Kindergarten im Stadttheater

Film und Theater – zwei, deren Beziehung kompliziert sein kann. Ihr jüngstes Aufeinandertreffen ist im Trierer Theater zu sehen, dort feierte am vergangenen Samstag Til Schweigers Kinohit „Keinohrhasen“ in einer Regiefassung von Michael Ophelders Premiere. Ein ausverkauftes Haus und langer Applaus für eine Inszenierung, in der man das Theater nur noch erahnen konnte.

TRIER. Ganz zu Anfang, für wenige Minuten, durfte man hoffen, dass es anders werden würde. In einem prologhaften Auftakt waren alle Schauspieler um einen kleinen Tisch in der Bühnenmitte versammelt und schwadronierten über den Film „Keinohrhasen“, über Til Schweiger und Jürgen Vogel, schoben sich spielerisch die Rollen zu: „Jemand muss mal das Kind spielen, wer spielt das Kind?“ – „Erinnert ihr euch an diese erste Szene, dieses Interview mit Jürgen Vogel? Kommt, das spielen wir mal nach!“ Da blitzte Spielfreude auf, da strahlten Ideen von Verfremdung und Meta-Ebenen. Es war nur ein kurzes Intermezzo, in dem man glauben durfte, dass hier ein Ensemble einen interessanten Zugang zu einer filmische Vorlage gefunden hat, die für nicht Wenige das endgültige Versinken des deutschen Films in der völligen Bedeutungslosigkeit markiert.

Mit der filmischen Vorlage hatte Til Schweiger vor vier Jahren Kinogeschichte geschrieben. Mehr als sechs Millionen Zuschauer rannten in die Lichtspielhäuser, um sich die „deutsche Liebeskomödie“ um den rücksichtslosen Klatschreporter Ludo Decker und die verstockte Kindergärtnerin Anna Gotzlowski anzuschauen. Um es kurz zu machen: Rüpel-Reporter muss Sozialstunden in Kinderhort ableisten, trifft auf Chefin Anna Gotzlowski, die er als Kind gerne mal gründlich gedemütigt hatte. Am Ende sind sie verliebt, zwischendurch werden im Hort Hasen genäht, die keine Ohren haben. Platter als die Handlung sind nur die Zeichnungen der Charaktere. Der Psychologie einer Figur wie Anna Gotzlowski, die als erwachsene Frau immer noch den Habitus einer fünfjährigen Motzkuh pflegt, möchte man sich nicht einmal in Handschuhen nähern.

Wenn man nun fragt, wie das Stück in der Trierer Regiefassung von Regisseur Michael Ophelders auf die Bühne gebracht wurde, darf man ruhigen Gewissens antworten: Sehr werktreu. Die Adaption für das Theater entpuppt sich in diesem Fall als imitierende Vollplayback-Show, die sich an der Filmvorlage entlang hangelt. Die Schauspieler bedienen sich nicht nur der wörtlichen Textvorlagen aus dem Film, auch bei ihrem Spiel regiert die Imitation: Sprachduktus, Betonungen, Pausen – die Tonspur könnte auch aus dem Film stammen. Hier und da werden Wortwitze mit Lokalkolorit eingestreut, die man sich besser gespart hätte: Da war Manfred-Paul Hänig zum „Fettaufbau“ in kalifornischen Fitness-Studios, da werden die Zuschauer aufgefordert, ihre Arme zu wiegen „wie Korallen in der Mosel“, da wird dem Reporter Ludo nach seiner Kündigung bei der Zeitung empfohlen, doch mal beim Volksfreund anzuheuern. Als zum Ende der Vorstellung bunte Ballons durch den Saal fliegen, wähnt man sich endgültig in der Kinderbetreuung angelangt.

