„Ich muss der Masse nicht folgen!“

Der Veranstaltungsort lag nur einen Steinwurf von der Ostallee entfernt, und natürlich kam auch die Tankstelle wieder zur Sprache. „Facebook in der Stadtplanung?“ lautete der Titel einer Podiumsdiskussion der SPD-Ratsfraktion im Kurfürstlichen Palais. Die große Kontroverse blieb aus, denn in wesentlichen Punkten war man sich einig: Social Media biete große Möglichkeiten in Sachen Bürgerbeteiligung, entlasse die gewählten Entscheidungsträger aber nicht aus ihrer Verantwortung. „Ich muss der Masse nicht folgen“, brachte es OB Klaus Jensen auf den Punkt. Daniel Reichert vom Verein Liquid Democracy e.V. betonte, Online-Beteiligungen müssten wohl überlegt und gut geplant sein. Professor Winfried Thaa beklagte derweil eine fortschreitende Entpolitisierung und den Primat der Ökonomie. Die Parteien versuchten sich mittlerweile vor allem mit Marketingmethoden zu profilieren.

TRIER. Es dauerte nicht lange, da ging ein Raunen durch den Rokokosaal. Zur Einstimmung auf das Thema interviewte Moderator Michael Schmitz vom Trierischen Volksfreund zwei Protagonisten des Tankstellen-Streits vom vergangenen Herbst – darunter Thomas Brück, Mitglied der Jungen Union, Student der Wirtschaftsinformatik und „selbstständiger Berater in allen Fragen des Social Media Marketing“, wie er auf seiner Website schreibt. Brück war maßgeblicher Initiator des Online-Proteststurms gegen die im März 2009 unter Ausschluss der Öffentlichkeit beschlossene Nichtverlängerung des Pachtvertrags für die Tankstelle in der Ostallee. Was denn für ihn die Motivation gewesen sei, sich als Mann aus der Eifel in dieser Frage derart stark zu engagieren, wollte Schmitz wissen. „Ich fand es spannend zu sehen, wie die Bürger reagieren“, antwortete Brück und ergänzte, dass es ihm auch darum gegangen sei, für seine unternehmerische Tätigkeit praktische Erfahrungen zu sammeln.

Das scheint Brück gelungen. Doch nicht nur er und Triers Kommunalpolitiker sind seither um einige Erfahrungen reicher, auch die Anwohner, die gehofft hatten, dass die Lärmbelästigungen durch die Tankstelle am 31. Dezember 2012 ein Ende haben würden. Dem wird aller Voraussicht nach nicht so sein, denn der Stadtrat beschloss bekanntlich im vergangenen November, dass der Pachtvertrag ein weiteres Mal verlängert werden soll. Noch sind die Verhandlungen zwischen der Deutschen BP und der Verwaltung aber zu keinem Ergebnis gelangt, ist zu hören. „Erstaunt und entsetzt“ sei er damals über die ganze Entwicklung gewesen, erklärte Anwohner Ludger Körholz am Montagabend, „das kann man so nicht machen“. Facebook sei „zu schnell und zu oberflächlich“, um politische Entscheidungen zu treffen. Er jedenfalls sei gespannt, wie viele von denjenigen, die via Facebook für den Fortbestand der Tankstelle votierten, diese künftig auch nutzten.

Kaum ein Facebook-Freund auf dem Podium

Das dürfte für Körholz kaum nachprüfbar sein, doch gespannt sein durfte man nach diesem Auftakt auf den Verlauf der Diskussion. Alte Schlachten sollten nicht mehr geschlagen werden, gab Moderator Schmitz gleich zu Beginn der sehr gut besuchten Veranstaltung vor. Die große Kontroverse blieb denn auch aus, was wohl auch daran gelegen haben dürfte, dass wirklich Facebook-Fans auf dem Podium spärlich vertreten waren. „Das Netz ist nicht meine primäre Lebenswelt“, erklärte etwa Professor Winfried Thaa. OB Klaus Jensen (SPD) fehlt nach eigener Darstellung die Zeit, sich in sozialen Netzwerken zu bewegen. Professor Bernd Hamm bezeichnete sich als „Facebook-resistent aus Überzeugung“. Er sei immer wieder erstaunt, „mit welcher Arglosigkeit solche Medien genutzt werden“. Blieben noch Malu Dreyer und Daniel Reichert. Während die Mainzer Sozialministerin über ein Facebook-Profil verfügt und – Stand Dienstagvormittag, 9 Uhr – 3387 „Freunde“ zählte, steht Reichert der Zuckerberg-Plattform eher kritisch gegenüber. Sein Verein Liquid Democracy ist allerdings bei Facebook präsent.

Sodann entwickelte sich eine durchweg sachliche Diskussion über Chancen und Risiken, die soziale Netzwerke für den politischen Prozess bedeuten können. Thaa räumte ein, dass Plattformen wie Facebook „dem Bürger Mobilisierungsmöglichkeiten eröffnen, die er so vorher nicht hatte“. Mit Flugblättern und Infoständen ließen sich schließlich nicht derart schnell vergleichbar viele Menschen erreichen, wie über Facebook. Doch der Politologe gab auch zu bedenken: „Zur Demokratie gehören nicht nur quantitative Mehrheiten“. Wichtig sei doch auch, dass Menschen sich informierten und dann ein Urteil bildeten. Thaa weiter: „Ein Flashmob via Facebook ist noch nicht die Meinung der Bürgerschaft“. Er habe aber den Eindruck, dass genau diese falsche Wahrnehmung die Entscheidung vom vergangenen November begünstigt habe, „und das ist der eigentliche Skandal“.

