„Ich bin ja hier nicht vor Gericht“

In einem Monat tritt Malu Dreyer die Nachfolge Kurt Becks an. Mit der Trierer SPD-Vorsitzenden zieht erstmals eine Frau in die Mainzer Staatskanzlei ein. Das zu betonen missfällt der Sozialministerin indes, am liebsten würde sie gar nicht mehr über Gleichstellung in der Politik reden. Im Interview mit 16vor spricht die designierte Ministerpräsidentin über das Medienecho auf ihre Nominierung, Fehler in der Agenda-Politik und ihre künftige bundespolitische Rolle. Außerdem erklärt die 51-Jährige, weshalb ihr Männer wie Peer Steinbrück mitunter lieber sind als viele Frauen und welche Vorzüge das Enneagramm hat. Mit Blick auf ihre bevorstehende Aussage im Nürburgring-Prozess betont die künftige Regierungschefin die Ressortzuständigkeit der Minister. Eine erneute Kandidatur ihres Mannes Klaus Jensen für das Amt des Trierer Oberbürgermeisters würde Dreyer begrüßen.

16vor: Frau Ministerin, die Süddeutsche titelt „Die Gute“, für BILD sind Sie „Deutschlands tapferste Politikerin“, und der Cicero müht sich tapfer, die „Härte der Prinzessin“ heraus zu kehren. In welchem der vielen Artikel, die seit dem 28. September über Sie erschienen, fühlten Sie sich eigentlich am besten getroffen?

Malu Dreyer: Es gibt viele Artikel, in denen ich mich gut getroffen fühle, wenngleich ich mich natürlich nicht mit allen Zuschreibungen und Headlines identifizieren kann. Im Moment freue ich mich aber einfach nur über die Sympathie, die mir entgegen gebracht wird.

16vor: Kurt Beck hat für sein Scheitern als SPD-Bundesvorsitzender auch den Berliner Medienbetrieb verantwortlich gemacht. Die Berichterstattung über Ihre Nominierung war derart positiv, dass Ihre Fallhöhe inzwischen enorm ist. Wie wappnen Sie sich dagegen, dass also zu hohe Erwartungen in Sie gesetzt werden?

Dreyer: Ich wappne mich da überhaupt nicht! Dafür bin ich ja viel zu lange in der Politik, als dass ich nicht wüsste, dass es auch wieder andere Zeiten geben kann. Und ich weiß auch, dass ich mich in meiner künftigen Aufgabe als Ministerpräsidentin darauf einstellen muss, dass die Opposition mich stärker kritisieren wird. Aber ich denke, die Menschen hier in Rheinland-Pfalz kennen meine Art, Politik zu machen, und deshalb wissen Sie, was sie erwarten können.

16vor: Helmut Schmidt hat einmal gesagt, ein Politiker dürfe nicht lügen, aber er müsse auch nicht zu jedem Zeitpunkt das sagen, was er weiß. In diesem Sommer fragte ich bei Ihnen an, ob Sie als Kandidatin für die Beck-Nachfolge bereitstünden. Sie antworteten damals, das sei für Sie kein Thema. Hatten Sie sich bei Ihrer Antwort an Schmidts Devise orientiert?

Dreyer:(Lacht) Das würde ich erst einmal nicht bestätigen. Es ist so, dass mich die Frage, ob ich mir die Nachfolge Kurt Becks zutraue, über Monate beschäftigt hat, also noch vor einem konkreten Anlass. Das war ein langer und intensiver Prozess, und ich wollte Gewissheit haben, wenn denn die Frage auf mich zukommen würde. Ich bin wirklich dankbar, dass ich mir diese Zeit nehmen konnte.

16vor: Als Ministerpräsidentin werden Sie künftig zu den Sitzungen des SPD-Bundesvorstands eingeladen. Werden Sie nun stärker bundespolitisch in Erscheinung treten, oder bevorzugen Sie da eher das Modell Erwin Sellering (Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern; Anm. d. Red), der außerhalb seiner Landesgrenzen nicht wahrgenommen wird?

Dreyer: Wir haben eine besondere Situation, weil Doris Ahnen dem Bundesvorstand angehört, was ich auch sehr gut finde. Aber ich werde schon schauen, dass ich den Kontakt zur Bundesspitze regelmäßig suche. Die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten werden regelmäßig eingeladen. Stärker in Erscheinung treten werde ich in dem Sinne, dass ich versuche, in Berlin etwas für Rheinland-Pfalz zu bewegen. Da wird sich der Kontakt also in erster Linie auf die Kollegen Ministerpräsidenten konzentrieren. Und wenn die Bundes-SPD meine Unterstützung braucht, beispielsweise im Bundestagswahlkampf, dann werde ich natürlich dabei sein.

