„Kein Held, aber eine interessante Figur“

Obwohl Peter Singer am Trierer Theater erst im Sommer 2014 in den Ruhestand geht und bis dahin noch in einigen Dramen auf der Bühne stehen wird, ist der Schauspieler bereits ab diesem Sonntag in seinem Abschiedsstück (Premiere 19.30 Uhr, Großes Haus) zu sehen. Sein Wunsch war die Titelrolle in Bertolt Brechts „Leben des Galilei“ in der Inszenierung von Horst Ruprecht, mit dem er schon unter anderem in „Andorra“, „Besuch der alten Dame“ und „Des Teufels General“ zusammengearbeitet hat. Im Gespräch mit 16vor erzählt Singer, warum das Stück schon knapp zwei Jahre vor seiner Pensionierung gezeigt wird, warum er sich dafür entschieden hat und wie er die Hauptfigur sieht.

16vor: Herr Singer, wie kam es dazu, dass jetzt schon das Stück läuft, mit dem Sie verabschiedet werden sollen?

Peter Singer: In der Fastnachtszeit guckte ich morgens in die Zeitung und sah, dass Dieter Lintz über den Kollegen Leu schrieb, der in Rente ging. In dem Artikel stand, dass der nächste 2013 Peter Singer sei. Das habe man so auf der Pressekonferenz gesagt. Hans-Peter Leu hatte sich damals eine Abschiedsrolle gewünscht. Ihm wurde dann eine Rolle in „Sonny Boys“ im Studio angeboten. Ich bin da etwas lauter und sagte: „Für mich auch was!“ Daraufhin fragte der Chefdramaturg, was ich denn gerne hätte. Mit Horst Ruprecht hatte ich zuvor überlegt, noch gemeinsam den „Galilei“ zu machen. „Prospero“ wäre für mich auch interessant gewesen, hatten wir am Theater aber erst vor zwei Jahren in portugiesischer Sprache. Also sagte ich: „Ich würde den Galilei spielen, aber nur mit Horst Ruprecht.“ Die Intendanz hat es zuerst in zwei Jahren angesetzt und dann ans Ende dieser Spielzeit. Ich sagte dann: „Seid ihr wahnsinnig, ‚Galilei‘ ist Schulstoff!“ So ist es dann letztlich zwei Jahre vorgerückt. Ich habe natürlich „Ja“ gesagt. Man weiß ja nicht, ob nächstes Jahr noch so viel Geld da ist, eine so große Produktion zu machen.

16vor: Wie kann man „Leben des Galilei“ mit einem so kleinen Ensemble spielen?

Singer: Jeder muss mindestens zwei Rollen spielen. Wobei das eine logische Konsequenz hat. Man geht nicht von der Bühne, kommt wieder und verstellt die Stimme. Das Ensemble übernimmt sichtbar Funktionen. Wir spielen einen Rahmen von 28 Jahren. Den alten Galilei spiele ich am Anfang und am Ende. Die körperliche Veränderung, dass er zum Beispiel dick wird, geschieht sichtbar. Ich baue mir vor dem Publikum einen Bauch vor. Genauso sichtbar ist es bei den anderen. Sagredo spielt später den Großinquisitor, der kleinbürgerliche Kurator den Papst. Die eine Rolle hat mit der anderen in gewisser Weise zu tun oder steht in einem dialektischen Verhältnis.

16vor: Ist das von Brecht so vorgesehen?

Singer: Das Stück hat drei Fassungen. 1936 gab es die erste, die nicht aufgeführt wurde. Dann ist Brecht nach Amerika gegangen und hat mit Charles Laughton eine amerikanische Version gemacht. Als er zurückkam, hat er hier noch eine Fassung geschrieben, aber nur halb inszeniert, weil er mitten in der Produktion gestorben ist. Er wollte, dass es auf der Bühne zu Ende geführt wird. Es ist eigentlich das untypischste Stück für Brecht. Aber viele Leute wie Reich-Ranicki finden, es sei sein bestes, weil es eine Geschichte erzählt.

16vor: Was macht das Stück für Sie interessant?

