„Jeder Mensch sollte drei Wohnsitze haben können“

Foto: David SchmidtSeit über zehn Jahren schreibt Christian Y. Schmidt seine komischen und polemischen Kolumnen aus Ostasien. Sechs Jahre arbeitete er für das Satiremagazin Titanic in Singapur und China, anschliessend vier Jahre für die taz in Peking. Am 7. Oktober stellt er auf Einladung der Deutsch-Chinesischen Gesellschaft Trier im Frankenturm die Neuauflage seines Reisebuchklassikers „Allein unter 1,3 Milliarden“ vor. Im Gespräch mit 16 VOR erklärt der ehemalige Titanic-Redakteur die hohe Anzahl seiner Facebook-Accounts, wofür er China schätzt und warum er auch Trier-Experte ist.

16 VOR: In Ihrer Signatur sind sechs Facebook-Adressen angegeben. Warum reicht Ihnen eine nicht?

Christian Y. Schmidt: Ich habe einen persönlichen Facebook-Account und fünf weitere für jeweils jedes Buch, das ich in den letzten Jahren veröffentlicht habe. Das heißt, unter den Buch-Accounts findet man spezielle Informationen, die jeweils nur das bestimmte Buch betreffen: Lesereisetermine, Links zu Rezensionen, unveröffentlichte Fotos und so weiter. Das ist ein zusätzlicher Service für alle Leser meiner Bücher. Unter meinem persönlichen Account gibt es Infos, Links und Fotos zu allem Möglichen, das mich interessiert.

Übrigens: Wer danach fragt, weshalb ich so viele Facebookaccounts habe, muss danach bei jeder meiner Facebook-Buchseiten einmal „Gefällt mir“ klicken.

16 VOR: Funktioniert Ihre Kommunikation und Recherche von Peking aus wie gewünscht?

Schmidt: Wie sie an diesem Interview sehen, funktioniert sie sehr gut.

16 VOR: Stehen Sie als ausländischer Journalist und Autor dort unter Beobachtung?

Schmidt: Ich hoffe doch. Sonst würde ich mich nicht ernstgenommen fühlen.

16 VOR: Leben Sie gerne in Peking? Und sind Sie froh, noch einen weiteren Wohnsitz in Berlin zu haben?

Schmidt: Ja und ja. Am liebsten hätte ich aber noch einen weiteren Wohnsitz in Hongkong. Da würde ich dann einen Teil des Winters verbringen. Dafür fehlt mir allerdings das Geld. Ich finde, jeder Mensch sollte drei Wohnsitze haben können. Das weitet den Blick. Ich könnte mir vorstellen, dass man diese Wohnsitze rotierend nutzt, sie also untereinander immer wieder tauscht. Das praktiziere ich allerdings noch nicht. Meine Berliner Wohnung wird aber auch von anderen genutzt. Wohnungen leerstehen zu lassen, nur weil man sie ab und zu einmal nutzen will, halte ich für einen Verstoß gegen die guten Sitten.

16 VOR: Fehlt Ihnen etwas in Peking, wenn Sie in Berlin sind und umgekehrt?

Schmidt: In Berlin fehlt mir das gute chinesische Essen und die Aufgeschlossenheit der Menschen. Chinesen sind nämlich viel wissbegieriger als die meisten Deutschen. Auch die vielen Ausländer, die inzwischen in Peking wohnen, sind nicht so indolent wie der durchschnittliche Berliner. Extrem fehlt mir der günstige Nahverkehr in Peking. Hier zahle ich umgerechnet 25 Cent für eine Fahrt beliebiger Länge in einem über 500 Kilometer langem U-Bahnnetz, für Busse noch weniger. In Berlin muss ich inzwischen 2,60 Euro für eine einfache Fahrt von höchstens zwei Stunden Dauer bezahlen. Wenn ich in Peking bin, vermisse ich den Berliner Sommer und die vielen Badeseen in Berlin und drumherum. Und ab und zu meine Freunde dort.