16vor: Zur Landespolitik: Ihre ehemaligen Kabinettskollegen Bruch und Bamberger sagten vor dem Landgericht Koblenz aus, dass sie sich von Ex-Finanzminister Deubel in Sachen Nürburgring immer umfassend und überzeugend unterrichtet fühlten. Wie muss man sich das vorstellen: Wird in den Sitzungen des Ministerrats auch mal die Arbeit der Kollegen hinterfragt, oder funkt man sich da nicht gegenseitig in den Geschäftsbereich?

Dreyer: Natürlich wird auch mal nachgefragt. Aber im Grundsatz gilt die Ressortzuständigkeit. Das ist auch gar nicht anders zu machen. Wir führen riesige Ressorts, da ist es gar nicht denkbar, dass man Details von Themen anderer Ministerien kennt. Nehmen Sie den Landeskrankenhausplan: Da geht es um viele Details und viel Geld, und da gibt es auch Ärger, weil sehr viele betroffen sind. Natürlich setzt sich die Ministerin damit intensiv auseinander, aber nicht die Kollegen.

16vor: Hatten Sie persönlich denn seinerzeit Zweifel an Deubels Darstellungen geäußert, oder fanden Sie alles plausibel, was der Professor vortrug?

Dreyer: Ich bin ja hier nicht vor Gericht und werde jetzt meiner Aussage nicht vorgreifen. Aber nochmal: Grundsätzlich gilt, dass der jeweilige Minister die Verantwortung für sein Ressort trägt und man erst einmal den Kollegen vertraut.

16vor: Einige Personalentscheidungen haben Sie schon getroffen, andere werden folgen. Stimmt es, dass Sie wichtige Mitarbeiter in Ihrem Umfeld auch auf Basis des Enneagramms auswählen?

Dreyer: (Lacht) Nein, das stimmt nicht. Solche Entscheidungen treffe ich nach einem intensiven Dialog, da gilt es viel mehr abzuwägen. Ich kenne das zwar und manchmal hilft mir das Enneagramm auch, Menschen besser zu verstehen. Aber Personalentscheidungen davon abhängig machen, das mache ich nicht. Ich wüsste ja zum Beispiel auch nicht, welcher Persönlichkeits-Typ Marcus Stölb nach dem Enneagramm ist, obwohl wir uns ja jetzt auch schon eine Weile kennen.

16vor: Sie arbeiten viel mit Frauen zusammen. Haben Sie den Eindruck, dass Peer Steinbrück bei Frauen gut ankommt?

Dreyer: Seit dem Parteitag von Hannover bin ich da sehr optimistisch. Peer Steinbrück hat eine intelligente und witzige Rede gehalten und vor allem unsere frauenpolitischen Positionen klar benannt, was ich sehr wichtig finde. Für mich ist auch nicht entscheidend, ob ein Mann oder eine Frau für unsere Positionen eintritt. Ein Mann, der für die richtige Quote kämpft, ist mir lieber als eine Frau, die für die Flexi-Quote ist.

16vor: Die Bewerbungsrede Peer Steinbrücks hat Sie begeistert, wie Sie sogleich auf Facebook posteten. Aber was empfanden Sie bei der Nachricht, dass er erst kurz vor dem Parteitag eine Rede vor einer Bank absagte?

Dreyer: Ich denke, dass Peer Steinbrück das Nötige dazu gesagt hat. Man sollte sich eher darüber unterhalten, wie wir mehr Transparenz in die Nebentätigkeiten von Abgeordneten bringen. Aber das hat die CDU ja kürzlich wieder verhindert.

16vor: Auf dem Parteitag war neben Schmidt auch Gerhard Schröder zu Gast. Die SPD tut sich bis heute schwer mit der Bilanz der rot-grünen Jahre, insbesondere wegen der Agenda-Politik. Fanden Sie die Hartz-Reformen im Grundsatz richtig?

