„Ich bin länger als Karl Marx“

Selten zuvor erlebte das Trierer Stadtmuseum einen vergleichbaren Ansturm: Hunderte Menschen drängten sich am Sonntagmittag im völlig überfüllten Trebeta-Saal, viele Besucher drangen erst gar nicht bis zum Ort des Geschehens vor. Für die enorme Resonanz auf die Eröffnung der Karl-Marx-Installation des Künstlers Ottmar Hörl dürfte allen voran der Vorsitzende der Linken-Bundestagsfraktion gesorgt haben. Gregor Gysis schon im Vorfeld umstrittener Auftritt geriet zu einem leidenschaftliche Plädoyer für einen zeitgemäßen Umgang mit dem berühmtesten Sohn der Stadt. Man solle sich bei der Beurteilung von dessen Lebenswerk nicht „vom Missbrauch leiten lassen“, werde Marx aber auch nicht durch Ikonisieren gerecht. Den Trierern riet er, mehr Kapital aus der Bekanntheit des Philosophen zu schlagen, die Universität nach ihm zu benennen und schon morgen einen Brief an die Bundeskanzlerin zu schreiben, auf dass diese eine Förderzusage für die Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag gebe.

TRIER. Jens Guth muss man nicht kennen, noch nicht. Der Mann ist seit ein paar Monaten Generalsekretär der rheinland-pfälzischen SPD, als Nachfolger des neuen Sozialministers Alexander Schweitzer. Am Sonntag ist Guth Redner Nummer Zwei – nach dem eigentlichen Gastgeber, Kulturdezernent Thomas Egger, und vor Harry Thiele, dem Vorsitzenden der Kulturstiftung Trier. Er begrüße die vielen Menschen im Saal und die rund 200 draußen, die gekommen seien, „um unser aller Reden“ zu hören, beginnt der Sozialdemokrat sein Grußwort und hat die Lacher gleich auf seiner Seite. Eine nette Pointe, denn natürlich wusste Guth, dass die meisten wohl wegen eines Mannes gekommen waren – Gregor Gysi. Es gab auch Menschen, die wegen Gysi nicht kamen.

Dass der Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im Bundestag bei dieser Veranstaltung Hauptredner sein würde, hatte schon im Vorfeld für heftige Diskussionen gesorgt. Von einem „unsäglichen Auftritt“ sprach der CDU-Bundestagsabgeordnete Bernhard Kaster, schließlich komme mit Gysi der letzte Vorsitzende der SED. Am Samstag dann wurde durch einen Bericht des TV bekannt, dass der eigentlich auch als Redner vorgesehene Fraktionschef der Union im Trierer Stadtrat, Dr. Ulrich Dempfle, wieder aus dem Programm gestrichen worden war. Angeblich, weil zwischenzeitlich der Kulturdezernent seine Teilnahme zugesagt hatte und damit ein Vertreter der Stadt. Was Thomas Egger am Sonntag zu der Bemerkung veranlasste, er habe nicht gewusst, zu welchen „diplomatischen Verwirrungen“ das alles führte, ansonsten er seinen freien Tag auch durchaus als solchen genossen hätte. Inhaltlich ging der ehemalige Freidemokrat nicht näher auf Karl Marx ein. Aber, so Egger, Marx sei nun einmal der bekannteste Trierer und sorge für Aufmerksamkeit weit über die Grenzen der Stadt hinaus. „Karl Marx zieht an“, befand auch Guth, der „real existierende Kapitalismus“ habe dafür gesorgt, dass das Interesse an ihm und seinen Theorien wieder gestiegen sei. Und Harry Thiele meinte nach Guths „etwas politisch angehauchter Rede“: „Kultur ist Politik und macht auch Politik“. Für den Vorsitzenden der Kulturstiftung ist „Kunst das, was polarisiert“, insofern sei es „vortreffliche Kunst, die wir hier zeigen“.

Die „vortreffliche Kunst“ zeigt sich in Gestalt von rund 500 Karl-Marx-Figuren in den Farben Signalrot, Rubinrot, Purpurrot und Blutorange, die seit vergangener Woche vor allem den Bereich um die Porta Nigra bevölkern und für Aufsehen sorgen. Geschaffen hat die einen Meter hohen Skulpturen Ottmar Hörl, der bei der Eröffnung nicht weiter in Erscheinung trat. „Ich bin länger als Karl Marx“, stieg der nicht eben groß gewachsene Hauptredner ein und sorgte sogleich für Erheiterung. Wer erwartet hatte, Gysi werde ein bedeutungsschwangeres Referat halten oder gar eine Eloge auf Marx liefern, der wurde enttäuscht. Der Vormann der Linken bot stattdessen einen pointierten und differenzierten Vortrag, und natürlich kreiste dieser auch um die Frage, wie stolz man und allen voran der Trierer heute noch auf Marx sein darf.

