Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben…

Harter Techno auf der einen Seite, harter Alltag auf der anderen. Während in den zunächst noch beschwingten Schlager-Remixen und in den Szenen dazwischen anfangs noch der Wunsch nach einer schönen, heilen Welt zum Ausdruck kommt, wird die Musik im Laufe des Stückes immer kälter und ernster. Denn die Realität hat für Johannes Pinneberg und Emma Mörschel ein anderes Leben vorgesehen als von ihnen erhofft. Intrigen, Leichtgläubigkeit und eigenes Unvermögen bringen dem jungen Liebespaar in Zeiten der Wirtschaftskrise Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot. Gerhard Webers Inszenierung der Revue „Kleiner Mann, was nun?“, die am Samstagabend im Großen Haus Premiere hatte, weiß vorzüglich zu unterhalten. Von Hans Falladas Vorlage bleibt allerdings nicht mehr viel übrig, und das Mitgefühl für die beiden Hauptfiguren hält sich in Grenzen.

TRIER. „Wie wär’s, wenn wir uns heiraten würden?“, fragt Pinneberg seine schwangere Freundin. „Besser ist es schon, wenn der Murkel einen Vater hat“, antwortet sie. Es waren nicht nur Kleinbürger, die Anfang der 30er Jahre so dachten, auch wenn Emma Möschel und ihr Partner als solche bezeichnet werden können. Sie haben ein Einkommen, eine Wohnung und sie lieben sich – das kleine Glück scheint perfekt. Da darf man auch mal von mehr träumen: „Einmal um die ganze Welt und die Taschen voller Geld“ singt Michael Ophelders verkleidet als Flugkapitän. Im Hintergrund tanzen Menschen in pinkfarbenen Jogginganzügen mit aufblasbaren Flugzeugen.

Nach 15 Minuten hat das inzwischen verheiratete Paar seinen ersten Streit: Emma, genannt „Lämmchen“ (warum eigentlich „Lämmchen“? Sie wirkt weder sanft noch unschuldig), bemerkt, dass ihr „Junge“ in der Öffentlichkeit seinen Ehering verbirgt, und stellt ihn zur Rede – sie legt großen Wert auf gegenseitige Aufrichtigkeit, womit sie es später selbst aber auch nicht allzu genau nimmt. Er erzählt ihr, dass sein Chef ihn mit seiner Tochter verkuppeln wolle, und er Angst habe, seinen Job zu verlieren, wenn sich herausstelle, dass er bereits liiert ist. „Nur nicht arbeitslos werden“, sagt Pinneberg. „Warum soll es uns schlechtgehen?“, versucht Emma ihn zu beruhigen, schließlich lebe man doch anständig. Das übertriebene Lächeln von Sabine Brandauer und die extrem gut gelaunten Mitwirkenden bei dem Comedian-Harmonists-Schlager „Wochenend und Sonnenschein“ im House-Mix deuten bereits an, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen der Welt, wie das Paar sie sich vorstellt und wie sie tatsächlich ist.

Natürlich kommt heraus, dass Pinneberg verheiratet ist. Seine Kollegen verweigern die zuvor versprochene Unterstützung, und ihm wird unter einem fadenscheinigen Grund gekündigt. Doch schnell keimt wieder Hoffnung auf: Pinnebergs ordinäre, laute Mutter verspricht Arbeit in Berlin – mit Paul Linckes „Berliner Luft“ im Techno-Gewand wird die neue Umgebung passend eingeführt. Mia Pinnebergs ordinärer, aber gutmütiger Liebhaber Jachmann besorgt dem ehemaligen Buchhalter einen Job bei einem Herrenausstatter. Dort setzt ihn sein neuer Vorgesetzter nach kurzer Zeit mit einer Verkaufsquote unter Druck. „Was sie jetzt machen – mit den Arbeitern schon lange und nun auch mit uns: Sie ziehen lauter Raubtiere hoch“, beginnt Lämmchen Kapitalismus zu verstehen. Hinzu kommen Intrigen eines Arbeitskollegen, der auch für die Entlassung von Pinnebergs Freund Heilbutt verantwortlich zeichnet. Pinneberg, der zudem offensichtlich nicht sonderlich zum Verkäufer taugt, verliert auch diesen Job.

