Jelinek wörtlich genommen

Der Rettungsschirm für die Versicherungen (Sabine Brandauer und Vanessa Daun). In der Trierer Inszenierung von Elfriede Jelineks "Aber sicher!" wurde viel wörtlich genommen. Foto: Silvia GüntherElfriede Jelinek beschreibt in „Aber sicher!“ die Entstehung und weitere Entwicklung der Finanzkrise. Und dann erklärt sie die daraus entstandene Kapitalismuskritik für gescheitert. Aber darf man ihr das glauben? Judith Kriebel inszenierte das an Längen nicht arme Stück, das am Dienstagabend in der Luxemburger „Banannefabrik“ im Rahmen des Trierer Schauspielfestivals „Maximierung Mensch“ Premiere feierte. Am Freitag ist „Aber sicher!“ um 20 Uhr im Studio des Theaters zu sehen.

LUXEMBURG/TRIER. Die Bühne: ein verzweigtes Leitungssystem, an dessen Ende ein Hahn tropft. Immer wieder flackert das Licht, der Strom droht auszufallen. Deutschland oder irgendeine andere Industrienation während der Finanzkrise: ein maroder Staat.

Die Kostüme: Daniel Kröhnert trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck „I love Hellas“, Jan Brunhoeber als personifizierte Bank ein „M“ auf dem Rücken seines Jackets (Verweis auf „M – eine Stadt sucht einen Mörder“) und Sabine Brandauer und Vanessa Daun sind als Versicherung in Business-Kostüme gewandet. Auch hier wird schnell klar, wer wofür steht.

Wie Susanne Weibler beim Bühnenbild und Carola Vollath bei den Kostümen arbeitete Judith Kriebel auch bei der Inszenierung: mit (über)deutlichen Bildern. Elfriede Jelineks Text bietet sich dafür an. Redewendungen wie „mit runtergelassenen Hosen“, „auf die Beine helfen“ oder „mit leeren Händen dastehen“ werden wörtlich genommen und entsprechend von den durchweg überzeugenden Darstellern (Christian Miedreich sollte unbedingt verstärkt im komödiantischen Bereich zum Einsatz kommen) umgesetzt. Kriebel treibt dies auf die Spitze, selbst der „Rettungsschirm“ wird nicht mehr bloß im übertragenen Sinne gebraucht.

Anstrengender als dieses sich schnell abnutzende Stilmittel der Regisseurin ist das Spiel der Autorin mit buchstäblicher und übertragener Bedeutung von Wörtern. Der Zuschauer wird nicht nur im drückenden Saal der „Banannefabrik“ gekocht, sondern auch über eine Stunde lang in Jelineks Wortspielhölle mit Sätzen wie „Was wankt, muss fallen, und dann sind wir fällig“. Das als „wütende Kapitalismuskritik“ angekündigte Stück – zum Vergleich empfiehlt hier der Verfasser dieses Beitrags entsprechende Texte von Sybille Berg – wirkt im ersten Teil stilistisch wie eine Parodie einer frühen Kabarettnummer von Dieter Hildebrandt beziehungsweise wie eine späte desselben.

In dieser Passage, die den Vorgang der Bankenrettung und die Rolle der Versicherungen in der Finanz- und Wirtschaftskrise beschreibt, lässt Jelinek die auch für ihre ökonomischen Analysen bekannte Rosa Luxemburg mit Zitaten aus „Die Akkumulation des Kapitals“ und „Die Krise der Sozialdemokratie„, in denen sie den Untergang des Kapitalismus ankündigt, zu Wort kommen: „Dieser brutale Siegeszug des Kapitals in der Welt, gebahnt und begleitet durch alle Mittel der Gewalt, des Raubes und der Infamie hatte eine Lichtseite: er schuf die Vorbedingungen zu seinem eigenen endgültigen Untergang, er stellte die kapitalistische Weltherrschaft her, auf die allein die sozialistische Weltrevolution folgen kann.“

Im zweiten Teil zeigt die Trägerin des Literaturnobelpreises, welche Bedeutung die ermordete Politikerin in der heutigen Gesellschaft noch hat: Sie ist nur noch Thema als mögliche Leiche im Keller der Charité. Auch für diesen aufgeblähten Exkurs benötigt man einen langen Atem.

Reizvoll wird erst der Schluss, als der blinde Seher (Matthias Stockinger) – es gibt immer wieder inhaltliche („Ödipus“) und formale (ein Chor) Anspielungen auf die griechische Tragödie – einräumt und sich dafür beim Publikum entschuldigt, mit seinen Prophezeiungen zu den Folgen eines unkontrollierten Finanzmarktes falschgelegen zu haben. Es scheint ja wieder weitgehend alles in Ordnung zu sein. Haben sich also Rosa Luxemburg und Elfriede Jelinek geirrt? Mit diesem Gedanken wird der Zuschauer in die inzwischen nur unwesentlich abgekühlte Nacht in der Finanzhochburg Luxemburg entlassen.

Weitere Vorstellung: Freitag, 21. Juni, 20 Uhr im Studio.

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