Koblenzer Urteil lässt Triers OB hoffen

Ein Urteil mit weitreichenden Folgen: Der rheinland-pfälzische Verfassungsgerichtshof verlangt von der Landesregierung eine Neuregelung des kommunalen Finanzausgleichs. Angesichts gestiegener Sozialausgaben reichten die Finanzzuweisungen des Landes an Gemeinden und Kreise längst nicht mehr aus, urteilten die Koblenzer Richter, die nun eine der Verfassung entsprechende und angemessene Finanzausstattung der Kommunen einfordern. Geklagt hatte der Landkreis Neuwied, und während der Mainzer Finanzminister nun Berlin in der Pflicht sieht, hofft man in Trier, von dem Urteil profitieren zu können: Er erwarte nun eine „nennenswerte Entlastung des städtischen Haushalts“, erklärte Oberbürgermeister Klaus Jensen (SPD) am Dienstag gegenüber 16vor.

KOBLENZ/MAINZ/TRIER. Carsten Kühl begrüßte das Urteil. Das muss auf den ersten Blick verwundern, hatte doch der Kreis Neuwied das Land Rheinland-Pfalz verklagt, und dessen Finanzminister heißt bekanntlich Kühl. „Niemand hat bestritten, dass die Situation für viele rheinland-pfälzische Kommunen schwierig ist“, erklärte der Sozialdemokrat am Dienstag. Er sei „froh, dass das Gericht klar festgestellt hat, dass die stark gestiegenen Sozialausgaben dafür verantwortlich sind“. Und weil die Sozialgesetzgebung beim Bund liege, sei Berlin nun gefordert. „Alle unsere Bemühungen, dass der Bund hier auch finanziell stärker in die Verantwortung geht, waren bislang von wenig Erfolg gekrönt“.

Ob künftige Bemühungen, etwa über den Bundesrat, von mehr Erfolg gekrönt sein werden, steht dahin. Klar ist aber: Die Koblenzer Richter sehen erst einmal das Land in der Pflicht. Die Finanzzuweisungen aus Mainz reichten schon seit längerem nicht mehr aus, um den Kommunen „eine der Landesverfassung entsprechende angemessene Finanzausstattung zu sichern“, heißt es in einer Mitteilung des VGH. Und weiter: „Der Landesgesetzgeber hat den kommunalen Finanzausgleich daher zum 1. Januar 2014 neu zu regeln und hierbei auch die Zuweisungen an die Kommunen deutlich und effektiv zu erhöhen“. Ansprechpartner der Kommunen ist damit weiter die rot-grüne Landesregierung.

In seiner Mitteilung nimmt der VGH eine schonungslose Bestandsaufnahme vor. Die finanzielle Lage der Kommunen in Rheinland-Pfalz sei seit Jahrzehnten angespannt. Bereits im 22. Jahr in Folge seien auch 2011 die Einnahmen hinter den Ausgaben zurückgeblieben. Gleichzeitig wuchsen die von Gesetzes wegen nur zur Überbrückung kurzfristiger Liquiditätsengpässe vorgesehenen Kassenkredite weiter an. „Schon Ende 2010 überstieg die Pro-Kopf-Verschuldung aus Kassenkrediten den Durchschnitt der deutschen Flächenländer um fast 150 Prozent. Eine wesentliche Ursache für die außerordentlichen Defizite liegt in den hohen Sozialausgaben der Kommunen“, stellten die Richter fest.

Richter: Land war verpflichtet

Vor diesem Hintergrund hatte der Landkreis Neuwied das Land auf Erhöhung der so genannten Schlüsselzuweisungen für das Jahr 2007 verklagt. Das Oberverwaltungsgericht setzte das Verfahren aus und legte dem VGH die Frage vor, ob die Regelungen über die Ermittlung der Schlüsselzuweisungen des Jahres 2007 angesichts stark gestiegener Sozialausgaben noch den Anforderungen an eine verfassungsgemäße Finanzausstattung der Kommunen entsprechen. Tun sie nicht: Der VGH erklärte die Vorschriften über die Finanzausgleichsmasse und die Schlüsselzuweisungen ab 2007 für unvereinbar mit der Landesverfassung. Die Bestimmungen verstießen „gegen die verfassungsrechtliche Selbstverwaltungs- und Finanzausstattungsgarantie“, die das Land verpflichte, den Kommunen eine angemessene Finanzausstattung zu sichern.