Gysi ging die Frage grundsätzlich an und zeigte an zwei Beispielen auf, wie schwer man sich hierzulande mit dem Umgang mit historisch ambivalenten Persönlichkeiten tue. Er mache sich keine Illusionen, dass es in einer mehrheitlich von der Linken regierten Stadt kaum durchsetzbar wäre, auch nur ein kleines Gässchen nach Otto von Bismarck zu benennen. Sofort würden dann dessen Missetaten ins Feld geführt, die drei Kriege etwa, oder das Verbot der Sozialdemokraten. Dass es Bismarck auch gelang, aus einem Sammelsurium von Kleinstaaten ein deutsches Reich zu formen, würde keine Rolle mehr spielen, setzte Gysi sein anschauliches Gedankenspiel fort. Und genauso wäre es wohl umgekehrt im Falle Clara Zetkins, der bedeutenden Frauenrechtlicherin und sozialistischen Politikerin, Mitglied der KPD, die 1932 Alterspräsidentin des Reichstags war und den Nationalsozialisten klar die Meinung sagte. 1933 aus der KPD ausgeschlossen, ging sie im selben Jahr ins Exil, wo sie im gleichen Jahr starb und an der Mauer des Kremls beigesetzt wurde. „Sie hat keine Verbrechen begangen“, so Gysi, doch bis heute habe es kein Kanzler für nötig befunden, das Grab Zetkins in Moskau aufzusuchen. Das unterscheide Deutschland von Frankreich. Er jedenfalls sei sich sicher, dass jeder Präsident der Republik, gleich welcher politischen Couleur, anders gehandelt und Zetkin längst seine Ehre erwiesen hätte – so die denn eine Französin gewesen wäre.

„Ich mag keine rechte und keine linke Intoleranz“, so Gysi weiter, „ich möchte, dass wir ein unverkrampftes Verhältnis zu Marx bekommen“. Zweifellos seien dessen Ideen missbraucht worden, nicht zuletzt von den Machthabern der DDR; „wir sollten uns nicht vom Missbrauch leiten lassen, aber auch nicht durch Ikonisieren“. Es gebe denn auch keinen Grund für die Trierer, „nicht stolz auf Karl Marx zu sein“. Sodann griff der Linken-Fraktionschef eine ewig währende Diskussion auf: Es gebe in Deutschland ja mittlerweile keine Universität mehr, die nach Marx benannt sei, gab er zu bedenken und wurde spontan von Beifall unterbrochen; „nur so als Ratschlag“.  Es sei für ihn auch nicht recht nachvollziehbar, weshalb es an der Trierer Universität nicht zumindest einen Karl-Marx-Lehrstuhl gebe, der sich durchaus kritisch mit dessen Lehren und dem, was aus ihnen gemacht wurde, auseinandersetzen könne. Sodann appellierte er an die Verantwortlichen, schon jetzt den 200. Geburtstag des großen Sohns der Stadt vorzubereiten: „Ich an Ihrer Stelle würde gleich morgen einen Brief an die Bundeskanzlerin schreiben“, empfahl er, bei Angela Merkel schon mal um Unterstützung für den wirklich runden Geburtstag nachzusuchen; „und wie ich sie kenne, wird sie nicht ’nein‘ sagen“. Das Jubiläum im Jahr 2018 werde weltweit für Aufsehen sorgen, ist Gysi überzeugt. Da könne er ganz beruhigt sein, erklärte Kulturdezernent Thomas Egger dem Gast aus Berlin, die Vorbereitungen für das Großereignis in fünf Jahren seien schon im Gange.

Was Künstler und Verantwortliche durchaus beunruhigen muss – der Schwund an Marx-Figuren. Offenbar betrachten manche Zeitgenossen diese als Volkseigentum, das sich unentgeltlich privatisieren lässt. Mehr als 20 Exemplare sollen bereits abhanden gekommen sein, hieß es am Rande der sonntäglichen Veranstaltung. „Es gibt schlimmere Straftaten als der Diebstahl einer Karl-Marx-Büste“, hatte Gysi gleich zu Beginn seiner Rede gescherzt und noch rasch versucht, die Kurve zu bekommen: „Aber das schwächt die Kultur“, weshalb er doch dafür plädiere, die Figuren nicht zu entwenden, sondern käuflich zu erwerben. Eine Besucherin, die nach eigener Aussage einen Monat Zeitungen ausgetragen hat, um sich das Geld für die Hörl-Figur zu verdienen, fand Gysis Bemerkung gar nicht lustig – und ließ sich ihren Marx dennoch von ihm signieren.

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