Das Spiel auf der Bühne bleibt währenddessen über die gesamte Dauer der Inszenierung merkwürdig schal, Haltungen sind kaum erkennbar, die Wege wirken technisch, das Gesagte nur gesagt. Plastiktheater, ohne jede Aura, beliebig austausch- und ersetzbar. In seiner Unfähigkeit, sich von der inhaltlich und ästhetisch dünnen Vorlage zu emanzipieren, ist der Abend vor allem eines: langweilig. Keine schönen Bilder, ein überladenes Bühnenbild, Kostüme, die sich der großen Imitationsparade anschließen und sich recht uninspiriert an die Ausstattung des Filmes anlehnen. So wird die Produktion unfreiwillig zum Lehrstück darüber, wie eine Filmadaption auf der Bühne nicht glückt. Auch die Dialoge, die im Film funktionieren mögen, wenn Nora Tschirner mit Til Schweiger am Kai flaniert – auf der Bühne fehlt ihnen jede Dynamik, jede Spannung. Die Texte wirken gepresst, man hört ihnen an, dass sie nicht für das Sprechen auf der Bühne verfasst wurden. Das Schauspiel scheint dazwischen keinen Platz zu haben; was schade ist, weil man bei fast allen Darstellern weiß, dass sie es eigentlich besser können.

Eine Sonderstellung nimmt hier Alina Wolff ein, der Neuzugang am Theater Trier, die frisch von der Rostocker Schauspielschule engagiert wurde und an diesem Abend ihr Debüt auf der großen Bühne gab. Dass sie dies in einem derart glanzlosen Zusammenhang tun muss, ist bedauerlich. Vor allem in der ersten Hälfte spielt sie ihre verstockte und ungelenke Rolle wenig facettenreich, mit der verlässlichen bockigen Aura und den vor der Brust verschränkten Armen, die schon bei Nora Tschirner nervte. Erst nach der Pause konnte man hier und da erahnen, dass es mit dem jungen Neuzugang noch echte Sternstunden eines interessanten Spiels geben wird. Tim Olrik Stöneberg hatte weniger Probleme, sich den Womanizer-Duktus anzueignen. Die fade Til-Schweiger-Imititation ließ aber auch hier keinen Raum für Überraschungen oder Unvorhergesehenes. Die Trierer Regiefassung von Michael Ophelders vereint 24 Nebenrollen auf vier weitere Ensemblemitglieder: Manfred-Paul Hänig, Barbara Ullmann, Vanessa Daun und Christian Miedreich spielen alles, was sonst noch so anfällt: Vom Hortkind bis zum Hochzeitspaar Catterfeld-Klitschko. Eine Orgie der Verwandlungen, die stellenweise amüsant ist und auch dementsprechend vom Publikum goutiert wird – das Stück rettet dieser Kunstgriff allerdings nicht.

Am Ende bleibt die Frage, ob man wirklich nichts Besseres aus diesem Stoff hätte machen können. Wenn man diese auch nach langem Nachdenken mit einem Nein beantworten muss, weil die Vorlage so gar keine Fragestellung von gegenwärtiger Relevanz bereit hält, möchte man gerne anders fragen: Warum dieses Stück? Dass es Produktionen braucht, die ohne Mühe das Große Haus füllen – geschenkt. Dass es nicht immer die anspruchsvollste Gegenwartsdramatik sein kann, die das leistet, ebenfalls. Aber trotzdem tut sich ein nicht unerhebliches Problem auf, wenn man mit Abenden wie „Keinohrhasen“ auszieht, die oft beschworenen „jungen Menschen“ zu erreichen. Wenn man ihnen nicht mehr bieten will als bloßes Wiedererkennen, dann ist es eine falsche Versprechung, mit der man sie lockt. Und es zeigt auch, wie wenig man seinem Publikum zutraut. Ärgerlich ist eine Produktion wie diese aber auch aus einem anderem Grund: Das Welt- und Menschenbild, das in „Keinohrhasen“ vermittelt wird, ist eine selten gesehene Aneinanderreihung billigster Klischees und Vorurteile, die man an dieser Stelle gar nicht mehr ausdiskutieren möchte.Im Vorabendprogramm eines Privatsenders kann man sich darüber ärgern und umschalten. Es ist aber nicht der Auftrag eines öffentlichen Theaters, diese Klischees völlig unhinterfragt zu reproduzieren, im Gegenteil.

Alles Dinge, über die man in Ruhe nachdenken kann während der zweieinviertel Stunden dauernden Inszenierung. Abgelenkt durch das Bühnengeschehen wird man jedenfalls nur selten.

Weitere Aufführungen im Januar: Mittwoch, 11. Januar, 20 Uhr; Dienstag, 17. Januar, 20 Uhr; Freitag, 20. Januar, 20 Uhr; Sonntag, 29. Januar, 16 Uhr.

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