Fällen der Vergangenheit richtete sich ihr Protest eben nicht nur blind gegen ein Bauvorhaben, sondern vor allem gegen intransparente Planung, willkürliche Auftragsvergabe und inkompetente Durchführung. Keine blinde Wut, sondern legitime Kritik mündiger Bürger.

Wenn erst ein Vertreter der Stadtwerke anmerken muss, dass man viele der Bürgerbedenken mit einem Besuch in einer der bereits bestehenden Anlagen aus der Welt hätte schaffen können, dann muss man auch zurückfragen: Warum ist das nicht geschehen? Wenn Elisabeth Tressel einräumt, dass eine Bürgerbefragung aus „zeitlichen Gründen“ nicht durchgeführt worden sei, dann ist das im Hinblick auf eine zwei Jahre andauernde Anhörungsphase nur schwer nachvollziehbar.

Die Podiumsrunde bietet ein Bild, das auch als Karikatur taugen würde: Politiker, die Kaugummi kauend ins Leere starren; daneben Bürger, die in allem, was kommunalpolitisch ist, lautstark und reflexhaft Hinterlist und Inkompetenz wittern. Zwei Lager, die ihr Verhältnis neu erfinden müssen. Denn die Frage nach Zumutbarkeit, nach der gerechten Verteilung notwendiger Belastungen, wird nicht verschwinden, im Gegenteil. Gerd Dahm (Grüne) schwört die Gegner schon darauf ein: „Wir reden nicht über eine einzelne Anlage, sondern über die erste von vielen, die in Zukunft gebaut werden.“ Und Hermann gibt zu bedenken: „Wir dürfen nicht glauben, dass eine Energiewende möglich ist, ohne dass wir an uns selbst herangehen“.

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