Zwar sei die finanzielle Lage des Landes 2007 bei rein rechnerischer Betrachtung ähnlich angespannt gewesen wie diejenige der Kommunen: Sowohl das Land als auch die Kommunen hätten außerordentlich hohe Defizite zu verkraften und seien im Bundesvergleich überdurchschnittlich hoch verschuldet. Dennoch sei das Land „aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit zu einer spürbaren Erhöhung seiner Finanzzuweisungen verpflichtet“ gewesen, urteilten die Richter. Denn die Finanzprobleme der Kommunen seien weitgehend fremdbestimmt. So seien die Sozialausgaben der Kommunen allein von 2000 bis 2007 um etwa 51 Prozent auf 1,8 Milliarden Euro angewachsen. Der Mitverantwortung des Landes für die Finanzierung der Sozialausgaben stehe „nicht entgegen, dass ein Großteil der Sozialgesetze durch den Bund erlassen“ wurden, befand der VGH, der auch unmissverständlich feststellt: Das Land müsse sich „von Verfassungs wegen auch Kosten aus Bundesgesetzen zurechnen lassen, da die Kommunen keine eigenen Rechtsbeziehungen zum Bund“ unterhielten. Deshalb sei das Land auch verpflichtet, „die finanziellen Belange der Kommunen auf Bundesebene als eigene zu wahren und durchzusetzen“.

Einen Teil der Urteilsbegründung dürfte gerade im Oberzentrum Trier auf Interesse stoßen: Das Land habe bei der Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs gegen das Gebot „interkommunaler Gleichbehandlung“ verstoßen. Er habe bei der Verteilung der Finanzmittel des Jahres 2007 die Landkreise und kreisfreien Städte gegenüber den kreisangehörigen Gemeinden und Verbandsgemeinden „sachwidrig benachteiligt“. Die Sozialausgaben der Landkreise und kreisfreien Städte seien von 2000 bis 2007 stark angewachsen, diejenigen der kreisangehörigen Gemeinden und Verbandsgemeinden hingegen rückläufig gewesen. Hierdurch sei es zu „erheblichen finanziellen Ungleichgewichten“ zwischen den Gebietskörperschaftsgruppen gekommen.

Klaus Jensen: Urteil überrascht mich nicht

Zum Glück für Mainz: Von einer rückwirkenden Nichtigerklärung sieht der VGH ab. Ein sofortiges Außerkrafttreten großer Teile des Landesfinanzausgleichsgesetzes laufe dem Erfordernis einer geordneten Finanz- und Haushaltswirtschaft zuwider, das ebenfalls Verfassungsrang habe, begründeten die Richter. Bis zum 1. Januar 2014 hat die Landesregierung nun Zeit, eine Neuregelung umzusetzen. Diese müsse nicht weniger beinhalten als einen „spürbaren Beitrag zur Bewältigung der kommunalen Finanzkrise“ zu leisten, eine „effektive und deutliche Verbesserung“ der kommunalen Finanzausstattung sei zu gewährleisten.  Allerdings bleibe es dem Land „unbenommen, auf die festgestellte Unterfinanzierung der Kommunen auch durch eine Entlastung auf der Ausgabenseite zu reagieren, etwa durch die Rückführung kommunaler Aufgaben oder die Lockerung gesetzlicher Standards“. Im Gegenzug für seinen zusätzlichen Beitrag zur Bewältigung der kommunalen Finanzkrise könne das Land verlangen, dass auch die Kommunen ihre „Kräfte größtmöglich anspannen“.   VGH-Präsident Karl-Friedrich Meyer stellte bei der Urteilsverkündung abschließend fest: „Dem zweifellos ebenfalls hoch belasteten Land“ falle die Hauptverantwortung zu, „weil es immer noch über größere Gestaltungsmöglichkeiten verfügt als die stark fremdbestimmten Kommunen.“

Für den Trierer Oberbürgermeister kam das Urteil nach eigener Darstellung nicht überraschend. Er begrüße ausdrücklich die Entscheidung der Koblenzer Richter, erklärte Klaus Jensen am Dienstag gegenüber 16vor. Damit werde der Tatsache Rechnung getragen, dass die in den letzten Jahren gestiegenen Sozialleistungen nicht alleine von den Kommunen aufgefangen werden könnten. Jensen zeigte sich erfreut, dass das Gericht in seinem Urteil, die Benachteiligung der kreisfreien Städte gegenüber den kreisangehörigen Gemeinden und Verbandsgemeinden betont und das Land auffordert, dieses Ungleichgewicht zu korrigieren. „Über die Notwendigkeit einer Neuordnung waren sich Land und Kommunen bereits einig. Jetzt kommt es darauf an, diese möglichst schnell umzusetzen“, so Jensen. Er erhoffe sich für die Stadt Trier künftig eine „nennenswerte Entlastung im städtischen Haushalt“, so der OB.

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