„Du bist ein großer Glücksfall für unser Land“

Malu Dreyer ist nun nicht mehr nur „designierte“ Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz. Nachdem Kurt Beck am Mittwoch seinen Rücktritt eingereicht hatte, wählte der Mainzer Landtag die langjährige Sozialministerin erwartungsgemäß zur neuen Regierungschefin. Anders als ihre Kolleginnen in Erfurt, Düsseldorf und Saarbrücken schaffte es Dreyer gleich im ersten Wahlgang ins Amt. Der Stabwechsel verlief reibungslos, einzig Landtagspräsident Joachim Mertes schien dem historischen Moment seinen feierlichen Ernst nehmen zu wollen. Beck verabschiedete sich mit manch selbstkritischem Wort, aber auch mit viel Stolz auf die eigene Bilanz; Dreyer nannte ihn einen „ganz großen Glücksfall für unser Land“. Die Triererin startet mit einem enormen Vertrauensvorschuss. Derart positiv war das Medienecho, dass manche Redaktion auch übers Ziel hinaus schoss.

TRIER. Ein „Public Viewing“ gab es nicht, zumindest nicht in Trier. Dabei waren die Voraussetzungen durchaus gegeben. Das SWR-Fernsehen übertrug die Sondersitzung des Landtags live, niemanden hätte es gewundert, wenn sich im Schammatdorf die Nachbarschaft zum gemeinschaftlichen TV-Gucken getroffen hätte. Dem war aber nicht so, lediglich ein kleiner Sekt-Empfang sei demnächst geplant, hört man. Während die Siedlung im Süden Triers dank ihrer berühmten Dorfbewohnerin in den vergangenen Wochen für reichlich Schlagzeilen sorgte und inzwischen bundesweit Bekanntheit genießt, spielte die Musik am Mittwoch in der Landeshauptstadt.

„Mainz ist auch schön“, scherzte  Parlamentspräsident Mertes mit Blick auf den Trierer Oberbürgermeister, der auf der Ehrentribüne des Landtags Platz genommen hatte. Dort sah man noch weitere Genossen aus der Moselstadt: Anita Haehser, Frau des im vergangenen Herbst verstorbenen Ex-Staatssekretärs Karl Haehser war gekommen, ebenso die Künstlerin und ehemalige Stadträtin Waltraud Jammers. Auch Sven Teuber, Chef der sozialdemokratischen Ratsfraktion und einer der potenziellen Kandidaten für das Amt des Trierer SPD-Chefs, das Dreyer bald abgeben wird, weilte unter den Gästen der Sondersitzung des Landtags.

Als das letzte Mal ein neuer Ministerpräsident vereidigt wurde, hieß der Landtagspräsident noch Christoph Grimm. Auch ihn sah man am Mittwoch auf der Ehrentribüne. Der heute 69-Jährige wurde 1994 als potenzieller Nachfolger von Rudolf Scharping gehandelt, der nach seiner Niederlage als SPD-Kanzlerkandidat bei der Bundestagswahl als Oppositionsführer nach Bonn gewechselt war. Auch Florian Gerster wurden seinerzeit Ambitionen auf die Scharping-Nachfolge nachgesagt, doch machte am Ende Kurt Beck das Rennen, damals Chef der SPD-Landtagsfraktion. Dass Dreyer am Mittwoch als erste Frau an die Spitze der Landesregierung rückte, hat sie – außer sich selbst – gewissermaßen auch diesen drei Männern zu verdanken: Beck, weil er sie zur Sozialministerin machte, als Gerster auf Wunsch Gerhard Schröders 2002 die Leitung der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg übernahm, und weil er ihr im vergangenen Sommer seine Nachfolge antrug; Grimm war früh auf die talentierte Pfälzerin aufmerksam geworden, er sieht sich als einer ihrer Entdecker. Fakt ist: Schon früh hatte sich der Trierer öffentlich dafür ausgesprochen, dass die Sozialministerin dereinst an die Spitze des Landes rückt.

