„Diese Härte habe ich nicht gewollt“

„Jugend- und Sozialarbeit auf dem Abstellgleis?“, lautete der Titel einer Diskussionsveranstaltung am Mittwochabend im Mergener Hof. Derart groß war der Andrang, dass es erst gar nicht der Redebeiträge bedurfte, um für dicke Luft im völlig überfüllten Keller zu sorgen. Mitarbeiter von freien Trägern griffen Rat und Verwaltung an, diese ließen es an der nötigen Wertschätzung für die Arbeit der Verbände missen. Die heftig in die Kritik geratene Bürgermeisterin Angelika Birk (B90/Die Grünen) konterte die Vorwürfe, räumte aber ein, dass die Kommunikation zwischen Rathaus und Trägern verbessert werden könnte. Frust und auch Existenzängste herrschen bei vielen Betroffenen, die nun hoffen, dass ihre Botschaft bei den Entscheidungsträgern angekommen ist – zumindest bei denen, die am Augustinerhof Verantwortung tragen.

TRIER. Dieser Tage schaffte es die Trierer Bürgermeisterin in die überregionale Presse, wenn auch her unfreiwillig: In einem Beitrag der Welt  tauchte die Grüne auf. Redakteur Daniel Friedrich Sturm brachte kürzlich eine Biographie über den designierten SPD-Kanzlerkandidaten und hoch dotierten Vortragsreisenden Peer Steinbrück heraus, nun schrieb Sturm über dessen Verhältnis zu Frauen, „die sich allein als Frauenpolitikerinnen verstehen und im schlimmsten Fall noch jede Äußerung emotional gestalten“. Angelika Birk sei „solch eine Frau“ gewesen, schreibt Sturm, „für ihre umständliche und ineffiziente Art fehlte Steinbrück jedes Verständnis“. Birk und Steinbrück gehörten in der zweiten Hälfte der 90er Jahre zeitgleich der Kieler Landesregierung an. Während der Sozialdemokrat zwischenzeitlich von der Landes- auf die Bundesbühne wechselte, verschlug es die Grüne wieder in die Kommunalpolitik. Seit fast drei Jahren steht Birk an der Spitze des Sozialdezernats.

Am Mittwochabend steht sie auf einer Bühne im mit mehr als 300 Menschen gefüllten Keller des Jugendzentrums Mergener Hof, neben ihr der von Reinhold Spitzley (Palais e.V.) als „neutraler Moderator“ angekündigte Dieter Lintz. Der TV-Redakteur hatte vergangene Woche schon mal die Tonlage vorgegeben, von einem „Aufstand der Enttäuschten“ schrieb Lintz in der Lokalzeitung und attesierte „Birk, Jensen und Co.“ ein „politisches Debakel“. Gut möglich, dass die Bürgermeisterin dem Moderator vor diesem Hintergrund die Neutralität nicht mehr so recht abnehmen wollte, doch dürfte Birk auch so klar gewesen sein, was sie bei dieser Diskussion erwartete.

„Wir haben das Gefühl, unsere Arbeit wird nicht wirklich wertgeschätzt“, gab Spitzley zum Auftakt die Stimmung unter den Verbänden wieder. Die Mitarbeiter arbeiteten „am Limit“, seien bedrückt ob der ungewissen weil planlosen Situation. „Im öffentlichen Dienst wird jede Lohnerhöhung weitergegeben, bei uns nicht“, beklagte der Palais-Chef, und dass in einem Nachtragshaushalt schon mal 300.000 Euro zusätzlich für den Kita-Ausbau durchgewunken würden, die Verbände aber im laufenden Haushalt 168.000 Euro einsparen mussten. Auch Hilger Hoffman vom Ex-Haus klagte über fehlende Verlässlichkeit, zudem werde die Bedeutung der freien Träger für die Jugendarbeit völlig unterschätzt. Bis zum 14. Lebensjahr gebe es mit dem Hort noch ein Angebot, „dann hört die Förderkette“ auf, so Hoffmann.

Dem Moderator klang all das zu zahm, ob denn alles nur ein kleines Kommunikationsproblem sei, wollte Lintz wiederholt wissen. Doch nun hatte erst einmal Birk das Wort: Die Grüne verwies auf den Bund, der einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz beschlossen hat – weshalb die Jugendämter der Rathäuser nun alle Hände voll damit zu tun hätten, ausreichend Betreuungsangebote zu schaffen. Sie teile dieses Ziel ausdrücklich, betonte die Bürgermeisterin, nicht aber die Haltung der Kommunalaufsicht, dass Leistungen für die freien Träger lediglich „freiwillige Aufgaben“ sind, bei denen im Zweifel gekürzt werden kann. Sodann kam Birk auf das Thema Kommunikation zu sprechen: „Ich ziehe mir den Schuh nicht an, wir hätten nicht miteinander geredet oder ich hätte das von oben herab bestimmt“. Das Gegenteil sei der Fall gewesen. Zudem hätten sie und OB Klaus Jensen eine ursprüngliche Sparvorgabe der ADD von einer Million in vielen Gesprächen auf 168.000 Euro heruntergehandelt. „Diese Härte habe ich nicht gewollt, aber ich stand vor der Alternative, diese Auflage zu erfüllen, oder aber der Haushalt wäre nicht genehmigt worden“.

