Es gibt kein richtiges Studium im falschen

Es ist ruhig geworden um die Bologna-Reform, der Widerstand gegen sie hat sich mit den politischen Korrekturen in Konsens aufgelöst. Es institutionalisiere sich nun schrittweise, was die Substanz der deutschen Universität zerstöre, warnt der angehende Langzeitstudent und 16vor-Mitarbeiter Volker Haaß. Deswegen sieht er sich in der Pflicht, ein Plädoyer zu veröffentlichen gegen stumpfes Reproduzieren, funktionalistisches Studieren und die neue Diktatur im Hochschulwesen.

Ich werde nun auch zum Angstgespenst der Konstrukteure der Bachelor- und Master-Reform – ich werde nun ein Langzeitstudent. Und das fühlt sich persönlich viel besser an, als heutzutage landläufig gerne vermittelt wird. Es ist auch kaum vermeidbar, will man denn das Studium mehr als Lebensphase denn als Ausbildungsperiode verstanden wissen. Schließlich gehe ich lieber in die dritte Diskussionsveranstaltung in der Woche, anstatt mich von morgens bis abends mit Kennzahlen, Äquivalenzumformungen und Koordinatensystemen auseinanderzusetzen. Und die Leute, welche diese Veranstaltungen organisieren, das sind oftmals auch Langzeitstudenten – mit gutem Grund. Aber gerade sie machen den Campus zu einem Ort des gemeinschaftlichen Entwickelns, statt ihn zu einer Zertifikatefabrik für technokratische Spezialisten verkommen zu lassen.

In den ganzen Diskussionen über das Für und Wider der Reform kann schnell verdeckt werden, wo das Hauptproblem liegt. Und das ist nicht, wie es die politisch Verantwortlichen nun gerne kommunizieren, ein Herumschrauben an der ein oder anderen Stellschraube wie beispielsweise vereinzelte Lockerungen der Studienpläne. Die Crux ist nicht nur systemimmanent, sondern geradezu die Wurzel des neuen Studiensystems. Und unabhängig von einzelnen Modifikationen bleiben die Grundgedanken dieser Bildungsperversion gleich: Vereinheitlichung, Reproduktion und Kontrolle. Der Student ist nicht mehr partizipierender Teil der Hochschule, sondern wird nun in jeder Form zu einem passiven Empfänger standardisierten Wissens.

Marius Reiser, Theologieprofessor a.D. und erster Rebell gegen die Reform, begründete denn auch seinen kategorischen Protest mit den Worten: „Das Ganze zielt mit innerer Konsequenz auf ein großes Lehrbuch ab, das nur noch vorgelesen werden muss.“ War früher methodikfokussierte Wissenschaftlichkeit das Markenzeichen der deutschen Universitäten, ist dieser Grundsatz einem anwendungsorientierten Fächerkanon gewichen. Wo einst die Studienzeit als Lebensabschnitt der Selbstentfaltung galt, die über das eigene Fachstudium weit hinausging, regiert heute allenthalben die Bürokratie. Und deren Menschenbild ist nicht gerade von Vertrauen und Optimismus geprägt.

Von Paul-Valéry, einem der wichtigsten französischen Denker des 20. Jahrhunderts, stammt der Satz: „Echte Tradition in großen Werken besteht nicht darin, dass man wiederholt, was die anderen gemacht haben, sondern dass man den Geist wiederfindet, der jene großen Werke schuf und in anderen Zeiten ganz andere hervorbringen würde.“ Das war für einige Jahre das Fundament und die Stärke der deutschen Hochschullandschaft. Und dieses Ideal existiert nun mit der Reform nicht mehr, genau deswegen ist deren schrittweise Umsetzung auch ein solches Drama.

Wurden früher nämlich wissenschaftliche Arbeiten sowie Theorien gelesen und kritisch besprochen, ist mit der Schnelligkeitshysterie der neuen „marktorientierten Bildungspolitik“, wie es Kurt Darsow kürzlich in einem Radiofeature für den Westdeutschen Rundfunk formulierte, das stumpfe Reproduzieren en vogue: „Was meinen Sie mit dieser Frage? – Schreiben Sie einfach, was auf der Folie steht“. Und dabei stellt sich zwangsläufig eine der Quantität geschuldete Oberflächlichkeit ein. So klagt heute jeder Bachelor-Student nicht nur über einen übervollen Stundenplan, der gerade in den ersten Semestern mit Präsenszeiten von bis zu 30 Stunden den Einstieg in die universitäre Selbstgestaltung konterkariert, sondern genauso über die fehlende Tiefgründigkeit des behandelten Stoffes. Wer beispielsweise Ökonomie auf Bachelor studiert, hat weder ein fundiertes Wissen, noch, was wesentlich gravierender und folgenreicher ist, eine eigene Idee von der Wirtschaft. Es ist vielmehr so, als würde man Kafka kennen, weil man sich die Klappentexte auf dem Buchumschlag durchgelesen hat.

Und noch einmal: Es ist nicht damit getan, den ein oder anderen Kurs aus dem Studienplan zu nehmen oder aber die Regelstudienzeit zu verlängern – es bleibt der gleiche wirtschaftsdominierte Geist von Noten und Nachweispflichten, der nunmehr die Hochschule von heute aushöhlt . Auch mit der „Reform der Reform“ bleibt jedes Modul, jede Vorlesung in erster Linie ein funktionales Punktesammeln, statt wie früher mit Teilnahmescheinen das persönliche Interesse des Studenten zu fördern. Daneben wird der Bachelor-Abschluss niemals seinen Discount-Charakter innerhalb der Zertifikate-Rangordnung verlieren.

Schlussendlich gibt es im Sinne einer demokratisch sich selbst reflektierenden Gesellschaft keine optimistische Zukunftsvision für diese Art von Studium. Gerade auch deshalb kann die Erklärung nicht gelten, im eigenen Bachelor-Studium das Beste aus den gegebenen Verhältnissen gemacht zu haben: Es gibt kein richtiges Studium im falschen. Denn im Endeffekt passiert dadurch, was Rainer Werner Fassbinder schon bei seiner Effi-Briest-Verfilmung beschwor: „Viele, die eine Ahnung haben von ihren Möglichkeiten und Bedürfnissen und dennoch das herrschende System in ihrem Kopf akzeptieren durch ihre Taten und es somit festigen und durchaus bestätigen.“

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