Beck: Das tut mir leid

Dort ist Dreyer nun angekommen, nach einer Wahl, die ohne böse Überraschungen für die einzige Kandidatin ablief. Das unterscheidet sie von ihren aktuell drei Kolleginnen: Sowohl Hannelore Kraft (SPD) in Nordrhein-Westfalen als auch Christine Lieberknecht in Thüringen und Annegret Kramp-Karrenbauer (beide CDU) hatten bei ihrer erstmaligen Wahl zur Ministerpräsidentin mindestens einen zweiten Wahlgang benötigt. In Mainz stand die klare Mehrheit der Koalitionsfraktionen, 60 Stimmen entfielen auf Dreyer, 40 Parlamentarier votierten gegen sie. Damit war auch die einzige Oppositionspartei geschlossen aufgetreten, einer ihrer Abgeordneten hatte gefehlt.

Bevor seine Nachfolgerin gewählt wurde, hatte sich Kurt Beck in einer kurzen Ansprache verabschiedet. Nachdenklich aber äußerlich gefasst sprach er vor dem Plenum, trug er seinen Dank an unterschiedlichste Akteure und die Bürger des Landes vor. Die Menschen in Rheinland-Pfalz hätten seit dem Krieg „unglaubliches geleistet“, erklärte der Mann, der mehr als 18 Jahre die Regierungsgeschäfte führte. Becks Botschaft: Das Land steht heute besser denn je da. Doch er ging, wenn auch indirekt, ebenso auf die eher unglückliche Endphase seiner langen Amtszeit ein. Ohne den Nürburgring beim Namen zu nennen, erklärte er: „Mir persönlich war es immer peinlich, wenn Fehler passieren. Mir tut das leid“. Zugleich könne man bei einer Gesamtschau aber zu der Bewertung kommen, dass das Land unter seiner Führung gut gefahren sei, hielt er seinen Kritikern entgegen. Maßstab für seine Arbeit sei immer gewesen, dass es sozial gerecht zugehe und das Bildungssystem durchlässig sei. Becks Credo:  Das „Wir“ müsse Vorgang vor dem „Ich“ haben.

Nach seiner Rede erhoben sich die Abgeordneten von ihren Plätzen und applaudierten mehrere Minuten lang. Auch die Union sparte nicht mit anerkennendem Beifall für die Lebensleistung des 63-Jährigen, die Christdemokraten waren ebenfalls aufgestanden. Als der Applaus abgeebbt war, meinte der Landtagspräsident zu einem Dankeschön ausholen zu müssen – an die Abgeordneten der CDU für diese „herzliche Geste“, mit der die Opposition Stil bewiesen habe. Da blickte nicht nur Fraktionschefin Julia Klöckner ein wenig konsterniert drein, denn Mertes‘ Bemerkung klang mehr wie eine Belehrung – als hätte der eigentlich in seinem Amt zur Neutralität verpflichtete Landtagspräsident nicht damit gerechnet, dass die Union sich dem Anlass angemessen verhalten würde.

Dem Moment bisweilen unangemessen schien die Ansprache des Parlamentschefs. Es fiel nicht ganz leicht, Mertes zu folgen, und mitunter hatte es den Anschein, als wolle der gelernte Bäckermeister der Veranstaltung den feierlichen Ernst austreiben. Etwa als er daran erinnerte, wie Beck in Lederjacke und „Hosen mit so einem Schlag“ in den Landtag eingezogen sei. Sein Mandat als Abgeordneter wird Beck übrigens im Februar niederlegen – nach fast 34 Jahren Abgeordnetendasein. Dass er die aktuelle Oppositionschefin dann wohl eher wenig vermissen wird, ist auch Julia Klöckner bewusst. Doch es klang keinesfalls aufgesetzt, als die CDU-Landesvorsitzende Beck „Gottes Segen und Gesundheit“ wünschte. Es sei schließlich nicht selbstverständlich, 18 Jahre ein Land zu führen und sich im Bundesrat für die Interesse von Rheinland-Pfalz einzusetzen, so Klöckner; „deshalb sage ich schlichtweg „Danke“‚

Glückwünsche von Bischof und Kaster

Das tat auch Dreyer in ihrer ersten Ansprache als Ministerpräsidentin:“Lieber Kurt Beck, Ihnen, Dir, gebührt höchste Achtung und Anerkennung. Du bist ein ganz großer Glücksfall für unser Land gewesen und wirst es auch weiterhin sein.“ Dann streckte Dreyer die Hand in Richtung Opposition aus: „Lassen Sie uns vor allem miteinander sprechen, weniger übereinander. Nicht die Herkunft einer Idee ist entscheidend, sondern ihr Wert und ihr Nutzen für unser Land. Meinen Beitrag dazu werde ich leisten“, versprach sie.

