„Ich habe großes Mitleid mit den Figuren“

„Ein Abend für Leute mit Haltungsschäden“ kündigt die Autorin Ingrid Lausund ihr Stück „Bandscheibenvorfall“ an, das an diesem Samstag um 19.30 Uhr im Theater Trier Premiere feiert. Gemeint sind jedoch nicht angeborene oder erworbene Fehler des menschlichen Bewegungsapparats, sondern des Charakters. Damit wäre auch schon mal geklärt, dass das Stück, in dem fünf Angestellte sich im Vorzimmer des Chefs gegeneinander auszuspielen versuchen, die Zuschauer mehr nachdenklich als lachen machen soll. So empfindet es auch der Regisseur Anatol Preissler, wie er im Gespräch mit 16vor erzählt.

16vor: Waren Sie schon einmal Mobbing-Opfer?

Anatol Preissler: Nein, selbst ist mir das zum Glück noch nie passiert. Aber gerade wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke, habe ich mich immer für Schwächere stark gemacht, die schikaniert wurden.

16vor: Haben Sie schon einmal, um beruflich weiterzukommen, etwas getan, wofür Sie sich im Nachhinein schämen?

Preissler: Hm… schämen? Nein. Man sollte zu seinen Fehlern stehen und daraus lernen. Ich habe einmal eine Besetzung akzeptiert, um den Konflikt zu vermeiden. Der daraus resultierende Konflikt war es aber nicht wert. Ich hatte meine Lektion gelernt. Dennoch sollte man immer zwischen Rückgrat und Sturheit unterscheiden.

16vor: Muss man sich nicht gerade im Theater besonders häufig verbiegen, um den oft eigensinnigen und gefallsüchtigen Intendanten gerecht zu werden?

Preissler: Ich glaube nicht, dass man sich am Theater mehr oder weniger verbiegen muss als an jedem anderem Arbeitsplatz auch. Natürlich ist es für jeden Berufsanfänger zunächst schwer, sich immer treu zu bleiben und sich gegen Despoten durchzusetzen. Aber ich glaube, wer sich in der Kunst verbiegt, hat auf lange Sicht keine Chance, seine Visionen zu verwirklichen. Und dann bleibt ja noch der berühmte Blick in den Spiegel… Ich für mich kann nur kreativ arbeiten, wenn ich auch hinter meinem Konzept stehe, aber es verlangt oft Diplomatie und Geschick, andere davon zu überzeugen.

16vor: Wie empfanden Sie Ihre Zeit als Regieassistent? Hat man Ihnen Ihre Arbeit leicht gemacht?

Preissler: Lange her. Lehrgeld bezahlt. Aber auch viel gelernt. Hm… Ich inszeniere lieber.

16vor: Sie sind gebürtiger Österreicher. Gibt es für Sie Unterschiede bei der Zusammenarbeit mit Deutschen und mit Österreichern?

Preissler: Geboren bin ich in Bayern, aber mein Pass und mein Herz sind österreichisch. Der Kopf dagegen denkt oft noch sehr deutsch. Natürlich gibt es Mentalitätsunterschiede. Und nicht zuletzt haben viele Österreicher ein musikalischeres Sprachverständnis.

16vor: Welche Figur in „Bandscheibenvorfall“ ist Ihnen am sympathischsten?

Preissler: Keine. Ich habe großes Mitleid mit den Figuren. Aber sie sind alle sehr menschlich. Ich kann Vieles in ihnen verstehen. Alle Figuren verbindet eine große menschliche Leere und eine Sehnsucht. Das macht sie mir fast schon wieder sympathisch.

16vor: Hat die Arbeit zum Stück in Ihnen ein Aha-Erlebnis hervorgerufen in der Form, dass es Sie an eine reale Situation erinnert oder Sie Ihre eigene Haltung reflektieren gelassen hat?

Preissler: Ja. Wenn man sich über so langen Zeitraum mit einem Thema beschäftigt, macht das immer was mit einem, schärft den Blick auf Situationen und lässt einen im besten Fall sich selbst reflektieren.

16vor: Birgt eine Komödie über die Themen Mobbing und Karrierestreben um jeden Preis nicht die Gefahr, dass man nur darüber lacht und sich keine Gedanken über diese Probleme macht?

Preissler: Mit dieser Frage treffen Sie bei mir voll ins Schwarze. „Bandscheibenvorfall“ ist in meinen Augen und auch in den Augen der Autorin keine Komödie. Der Verlag führt es als Schauspiel, die Autorin hat es als „Abend für Leute mit Haltungsschäden“ subtituliert. Und so habe ich das Stück verstanden und inszeniert. Verstehen Sie mich nicht falsch, es gibt Situationskomik, etwas Slapstick, Wortwitz und metaphorische Bilder, bei denen einem das Lachen, das heraus will, im Halse stecken bleibt. Aber komisch finde ich das Ganze nicht. Und die von Ihnen angefragten Gedanken kommen durchaus zum Vorschein. Drängen sich an die Oberfläche und reißen seelische Abgründe der Figuren auf. Aber genau das macht dieses Stück so reizvoll.

Print Friendly, PDF & Email

von

Schreiben Sie einen Leserbrief

Angabe Ihres tatsächlichen Namens erforderlich, sonst wird der Beitrag nicht veröffentlicht!

Bitte beachten Sie unsere Kommentarrichtlinien!

Noch Zeichen.

Bitte erst die Rechenaufgabe lösen! * Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.