Die Deutschen werden von ihren Medien recht einseitig informiert

16 VOR: Wo liegen „die Deutschen“ bei ihrem China-Bild am weitesten daneben?

Schmidt: Das ist schwer zu beantworten. Ich habe einmal gesagt, dass für jede Aussage, die man über China macht, auch das Gegenteil dieser Aussage gilt. Das heißt also auch, dass jeder, der etwas über China sagt, nahezu immer Recht hat. Ich stelle aber fest, dass fast alle Deutsche, die zum ersten Mal nach Peking kommen, sehr überrascht sind. Wenn sie zum Beispiel bei blauem Himmel und glasklarer Luft gelandet sind, wundern sie sich über den fehlenden Smog. Es gibt Smog in Peking, manchmal auch sehr starken, das ist nicht falsch. Aber es gibt ihn eben nicht immer. Dann wundern sie sich, wie modern die Stadt wirkt und wie sauber sie ist. Und am meisten wundern sie sich wohl darüber, dass die meisten Chinesen in Peking zwar etwas bescheidener, aber sonst kaum anders als in Deutschland leben. Das liegt dann wohl doch daran, dass die Deutschen von ihren Medien recht einseitig informiert werden.

16 VOR: Was beschäftigt Sie mehr? Die Politik in Deutschland oder die in China?

Schmidt: Mal so, mal so. Wenn gerade in Deutschland politisch mehr los ist, beschäftige ich mich mehr mit deutscher Politik, und vice versa. Am meisten interessiert mich natürlich die deutsche Chinapolitik beziehungsweise die chinesische Deutschlandpolitik. Was mich überhaupt nicht mehr in Deutschland interessiert, ist Parteipolitik. In China haben wir eine Partei, die seit der Gründung der Volksrepublik die Regierung stellt. In Deutschland setzt sich diese eine Partei aus mehreren zusammen, die ebenfalls das Land seit seiner Gründung regieren. Die Regierung wird zwar immer mal wieder von wechselnden Parteien gestellt, die Politik, die diese Parteien machen, ist aber mehr oder weniger immer die gleiche. Das ist nicht so spannend.

16 VOR: Essen Sie in Deutschland in China-Restaurants?

Schmidt: Ja, auch wenn in den meisten China-Restaurants kein chinesisches Essen serviert wird. Aber selbst die Chinesen essen manchmal in diesen Restaurants. In der Not frisst der Teufel Fliegen. Allerdings gibt es inzwischen auch in Deutschland ein paar China-Restaurants, in denen das Essen tatsächlich wie in China schmeckt oder die sich wenigstens dem Original-Geschmack der Gerichte angenähert haben.

16 VOR: Bei offiziellen Empfängen in Trier wird Auswärtigen gerne erzählt, dass mehr Chinesen Trier kennen als Berlin. Wie ist Ihr Eindruck?

Schmidt: Das ist nicht mein Eindruck. Die meisten jungen Mittelklasse-Pekinger kennen Berlin und viele würden am liebsten sofort dorthin ziehen. Über Trier habe ich das noch nicht gehört.

16 VOR: Was erzählt man in Peking über Trier?

Schmidt: Die wenigen Pekinger, die ich kenne und die Trier kennen, haben mir erzählt, dass sie Trier für die schönste Stadt des Universums halten. Genau gesagt, war es ein Pekinger. Und exakt der ist leider im letzten Jahr gestorben. Tja.

16 VOR: Sie sind nicht nur China-, sondern auch Trier-Experte. Vor einigen Jahren schrieben Sie in dem Text „Titten, Duttn, Möpse“ der Reihe „Öde Orte“, dass es in Trier die Frauen mit den größten Brüsten gebe. Waren Sie seitdem nochmal in Trier und können dies immer noch bestätigen?

Schmidt: Ich bin nicht nur Trier-Experte, ich habe in Trier sogar einmal gewohnt und studiert, und zwar in der Johannisstraße. Aus dieser Zeit stammt auch der Große-Brust-Eindruck. Das ist allerdings sehr lange her. Die meisten Ihrer Leser waren da noch nicht geboren. Danach war ich nur noch einmal in Trier, ohne genau sagen zu können, wann das war. Auf weibliche Brüste habe ich da nicht mehr geachtet. Dafür war ich damals schon zu alt. Große Brüste werden übrigens überschätzt.

16 VOR: Haben Sie Pläne, was Sie sich bei Ihrem Trier-Besuch im Oktober anschauen werden?

Schmidt: Dieses alte kaputte Tor vielleicht, das mitten in der Stadt steht. Oder wurde das endlich abgerissen? So hätten wir das in China nämlich längst gemacht, und es danach richtig schön wieder aufgebaut. Und dieser graue Dom könnte auch endlich mal eine neue Fassade gebrauchen. Schon mal an eine Vollverklinkerung gedacht?

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