Da hatten im entfernten Trier die ersten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens schon ihre Glückwünsche in Umlauf gebracht. Der Bischof zum Beispiel: Er freue sich auf eine Fortsetzung der „konstruktiven Zusammenarbeit“ mit Dreyer. Diese habe er in der Vergangenheit „stets als vertrauensvoll, offen und verlässlich“ erlebt. Noch schneller als Stephan Ackermann war indes Bernhard Kaster. Der Trierer CDU-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete wünschte der Sozialdemokratin nur wenige Minuten nach der Wahl, „bei aller Wichtigkeit und Bedeutung des Amtes auch weiter private Lebensfreude und persönliches Glück zu genießen und mit der zeitraubenden Aufgabe geschickt zu vereinbaren.“ Kaster weiter: „Als Bundestagsabgeordneter unserer gemeinsamen Heimatregion Trier ist es mir auch ein Anliegen, eine gute Zusammenarbeit zu wünschen und anzubieten“.

Gleich nach ihrer Wahl nahm die neue Ministerpräsidentin ihre ersten Amtshandlungen vor. Zunächst ernannte sie den 2,06 Meter großen ehemaligen SPD-Generalsekretär Alexander Schweitzer als neuen Sozialminister und eigenen Nachfolger. Mit seiner Körpergröße sprengte Schweitzer sogleich den Bildaufbau beim „Familienfoto“ des neuen Kabinetts. Am Nachmittag folgte dann die Ernennung von Dreyers bisheriger Sozial-Staatssekretärin Jacqueline Kraege zur neuen Chefin der Staatskanzlei. Weitere Ernennungsurkunden überreichte Dreyer an den neuen Staatssekretär für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie, David Langner, und an den künftigen Ständigen Vertreter der Chefin der Staatskanzlei, Clemens Hoch. Außerdem ernannte die Ministerpräsidentin Begoña Hermann zur neuen Vizepräsidentin der Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Nord in Koblenz. Da schrieb sueddeutsche.de schon von einer „Kür ohne Makel“, derweil welt.de die „Strahlefrau“ an die vielen Baustellen in ihrem Land erinnerte. Übers Ziel hinausgeschossen war derweil die Frankfurter Rundschau, die ein Porträt Dreyers mit „Die Unbefleckte“ überschrieb.

„Die Stimmung zwischen Abschied und Aufbruch hat mich bewegt“, berichtete am Ende des Tages die Chefin der Sozialdemokraten im Landkreis, Katarina Barley. Dreyer sei „eine beeindruckende Persönlichkeit, die beweist, dass Fachkompetenz, Führungsstärke, Integrität und ein offenes Wesen zusammen gehen können“, schwärmte die Direktkandidatin ihrer Partei für den Bundestag. Sie freue sich nun „auf das, was kommt“, so Barley. Ihr Parteifreund Sven Teuber freute sich derweil über eine neue Erfahrung: „Schön zu sehen war, dass auch eine so erfahrene und sichere Politikerin wie Malu Dreyer noch angespannt sein kann“. Gegenüber 16vor sprach der SPD-Ratsfraktionschef von einem „sehr ergreifenden Tag. Die Herzlichkeit von Malu war bis in den letzten Winkel des Saals spürbar“. Bei aller Herzlichkeit, als langjährige Ministerin weiß Dreyer um die Härte des politischen Geschäfts, wie sie dieser Tage in einem Interview mit der Berliner Tageszeitung taz deutlich machte: „In der Politik gibt es keine Gnade. Da muss man total nüchtern mit umgehen.“

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