Dreyer: Ich fand vieles an der Reform richtig, aber manches auch falsch. Allerdings finde ich es auch etwas dramatisch, dass man nach so vielen Jahren noch alles daran misst, was damals vielleicht nicht so gut lief. Einiges wurde ja inzwischen auch korrigiert, auch unter Kurt Beck, als dieser SPD-Bundesvorsitzender war. Ich denke, dass die Flexibilisierung durchaus nötig war, aber dass sie vielleicht zu weit gegangen ist. Ein Punkt ist mir besonders wichtig: Wenn man die „Agenda 2010“ damals direkt mit einem Mindestlohn verbunden hätte, hätte es viele der Probleme nicht gegeben. Aber die Notwendigkeit eines flächendeckenden Mindestlohns war damals noch nicht herrschende Erkenntnis in der SPD, übrigens auch nicht in den Gewerkschaften. Das war wirklich ein Fehler, aber ich bin froh, dass sich diese Erkenntnis in meiner Partei inzwischen durchgesetzt hat.

16vor: Sie kamen relativ spät zur SPD, als Sie schon Bürgermeisterin von Bad Kreuznach waren. Gab es Vorbehalte gegenüber einer Parteimitgliedschaft oder gar ernsthafte Alternativen, etwa die Grünen?

Dreyer: Ich komme aus einem CDU-Haushalt, aber ich war immer links und auch eine Rot-Grüne. Anfangs war ich aber vor allem außerhalb von Parteien politisch aktiv, beispielsweise bei Amnesty. Als ich mich dann der SPD anschloss, tat ich das aus großer Überzeugung. Einfach weil mir das Thema soziale Gerechtigkeit immer am wichtigsten war.

16vor: Nicht wenige Politiker, auf der lokalen Ebene angefangen, neigen zu Lagerdenken. Nach dem Motto: Das Personal der Konkurrenz taugt grundsätzlich nichts. Wenn Sie könnten: Welchen Politiker aus CDU oder FDP, egal aus welchem Bundesland, der heute noch in Verantwortung steht, könnten Sie sich in Ihrem Kabinett vorstellen?

Dreyer: Da fällt mir gerade niemand ein.

16vor: Sie haben mehrfach betont, dass die Menschen in Ihrem Wahlkreis keinen Trier-Bonus erwarten dürften, da Sie für das ganze Land Verantwortung trügen. Können Sie uns denn sagen, wann endlich das Verkehrskonzept für die Region vorliegt, mit dem Rot-Grün den Abgesang auf Moselaufstieg und Nordumfahrung begründete?

Dreyer: Das Verkehrskonzept für die Region Trier hat eine hohe Priorität in der Landesregierung. Die Verkehrsbelastung in Stadt und Umland ist enorm, auch stellt die Region ein wichtiger Transit- und Verbindungsraum für die Großregion und Europa dar. Bereits in diesem Frühjahr 2013 wird die Verkehrsstudie vorliegen, so dass wir die Ergebnisse rechtzeitig für die Aufstellung des Bundesverkehrswegeplans auswerten und berücksichtigen können.

16vor: Ein weiteres Thema ist die Theater-Sanierung. Ohne großzügige Landesförderung wird es nicht gehen, Städte wie Kaiserslautern und Mainz konnten sich bei ihren Häusern hierauf verlassen. Wird das Land eine umfassende Sanierung des Trierer Theaters so großzügig fördern, dass die Stadt ihren Eigenanteil stemmen kann?

Dreyer: Das war die feste Absicht und ist es nach wie vor. Es steht nicht infrage, dass das Theater mit der Unterstützung des Landes rechnen kann, aber hier warten wir auf eine Konzeption der Stadt, damit wir in konkrete Verhandlungen eintreten können. Ich wünsche mir, dass dies spätestens Anfang 2014 der Fall sein wird.

16vor: Die Süddeutsche bezeichnete Sie und Klaus Jensen als „rotes Traumpaar“ von Rheinland-Pfalz. Ihr Mann hat sich noch nicht festgelegt, ob er noch einmal für das Amt des Oberbürgermeisters kandidieren wird. Würde die Trierer SPD-Vorsitzende es denn begrüßen, wenn er noch einmal anträte?

Dreyer: Ich würde es selbstverständlich begrüßen, aber das soll meinen Mann jetzt nicht in seiner Entscheidungsfreiheit einengen.

16vor: Etliche Journalisten haben Sie in den vergangenen Wochen interviewt. Ganz ehrlich: Welche Frage können Sie inzwischen nicht mehr hören?

Dreyer: Ich wäre einfach total froh, wenn wir nicht mehr über die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Politik reden müssten. Da nervt mich nicht die konkrete Frage, sondern dass wir immer noch darüber reden müssen.

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