Daniel Reichert, der einzige externe Gast an diesem Abend, sieht im Web und in den sozialen Netzwerken große Chancen für die Demokratie: „Es geht nicht darum, dass sich jeder bei jedem Thema einbringt, sondern darum, dass, wer möchte, sich einbringen kann“. Was es mit Liquid Democracy auf sich hat, ging in der Diskussion jedoch unter, weshalb ein Blick auf folgende Homepage lohnt. Die spannende Frage für ihn und seine Mitstreiter sei, wie es gelingen könne, dass sich mehr Menschen als bisher in Diskussions- und Entscheidungsverfahren engagierten. „Aber wenn man solche Prozesse macht, muss man das überlegt tun“, riet Reichert.

OB Klaus Jensen verwies derweil auf die insgesamt 15 Methoden der Bürgerbeteiligung, die schon heute in Trier angewendet würden. Allen voran der Bürgerhaushalt sei aus seiner Sicht eine Erfolgsgeschichte. Grundsätzlich freue er sich über „jeden technischen Ansatz“, mit dem sich Menschen für politische Beteiligung gewinnen ließen, erklärte Jensen, aber „man muss das jeweils gewichten“. Denn es gebe fast kein Thema, „bei dem es nicht widersprüchliche Erwartungen gibt“, und da gelte für ihn: „Ich muss der Masse nicht folgen“. Würden, wie bei der Tankstelle, dann vor langer Zeit gegebene Zusagen an die Anwohner wieder kassiert, weil der Stadtrat dies mit Mehrheit so entscheide, komme er gegenüber den Betroffenen in Erklärungsnot: „Das ist das, was der Politik den Kopf kostet“.

Malu Dreyer, die Facebook nach eigenem Bekunden bislang „nicht strategisch“ nutzt, warf die grundsätzliche Frage auf, wie Politiker überhaupt noch Menschen erreichen könnten. Die Ministerin beklagte eine „unheimliche Demokratieverdrossenheit“, die vor allem bei Menschen anzutreffen sei, „die das Gefühl haben, abgehängt zu sein“. Die schwache Beteiligung an der Landtagswahl in Schleswig-Holstein sei insofern ein weiteres Alarmzeichen. Dreyer hob die Bedeutung der Sozialpolitik für die Akzeptanz der Demokratie hervor und erklärte, sie habe „relativ großes Vertrauen“ in die Möglichkeiten, die sich durch das Netz ergäben. Im Übrigen würde das Internet beispielsweise Menschen mit Behinderungen zu einer „neuen Mobilität“ verhelfen.

Professor Thaa beklagt Entpolitisierung

Als ein Zuhörer wissen wollte, inwiefern das Netz denn auch die politische Kultur verändere, und ein anderer Teilnehmer der Veranstaltung die Frage stellte, ob denn die Bürger bei allen Fragen beteiligt werden sollten, wurde die Debatte wieder grundsätzlicher. Thaa erklärte, dass jedes Thema, „worüber vernünftige Leute mit Gründen unterschiedlicher Meinung sind, politisch“ sei. Die Frage sei dann, welche Fragen man auf dem Weg der direkten, und welche mit den Instrumenten der repräsentativen Demokratie entscheide. Der Wissenschaftler beklagte eine schon seit Jahren zu beobachtende Entpolitisierung: Der „Primat der Politik“ habe die Parteien dazu verleitet, „aufgrund geringer Handlungsspielräume sich nur noch mit Marketingmethoden zu profilieren“. Das erkläre zumindest zu einem gewissen Teil die schwachen Wahlbeteiligungen. Ähnlich äußerte sich Bernd Hamm: „Ich frage mich, warum sind die Straßen nicht jeden Tag voll Protest“. Natürlich habe „jeder das Recht, zuhause zu bleiben und sich nicht zu engagieren“, erklärte der Soziologe und fügte sogleich an: „wenn denn das ein Ausdruck der Zufriedenheit mit der repräsentativen Demokratie ist“. Doch offenbar gebe es bei vielen Menschen ein „generelles Unbehagen am Verfahren der Demokratie“, so Hamm, der befand: „Wir sind auf dem Weg in eine andere politische Kultur“.

Der Soziologe, der auch Vorsitzender des Vereins Lokale Agenda 21 Trier e.V. ist, erinnerte an die Vielzahl von Beteiligungsformen. Dazu zähle beispielsweise auch die jüngst gegründete Trierer Energiegenossenschaft. „Man braucht eine kleine Gruppe von engagierten Leuten, die zieht“, so Hamm. Was die Möglichkeiten der Online-Beteiligung anbelangt, brachte Daniel Reichert das Ideal auf den Punkt: „Spannend ist die Frage, wie man viele Menschen möglichst lange an einem Diskurs beteiligen kann“. Dass dieser Diskurs die gewählten Vertreter nicht aus der Verantwortung entlasse, betonten gleich mehrere Redner. So auch Thaa, der ein Plädoyer für die Bürgerbeteiligungsmethode Wahlrecht hielt: Hier gelte jedenfalls der Grundsatz „eine Person, eine Stimme“.

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