Keiner für alle, alle für keinen

Burn-Out, Depression oder das mittlerweile schon fast obligatorische Magengeschwür: In gleichem Maße, mit dem die „arbeitsbedingten Erkrankungen“ zugenommen haben, hat auch die Gegenwartsdramatik das weite Feld der Arbeitswelt für sich entdeckt. Am Theater Trier inszeniert Anatol Preissler „Bandscheibenvorfall“, den „Abend für Leute mit Haltungsschäden“. Autorin Ingrid Lausund, die jüngst mit der Produktion „Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner“ für Aufsehen gesorgt hat, überzeichnet die Symptome und lässt dabei die Ursache aus dem Blick.

TRIER. Jaja, so ist das manchmal, denkt sich vielleicht wissend lächelnd irgendein Angestellter im Publikum. Er weiß, wie viel Hass und Verachtung man in die vier Silben eines „Guten Morgen!“ packen kann. Er hat auch schon mal zum Projektpartner gesagt „Supi, freu mich schon auf die Zusammenarbeit“ und dabei gedacht „Ich kotze gleich“. Und den Moment, wenn der Kaffee leer ist und niemand für Nachschub gesorgt hat, kennt tatsächlich jeder, der auch nur befristet in einem Büro beschäftigt war.

Ingrid Lausund hat ein Händchen für Beobachtungen, und was sie zum zwischenmenschlichen Umgang in der gegenwärtigen Arbeitswelt zu sagen hat, ist in ihrem Stück „Bandscheibenvorfall“ zusammengetragen. Fünf Figuren treten hier als stereotype Vertreter der Spielarten des Angestellten auf: Da ist der smarte Aufsteiger Kretzky (Jan Brunhoeber), das Alpha-Arschloch Hufschmidt (Tim Olrik Stöneberg), die toughe Karrierefrau Schmitt (Sabine Brandauer) und das verhuschte Büromäuschen Kristensen (Vanessa Daun). Ganz unten in der Hackordnung: Der ewig pullundertragende Opfertyp Kruse (Klaus Michael Nix).

In ihrem Aufstiegskampf aus dem glanzlosen Angestelltendasein sind sie sich alle selbst am nächsten und dankbar für jede Gelegenheit, beherzt nach unten zu treten. Dass nach oben gebuckelt wird, versteht sich von selbst. Die Figur des unsichtbaren und doch omnipräsenten Chefs ist nicht nur räumlich der Flucht- und Fixpunkt der gesamten Büroszenerie (Bühne: Karel Spanhak), auch für das Weltbild der Arbeiter ist er gottgleicher Dreh- und Angelpunkt: Mal sanft, meist zornig, immer sinnstiftend. In Erscheinung tritt er nur in Form eines durchdringenden Alarmsignals. Das ist ein schönes Bild für die Kontrolle, die der Selbstkontrolle gewichen ist. Den Terror, die Panikmache, die Ausbeutung – das besorgen die Beschäftigten heute ganz alleine.

Das Büro als Vorhof der Hölle: Das ist die hässliche Fratze des Spätkapitalismus. Die Spuren des neoliberalen Mantras eines „Jeder ist seines Glückes Schmied“ findet die Inszenierung dabei nicht nur in den Verhältnissen der Menschen zueinander (nämlich als antagonistische Einzelkämpfer), sondern auch im Selbstbild der Arbeitenden. „Ich bin kaputt“, bekennt Karrierefrau Schmitt in ihrem Schlussmonolog, „und ich will nicht repariert werden. Ich will nicht funktionieren“. „Wann hat das eigentlich angefangen, dass ich zu nichts mehr eine Meinung habe?“, befragt Kretzke sich selbst in einem seltenen Moment der Klarheit. Diese Schlussmonolog-Runde, in der die Leere und Lebenslügen durchscheinen, gehört zu den inhaltlich stärkeren Szenen des Abends, der sich über weite Strecken als relativ beliebige Aneinanderreihung von Klischees präsentiert.

Besonders deutlich wird dieses Manko, wenn versucht wird, die charakterliche Verkrüppelung der Figuren kausal zu bestimmen: Hufschmidt ist eben deshalb ein beißwütiger Macho, weil seine Eltern (Mutter: Beruf für das Kind aufgegeben; Vater: hartherziger Trinker) zu hohe Erwartungen und zu wenig Liebe in ihn projiziert haben. Höher als auf der Ebene der Kernfamilie wird Ursachenforschung nicht betrieben. Die Gesellschaft, die diese Arbeitsverhältnisse produziert, die das Elend dieser Figuren sind, findet nicht statt, ganz im Gegenteil: Gesellschaftliches Unrecht wird als individuelles Unglück verkauft. „Solidarität war eben grade nicht das Gesprächsthema“, erklärt Kretzky den Kollegenverrat. Das letzte Wort hat immer der Gewinner, und der sagt eben: Pech gehabt.

Anatol Preissler, zum ersten Mal als Regisseur in Trier, holt aus dieser Vorlage raus, was im Großen Haus eben geht: Viel Rhythmisierung in den Abläufen, Abstecher ins Absurde und viel Raum für die Schauspieler, die ihre Rollen mit sichtbarer Spielfreude ausfüllen. Doch selbst dieses solide Theater-Handwerk kann nicht ausgleichen, dass Autorin Ingrid Lausund zwar gekonnt die Symptome einer Schieflage zeichnet und überzeichnet, dabei aber nicht den Blick für die Zusammenhänge bemüht. Es muss dem Stück folglich an allem fehlen, was ihm wirklich Stärke geben könnte: Klarsicht, Problembewusstsein und Engagement. Der Abend für Leute mit Haltungsschäden – es fehlt ihm selbst an Haltung.

Die nächsten Vorstellungen: Samstag, 12. Januar, 19:30 Uhr; Dienstag, 15. Januar, 20 Uhr; Samstag, 19. Januar, 19:30 Uhr; Freitag, 25. Januar, 20 Uhr.

Weiterer Beitrag zum Thema: „Ich habe großes Mitleid mit den Figuren„.

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