Dass das Paar zwar tief stürzt, aber nicht vollends auf der Strecke bleibt, liegt nicht, wie das Ende allenfalls Romantiker glauben macht, an ihrer Zuneigung zueinander und ihrem Zusammenhalt, sondern an hilfsbereiten Menschen in ihrem Umfeld und daran, dass sie etwas von ihrer Naivität abgelegt haben. Das heißt nicht, dass sie von ihrer aufrechten Lebensweise abrücken mussten. Auch wenn sich Lämmchen – wohl aus Dankbarkeit – recht viel von Jachmann gefallen lässt (Klaps auf den Hintern, Kuss auf den Mund), bleibt sich das Ehepaar in jeder Hinsicht treu.

Allzu betroffen macht die Entwicklung der Protagonisten nicht. Zum einen zeichnet sich zum Schluss wieder eine positive Wendung ab, zum anderen ist der soziale Abstieg der Beiden zum Teil auch selbstverschuldet. So mangelt es Pinneberg schlichtweg lange an Rückgrat und Durchsetzungsfähigkeit. Der Hauptgrund, warum sich die Empathie in Grenzen hält, sind die Hauptdarsteller: Alina Wolff (Lämmchen) und Matthias Stockinger (Pinneberg) sind zu gut gekleidet und sehen zu gut aus, als dass man ihnen einen derartigen sozialen Abstieg abnähme. Die bewegendsten Auftritte haben die beiden Schauspieler in ihren Gesangssolos.

Es liegt aber auch an der Inszenierung, warum einem das Mitgefühl mit den Hauptfiguren schwer gemacht wird. Zum einen steht Gerhard Weber für eine Revue dieses Ausmaßes nicht genug Personal zur Verfügung. Obwohl fast das ganze Schauspielensemble zum Einsatz kommt, muss beinahe jeder mehrere Rollen übernehmen. Auch wenn sich die Darsteller irre schnell umziehen, kommt es zu kleinen Pausen zwischen den Musikeinlagen und den Szenen, die den Fluss etwas unterbrechen.

Zum anderen hat der Intendant die Vorlage, Tankred Dorsts und Peter Zadeks Adaption von Hans Falladas Roman, gerafft – so ist zum Beispiel auch von der Weimarer Republik und dem aufkommenden Nationalsozialismus nur wenig zu spüren. Und drittens möchte Weber die Zuschauer zum Lachen bringen, was immer wieder die Spannung löst. So hat das Publikum Tränen in den Augen, als Peter Singer mit über dem Bauchnabel hängender Hose und riesiger Blumenkrawatte im Bund von einem an den Jacob Sisters angelehnten Trio neu eingekleidet wird (Kostüme: Claudia Caséra).

Weber hat bis auf die Protagonisten und die Intriganten (Klaus-Michael Nix spielt die beiden „Saukerle“ Kleinholz und Kessler ausgezeichnet) die Figuren lustig angelegt. Ophelders ist nicht nur als singender Pilot äußerst komisch, sondern auch in seiner Rolle als Heilbutt sehr amüsant, Daniel Kröhnert beweist Talent für Travestierollen, und bei Sabine Brandauer als eine Art Puffmutter muss man laufend an die wandlungsfähige Iris Berben in „Sketchup“ denken. Auch Tim Olrik Stöneberg als sympathischer Proll Jachmann ist eine gute Besetzung.

Die meiste Unterhaltung bieten die musikalischen Einlagen, die entsprechend der Stimmung der Hauptfiguren im Laufe der Revue vom beschwingten Schlager zum ernsten Chanson wechseln. Der Trierer Pianist und Komponist Sebastian Matz bringt mit seinen elektronischen Remixen teilweise hundert Jahre alter Stücke richtig Schwung in die Musikpassagen. Der zeitgemäße Sound und die überzeichneten Showelemente machen diese gut zweistündige Revue richtig rund. Ein Sozialdrama, wie es einst Fallada in seinem Roman entwarf, darf man nicht erwarten.

Weitere Termine im März: Freitag, 8. März, 20 Uhr; Sonntag, 10. März, 18 Uhr; Dienstag, 12. März, 20 Uhr; Samstag, 16. März, 19.30 Uhr; Mittwoch, 20. März, 20 Uhr; Samstag, 23. März, 19.30 Uhr;  Sonntag, 31. März, 16 Uhr.

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