„Die Zeiten sind heute anders“

Mitten in der Innenstadt, wo die Fußgängerzone gesichtslos ist und dem Auge nichts bietet als Beton, immergleiche Schaufenster und grelle Sonder-Rabatte, stemmt sich eine kleine Auslage gegen den Trend zur Austauschbarkeit. Stephan Blumann hat auf gerade mal 16 Quadratmetern Auslage eine Insel der Nostalgie eingerichtet: Retro-Kult und regionale Lebensmittel, eingebettet in ein liebevoll eingerichtetes Tante-Emma-Ambiente. Ein Konzept, mit dem der 48-jährigen Betreiber gerne expandieren würde.

TRIER. „Moskau behauptet: Kriegsschiff der Königin griff Sowjetfrachter an!“ – Nicht nur die dramatische Schlagzeile der Bild-Zeitung vom 25. Mai 1965 verweist auf eine andere Zeit. Sie liegt in der Auslage zwischen 20-Mark-Scheinen, blechernen Kaffeedosen, Emaille-Schildern und Waagschalen. Alles atmet den Geist längst vergangener Tage. Das 21. Jahrhundert hat Hausverbot in Stephan Blumanns kleinem Glaskasten.

Im Oktober vergangenen Jahres hat der 48-Jährige in einem ausgelagerten Schaufenster der Galeria Kaufhof eine Ausstellungs- und Verkaufsfläche für nostalgische Produkte und regionale Lebensmittel geschaffen. Zuvor war die Fläche als konventionelles Schaufenster genutzt worden, als Blumann dem Geschäftsführer seine Idee vom kleinen, alten Krämerladen vortrug, bekam er sofort den Zuschlag und moderate Mietkonditionen. Die Affinität des gelernten Drogisten zu allem, was mit Kaufläden zu tun hat, hatte er zwischenzeitlich zum Beruf gemacht: Über Jahre verdiente er sein Geld mit einer eigenen Firma zur Ausstattung und Einrichtung von Geschäften. „Ich habe die Läden eingerichtet, die Inhaber geschult, Eröffnungen organisiert“, erzählt Blumann. Eine Arbeit, die ihm Freude machte – bis im November letzten Jahres sein wichtigster Kunde wegbrach und der Lebensunterhalt nicht mehr zu decken war. Seitdem ist der Familienvater zwar arbeitslos, aber „ein Stehauf-Männchen“, wie er sagt. Parallel zur Jobsuche richtete er die kleine Verkaufsfläche mit allerlei Habseligkeiten aus dem letzten Jahrhundert ein. Teils aus privater Sammlung, teils aus Wohnungsauflösungen nostalgischer Sammler.

Die Leidenschaft des 48-Jährigen für die gute, alte Zeit der Tante-Emma-Läden kommt nicht von ungefähr. Schon als sechsjähriger Steppke stand er in der elterlichen Drogerie in Schweich hinter dem Tresen und bediente die Kundschaft. Als Konservativer, der in der Vergangenheit lebt, möchte Blumann sich nicht bezeichnen lassen, wohl aber als Nostalgiker. Er zeigt auf eine antiquierte Waage, die im Schaufenster steht. „Die stammt noch aus der Drogerie meiner Eltern, damit habe ich bis 1996 Tee für unsere Kunden abgewogen. Dass jemand 50 Gramm Brennesseltee bestellen konnte, das ist heute ja kaum mehr vorstellbar“, erzählt er, und muss lachen. Ein Lachen, dass nicht lange anhält. „Die Zeiten“, sagt er , „sind heute anders“. Das Drogeriewesen, in dem er aufgewachsen ist und gelernt hat, gibt es nicht mehr. Gegen die heutigen Ketten habe man als einzelner Drogist keine Chance mehr.

Die Tür klingelt, als eine Familientraube den kleinen Raum betritt und auch fast ausfüllt. Enkelin und Großmutter haben sich im Vorbeigehen für den gleichen Kaufladen aus den Fünfzigerjahren begeistert. Die Mutter ist noch unschlüssig, man will später wieder reinschauen. „In Ordnung“, sagt Blumann und verabschiedet die Frauen. Sein Kundenkreis ist breit gefächert: Studenten stöbern in den alten Zeitungen und Werbeplakaten; Touristen sind dankbar für die Alternativen zum Porta-Nigra-Schlüsselanhänger als Trier-Souvenier. Aber auch ältere Leute kommen in den Laden und erzählen Blumann von ihren Erinnerungen an die Zeit, als es noch echte Tante-Emma-Läden gab. Er hört dann gerne zu, das Gespräch mit den Leuten ist ihm wichtig.

Es klingelt wieder. Eine Frau mit windzerzausten Haaren tritt ein und sagt: „Wie immer“. Man grüßt sich, man kennt sich. Blumann händigt ihr einen Viererkarton Viezflaschen aus und verabschiedet sie. „Dann bis zum nächsten Mal“, sagt er. Die kleine Verkaufsfläche ist zweigeteilt: Gehört die größere, buntere Ecke den nostalgischen Dosen und Schildern mit den geschwungenen Schriften und strahlenden Gesichtern, sind rechts der Theke die Lebensmittel aufgereiht. Eine – für die bescheidene Größe der Verkaufsfläche – stattliche Auswahl an Feinkostprodukten: Wein, Marmeladen, Aufstriche und Wildspezialitäten. Bei der kulinarischen Ausstattung schöpft Blumann aus seinen über Jahre hinweg aufgebauten Kontakten in die regionale Feinkostszene. Ein Feld, das er gerne weiter ausbauen würde, wenn man ihn denn ließe: „Ich könnte mir gut vorstellen, auch im größeren Stil den Vertrieb für kleine Betriebe zu übernehmen, als Sprachrohr für regionale Lebensmittel zu dienen.“ Vertrieb, Werbung, Verkauf – all diese Aufgaben, die in sehr kleinen Betrieben oft auf der Strecke bleiben, weil die Macher nur nebenbei produzieren. Um in größerem Stil regionale Produkte zu vermarkten, bräuchte er allerdings eine weitaus geräumigere Verkaufsfläche, denn die Gewinnmargen bei Nahrungsmitteln sind dünn. Deshalb sucht Blumann im Moment nach einem Ladenlokal, in dem er seinen Traum vom Tante-Emma-Laden weiterspinnen könnte, das er gerne auch um eine Café-Ecke bereichern würde. Doch der finanzielle Spielraum ist eng bemessen, mehr als 1.500 Euro dürfte die Miete nicht betragen. Zudem würden als Standort nur innerstädtische Räume mit Laufkundschaft Sinn machen. Ein Vorhaben, das man in Trier optimistisch nennen darf.

An Ideen mangelt es Blumann jedoch nicht: Vorstellen könnte er sich auch die Mitnutzung einer bestehenden Verkaufsfläche oder ein Ladenkonzept mit verkaufbarem Interieur, wie es auch in anderen Städten praktiziert wird; auch die Stadt hat er schon angeschrieben, mit der Idee, regionale Produkte im Frankenturm anzubieten. Die Antwort steht noch aus. Ewig wird Blumann, der zwei Kinder zu ernähren hat, allerdings nicht warten können. „Ich habe mir als Frist Ende Februar gesetzt, irgendwann muss man die Reißleine ziehen“, sagt er. Wenn es bis dahin nicht geklappt hat mit der Expansion, wird er die Pläne erst einmal begraben und weiter nach einem festen Job suchen. Das Passagen-Schaufenster soll – davon unberüht – weiterhin einen persönlichen Akzent in der Einkaufsstraße setzen.

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