Singer: Die Aussage. Es ist ein sehr modernes Stück, das kein bisschen an Aktualität verloren hat. Die Möglichkeit, das Denken zu erweitern, altes Denken abzulegen, etwas infrage zu stellen, wird hier angesprochen und in dieser großen Geschichte erklärt. Im „Leben des Galilei“ ist es die Kirche, sind es die Machthaber, die gegen die Freiheit des Denkens stehen. Das hat eine hohe Aktualität zum Beispiel beim nordafrikanischen Frühling.

16vor: Sie haben schon häufig mit Horst Ruprecht zusammengearbeitet. Was schätzen Sie an ihm?

Singer: Ich habe bei ihm einen gewissen Rahmen.

16vor: Was bedeutet das?

Singer: Er gibt mir technisch und inhaltlich einen Rahmen, in dem ich mich für die Rolle entwickeln kann. Es gibt Regisseure, bei denen heißt es: „Ich sage dir, wie das läuft.“ Ruprecht gehört nicht dazu. Er ist weniger Stanislawski (Anm. d. Red.: Konstantin Sergejewitsch Stanislawski) sondern mehr Meyerhold (Anm. d. Red.: Wsewolod Emiljewitsch Meyerhold.). Er ist ein begleitender Regisseur. Der aber sehr genau vorarbeitet und sehr genau weiß, was er will. Er ist seit Wochen ein bisschen mein Spiegel, mein Partner. Das Gute an ihm ist, dass es beim ihm keine Nebenrollen gibt. Es gibt kleine Rollen, aber es gibt keine Nebenrollen. Er behandelt eine kleine Rolle genauso intensiv wie eine große Rolle. Das hat Gründgens schon gemacht. Dadurch habe ich um mich herum ganz viele gleichwertige Partner. Für mich ist das ein Rahmen. Ruprecht hat große Erfahrung über viele Jahre gesammelt und ist trotz seines fortgeschrittenen Alters ein Theaterbesessener.

16vor: Wie hat sich das auf das aktuelle Stück ausgewirkt? 

Singer: Ruprecht hat eine Fassung von „Leben des Galilei“ gemacht, die sich auf eine ganze Reihe von Schriften bezieht. Mit dem Brecht-Institut in Berlin hat er besprochen, ob dieses und jenes möglich ist. Ob es möglich ist, die Modellinszenierung nicht eins zu eins zu übernehmen. „Galilei“ ist normalerweise vier Stunden lang. Es musste also teilweise umgestellt und konzentriert werden, ohne die Geschichte grundsätzlich zu verändern. Dann kam er mit seinem Konzept, daraus eine Parabel zu machen. Also weder ein Brechtsches Lehrstück noch eine Erzählung der historischen Geschichte des Herrn Galilei. Sondern eine Parabel über „Die Lust des Beginnens“ oder „Lob des Zweifels“. Beides sind Lieder, die Brecht zur gleichen Zeit, als er den „Galilei“ geschrieben hat, verfasste. Sie sind nicht im „Galilei“ drin, finden aber bei uns statt.

16vor: Wie gehen Sie mit der Zerrissenheit Ihrer Figur um?

Singer: Das ist sehr spannend. Galilei wird ganz gerne so gespielt, dass er am Ende ein gewisser Held ist. Aus dem letzten großen Monolog geht aber hervor, dass er im Prinzip mit seiner eigenen Korrumpierbarkeit konfrontiert wird. Er hat zwar diese Diskurse heimlich noch ein zweites Mal geschrieben und in die Welt geschickt, aber als sein Schüler Andrea ihm am Ende die Hand geben will, sagt er: „Kannst du jemandem wie mir überhaupt die Hand geben?“ Vielmehr: „Du darfst mir die Hand nicht geben. Ich bin einer, der keinen Platz in der Wissenschaft hat. Ich habe durch meine Feigheit die Entwicklung der Gesellschaft gehemmt.“ Ein Held war er nicht. Aber eine interessante Figur.

16vor: Können Sie Galileis Haltung und Verhalten nachvollziehen?

Singer: Jein. Bei Brecht ist immer eine Dialektik drin. Wenn ich ehrlich bin, habe ich natürlich auch manche Dinge gemacht, wo man vielleicht sagen würde: „Hätte ich es anders gemacht, wäre es richtiger gewesen.“ Aber mit dieser Dimension, mit der Galilei konfrontiert wurde, wurde ich in meinem Leben nie konfrontiert.

Premiere von „Leben des Galilei“ an diesem Sonntag um 19.30 Uhr im Großen Haus.

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