Eine gemeinsame Zukunft in der realen Welt?

Weil sich die Fans von „Gut gegen Nordwind“, das in der vergangenen Spielzeit mit großem Erfolg im Studio des Trierer Theaters aufgeführt wurde, eine Fortsetzung des Bestsellers gewünscht haben, kam der Autor Daniel Glattauer dem nach und erzählte in „Alle sieben Wellen“ die Geschichte der E-Mail-Romanze zwischen Leo und Emmi weiter. Zur Sicherheit hat er das Ende wieder so gestaltet, dass sich mühelos ein weiterer Teil anschließen ließe. Aber will man das? „Alle sieben Wellen“ hatte am vergangenen Wochenende Premiere im Studio. Passenderweise mit denselben Darstellern, einer ähnlichen Kulisse und wieder in der Inszenierung von Werner Tritzschler.

TRIER. Emmi nimmt nach Monaten wieder Kontakt zu Leo auf. Nach mehreren E-Mails, die nicht ankommen, erhält sie eine Antwort von ihm. Leo war für ein Jahr nach Boston geflohen und ist nun wieder zurück in Deutschland. Nicht nur die unglückliche Liebe zu Emmi hatte ihn zu diesem Schritt getrieben. Sofort springt der Funke zwischen beiden wieder über, obwohl Emmi immer noch verheiratet ist und Leo in Amerika „jemanden kennen gelernt“ hat. Man beschließt, sich – endlich einmal – zu treffen. Natürlich nicht, ohne zuvor den Zweck und die Richtigkeit eines solchen Treffens und der neuentfachten E-Mail-Beziehung überhaupt zu hinterfragen.

Dieses Zaudern gleich zu Beginn zieht sich durch das ganze Stück. Beide Protagonisten sind nicht in der Lage, sich über ihre Gefühle im Klaren zu werden – keiner weiß so richtig, was er genau will. So etwas kommt vor in einer Beziehung, aber für Außenstehende – in diesem Fall die Zuschauer – kann so ein Rumgeeiere anstrengend sein. Man möchte mit keinem der beiden befreundet sein, weil man schnell von dieser Unentschlossenheit genervt wäre. Vielleicht werden in dem Stück auch deshalb nur die Partner und Therapeuten erwähnt und keine Freunde.

Professionelle psychologische Hilfe haben die Hauptfiguren auch dringend nötig. Vor allem Emmi, die offenkundig unter einer bipolaren Störung leidet – zumindest wird sie so von Vanessa Daun dargestellt. Ihre Stimmungsschwankungen sind extrem. Auch Leo neigt zu starken emotionalen Ausbrüchen. Wie Daun ist auch Jan Brunhoeber als Leo eine gute Besetzung als zwar rationalerer, aber nicht wesentlich souveränerer Teil dieser hilfsbedürftigen Beziehung.

„Alle sieben Wellen“ ist besonders durch die Erzählweise nicht minder kurzweilig als „Gut gegen Nordwind“. Die Dialoge haben ein hohes, manchmal ein zu Lasten der Verständlichkeit gehendes zu hohes Tempo, da die ausschließlich aus E-Mail-Korrespondenz bestehende Geschichte im Zeitraffer wiedergegeben wird. Bis zu einer Antwort dauert es nur den Bruchteil einer Sekunde, eine Nacht – optisch durch eine Sternenhimmel-Projektion auf Jalousien im Hintergrund dargestellt – ist in wenigen Augenblicken vorbei. Die Zeit zwischen dem Schriftverkehr wird angedeutet durch eine Positionsänderung der Figuren. Sie verschwinden dann hinter schwarzen Wänden, die zeigen, wie irrelevant ihre Umgebung ist, und die man schon aus „Gut gegen Nordwind“ kennt. Emmi wechselt auch zweimal die Garderobe.

Die realen Treffen – es kommt zu mehreren Zusammenkünften – werden als mit Kunstfilter verfremdete Videos gezeigt. Das hat den interessanten Effekt, dass die über den Schriftwechsel hinausgehende Beziehung unwirklich erscheint. Gefühle und Gedanken hingegen werden real dargestellt. Wenn sich beispielsweise Leo und Emmi beim Schreiben nahe fühlen, umarmen sie sich auf der Bühne. Oder wenn sich Leo Emmi sexy tanzend vorstellt, tanzt sie sexy über ihm. Gerade diese Szene ist in der Inszenierung von Werner Tritzschler (Dramaturgie: Peter Oppermann) sehr gut umgesetzt. Die wahren, unverfälschten Gefühle kommen also ausschließlich beim gegenseitigen Schreiben auf. Kann diese Verbindung folglich nur im Internet funktionieren?

Wahrscheinlich. Ganz gewiss nicht funktioniert allerdings eine hundertprozentige Übertragung des Romans auf die Bühne. Zum einen liegt der Text – selbst wenn man nicht von einem E-Mail-Verkehr, sondern von einem dem mündlichen Dialog ähnlicheren Chat ausgeht – zu nah an der gesprochenen Sprache. Darin gibt es zum Beispiel Gesprächspartikel, die in der Schriftsprache untypisch sind. Zudem wird der Adressat auch noch nach der Anrede unnatürlich häufig mit seinem Namen angesprochen. Dieses Manko ist in der Vorlage nicht so offensichtlich, da diese formal nur aus E-Mails besteht, was unter anderem durch eine Betreffzeile dargestellt wird.

Zum anderen sehen wir auch keine nüchternen Buchstaben vor uns, sondern zwei Personen, die den Text in der entsprechenden Gemütslage wiedergeben und vielleicht etwas überzeichnet ihre Empfindungen beim Schreiben auch nach außen zeigen und sich dabei sehr oft von ihren Laptops wegbewegen. Dadurch hat man eher das Gefühl, einem Dialog als einem Schriftwechsel zu folgen. Ein bisschen mehr physische Nähe zum Computer und weniger Schreierei und Gegen-Wände-schlagen würde die Illusion eines E-Mails-Austausches verstärken. Auch mit Mimik alleine lassen sich sehr starke Emotionen darstellen.

Nichtsdestoweniger bietet die Inszenierung dank der Leistung der Schauspieler, des Regisseurs, der rasanten Erzählweise und der besonders in der letzten halben Stunde auch knackigen Sprache 75 Minuten gute Unterhaltung. Die nicht gerade vielschichtigen Figuren und deren ewiges Hin und Her sind einem inzwischen jedoch gleichgültig geworden. Es hat sich kaum eine Entwicklung vollzogen. Möge sich deren Schöpfer nicht zu einer weiteren Fortsetzung hinreißen lassen.

Aufgrund der großen Nachfrage bei „Alle sieben Wellen“ – alle Vorstellungen bis Ende Dezember sind ausverkauft – hat die Theaterleitung zwei zusätzliche Termine am Mittwoch, 14. November (20 Uhr), und Freitag, 7. Dezember (20 Uhr), angesetzt.

Die Rezension von „Gut gegen Nordwind“ finden Sie hier.

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