Jörg Drekopf von der Mobilen Spielaktion e.V. deutete „im Teil Verständnis“ an, auch sehe er den Auftrag „zu schauen, was ist machbar“. Doch all das helfe ihm und seinen Kolleginnen nicht mehr weiter. Seit 2006 habe es für seinen Verein keine Erhöhung der Zuschüsse mehr gegeben, angesichts der Teuerung habe sich so schon jetzt eine faktische Kürzung von 10 Prozent ergeben. Mit der Sparvorgabe von 5 Prozent in diesem Jahr werde das bestehende Angebot akut gefährdet. „Wir haben immer versucht, unsere Leistungen aufrecht zu erhalten“, so Drekopf, doch sei dies bald wohl nicht mehr möglich; auch, weil man inzwischen 15 Mitarbeiter auf 400-Euro-Basis beschäftige. Jugendamtsleiter Achim Hettinger widersprach der Wahrnehmung, ihm und seinen Kollegen im Jugendamt fehle die Wertschätzung für die freien Träger: auch ihm sei daran gelegen, zu einer „kooperativen Atmosphäre“ zurückzukehren. Doch, so Hettinger weiter, stehe man ebenfalls unter den Zwängen des Gesetzgebers und der Kommunalaufsicht – „wir haben auch Not“. Als Petra Moske (Nestwärme) lautstark einwarf, Menschen wie Hettinger seien unkündbar und bekämen als Angestellte des öffentlichen Dienstes regelmäßig Gehaltssteigerungen, während viele Mitarbeiter freier Träger nicht auf Weihnachtsgeld hoffen könnten, erntete sie hierfür viel Applaus und einen Konter von Birk: Ob Frau Moske denn ernsthaft glaube, dass sich die Probleme lösen ließen, wenn man nur die Rathausbediensteten entlasse?

Das würde in der Tat kaum weiterhelfen, doch Hilfe versprechen sich viele der Beteiligten von den Ziel- und Leistungsvereinbarungen, welche die Verwaltung mit den Trägern plant. Seit eineinhalb Jahren verhandle man darüber, kritisierte Jürgen Etzel vom Diakonischen Werk und zweiter Mann der Liga, “ aber wir sind bis heute nicht zu Potte gekommen“. Birk griff den Ball auf: Ihr sei es „sehr wichtig gewesen, dass wir verlässlichere Strukturen bekommen“, erklärte sie, derartiges hat es unter ihrem mehr als 20 Jahre amtierenden Vorgänger Georg Bernarding (CDU) schließlich nie gegeben. Doch als die Verträge quasi unterschriftsreif gewesen seien, hätten die Vorgaben der ADD ihr die Geschäftsgrundlage entzogen. Heinz Müller vom Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz e.V., das die Stadt bei der Ausrichtung von Workshops für die Vereinbarung von Zielvereinbarungen unterstützte, sah alle Beteiligten „auf einem guten Weg“. Ein solcher Prozess brauche aber Strukturen, und diese zu entwickeln brauche wiederum Zeit. Müller verwies zudem auf einen wichtigen Aspekt: „Wann hat in den letzten zehn Jahren jemand mal ernsthaft über das Thema Jugend diskutiert?“, fragte er in die Runde; seit Jahren werde doch nur noch über Kita-Ausbau und Ganztagsschulen debattiert, nicht aber über die Bedarfe der freien Träger der Jugendarbeit.

„Wir haben das Gefühl, wir laufen gegen Mauern“, so Spitzley. Ein Ohnmachtsgefühl, von dem auch Mitglieder der im Rat vertreten Fraktionen ein Lied singen können – und es dann auch sangen. „Mich muss niemand mehr bekehren, aber wir werden ja immer fremdbestimmt“, klagte Hans-Alwin Schmitz (FWG) mit Blick auf die ADD sein Leid. Woraufhin ein Mann aus dem Publikum aufgebracht in den Saal rief: „Also ist es egal, wen ich wähle?!“. Marc-Bernhard Gleißner schlug den Bogen vom Kommunalen Entschuldungsfonds zu 400-Euro-Jobs und warf den Ratsmitgliedern der anderen Parteien vor, einfach nicht energisch genug Position zu beziehen und nicht gegen die Sparvorgaben vorzugehen. Sven Teuber (SPD) hatte sichtlich Mühe, die Äußerungen Gleißners zu ertragen. Der Sozialdemokrat kritisierte, dass die „Lobby der Ortsbeiräte viel größer ist als im sozialen Bereich“. Nur so sei auch zu erklären, weshalb regelmäßg Geld für neue Kunstrasenplätze bereitgestellt werde. Ihre Fraktion habe gegen die Kürzung im Sozialbereich gestimmt, bemerkte die Grüne Petra Kewes, „aber jetzt müssen wir das beste draus machen“. Jürgen Plunien (CDU) unterstrich derweil wieder die Notwendigkeit verlässlicher Ziel- und Leistungsvereinbarungen. Zwar sei es richtig, dass der Stadtrat die Mittel für die einzelnen Träger in den vergangenen Jahren nicht aufgestockt habe, aber „wir haben jedes Jahr neue Träger mit aufgenommen“.

Spitzley erklärte am Tag danach gegenüber 16vor, er habe den Eindruck, dass die politischen Vertreter die Botschaft vernommen und erkannt hätten, dass es nicht bloß um ein paar Euro, sondern ans Eingemachte gehe. Man werde demnächst Gespräche mit den Fraktionen führen. Angelika Birk sagte, sie wolle die Ziel- und Leistungsvereinbarungen voranbringen und erreichen, dass die Zuschüsse zumindest auf dem ursprünglichen Niveau von 2012 zurückgeführt werden, also vor der 5-Prozent-Sparvorgabe. Das sei dann immer noch nicht ausreichend, aber sie wolle auch nichts versprechen, was sie nicht halten könne.

Und was hält die Grüne nun von Peer Steinbrück und der gemeinsamen Zeit im Kabinett Heide Simonis? Der Sozialdemokrat sei ein „starke Minister“ gewesen, „ohne ihn ging nichts“. Aber Steinbrück sei eben auch „ein Technokrat, und das ist nicht meine Vorstellung von Politik und Demokratie.“

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