‚Wir haben uns damals tätowiert, um einzigartig zu sein‘

Großer Künstler mit der Tattoo-Nadel: Oliver Lonien. Foto: Marco PiecuchOliver Lonien ist einer der gefragtesten Tattoo-Künstler in Deutschland. Für seine großformatigen asiatischen Motive reisen Kunden von weit her an – obwohl sie auf einen Termin bis zu zwei Jahre warten müssen. Wer dem Trierer, der ein Studio in der Lorenz-Kellner-Straße hat, mal bei der Arbeit zuschauen möchte, hat dazu am 20. und 21. September bei der zweiten „Trier-Saar-Mosel Tattoo Convention“ in der Messeparkhalle Gelegenheit. 16 VOR sprach mit dem 43-Jährigen über seinen Einstieg als Tätowierer, seinen Wechsel von Horror-Motiven zum Asian Style und seine Karriere als Musiker. Auf seinem Debütalbum „Unter die Haut“ (2012) rappte er zusammen mit Größen wie Silla, MoTrip und Sido.

Warst du in der Schule besser in Kunst oder in Musik?

Oliver Lonien: In Kunst.

Zeichnete sich in dieser Zeit schon ab, dass du mal etwas im künstlerischen Bereich machen wirst?

Lonien: Mich hat das nicht so interessiert, aber die Lehrer haben das gesagt: „Mach irgendwas Kreatives.“ Mit 15, 16 wollte ich eigentlich an Mofas schrauben und Schlosser oder Zweiradmechaniker werden. Malerei hat mich nicht so interessiert, obwohl ich als Kind viel gemalt habe. Ich hatte nur eine Lehrerin, mit der ich richtig gut klarkam: Das war die Kunstlehrerin. Sie hat mal zu mir gesagt: „Irgendwann gehe ich durch die Stadt und sehe dann einen Laden, wo du deine Kunst verkaufst.“ Und irgendwann war es dann wirklich auch so, als ich sie wieder getroffen habe.

Erinnerst du dich noch an dein erstes Tattoo, das du gestochen hast? Also, nicht auf Schweinehaut, sondern …

Lonien: … ich habe eh nicht auf Schweinehaut geübt.

Sondern? Auf dir selbst?

Lonien: Nee, auf Punkern. Ich war ja selber in der Szene drin. Bevor ich damit zu tun hatte, kannte ich einen Ur-Trierer Assi, der bei mir im Haus gewohnt hat. Er hat viel Scheiße gebaut und war schon mit 13 im Knast. Mit 14 kam er noch mal raus und hatte Gesicht und Hände tätowiert. Da kam ich zum ersten Mal mit Tattoos in Berührung. Ich glaube, als Erstes habe ich einen Stern oder ein anderes kleines Ding gemacht.

War der Bekannte der Auslöser, Tätowierer zu werden?

Lonien: Damals wussten wir gar nicht, dass es überhaupt Tätowierer gibt. Bis Ende der 90er, als ich noch in Punker-WGs in Dortmund gewohnt habe, gab es nur so Rockerläden. Mit Punkerfrisur konnte man nicht in ein Biker-Studio gehen. Das war aber das erste Mal, dass ich solche Studios gesehen habe. Und es gab noch so Hefte wie Tattoo und Outlaw Biker Tattoo Revue – da waren auch nur Rocker drin. In Büchern mit England-Punks, Skins und Bikern habe ich entdeckt, dass jede Subkultur Tätowierer hat. Man sah Leute mit Tattoos und wollte das dann auch haben. Der Weg war dann, dass man sich selber so ein Ding baute oder jemand, der zeichnen konnte, das gemacht hat. Da auch ich ein bisschen zeichnen konnte, haben die Kumpels gemerkt: Bei dem sieht das nicht ganz so schlimm aus wie bei den anderen. Dann habe ich ein bisschen in Wohnungen rumtätowiert – also so, wie man es eigentlich nicht machen sollte. Aber damals wussten wir es nicht besser.

Wie kamst du zum Asian Style?

Lonien: Ich tätowiere inzwischen seit fast 20 Jahren – ohne diese unprofessionelle Zeit. Denny, die das älteste Studio in Trier hatte, war schwanger. Sie haben dort mitbekommen, dass ich tätowiere, und gaben mir die Möglichkeit, bei denen im Laden zu arbeiten. Denny ist nicht mehr richtig fit geworden, hatte eine Lungenentzündung und es hieß: „Sie tätowiert erstmal nicht mehr.“ Ich bekam dann die Möglichkeit, den Laden zu übernehmen. Das war für mich ein Glücksfall.

Damals habe ich noch Paul Booth gut gefunden und Horror-Tattoos gemacht. Das war damals der Style im Hardcore, Metal und Punk – aufgerissene Haut mit Fratzen dahinter, wo Maden aus dem Maul rauskommen, Biomechanic und so einen Kram. Dann habe ich in Magazinen Klaus Fuhrmann und Filip Leu gesehen – das hat mir die Augen geöffnet. So etwas hatte ich in der Kunst noch nie gesehen. Sie waren so gut, dass es mich umgehauen hat. Ich habe mir alles tausend Mal angeguckt und versucht, zu analysieren, wie die das machen. Dadurch habe ich Bock bekommen, große Tattoos zu machen, die ein Gesamtkonzept haben. Das Japanische oder Asiatische ist ganz gut dafür, weil man großflächige Sachen hat, die harmonisch ineinander gehen und positiv sind.

Als Mensch entwickelt man sich weiter. Ich hatte damals selbst hässliche Tattoos. Die habe ich mir mit Buddhas und so überdecken lassen. Die Welt ist schon hässlich genug, da muss es nicht auch noch die Kunst sein.

Von Metal-Tattoos zum Asian Style: Der Trierer Tätowierer gilt als einer der besten bei fernöstlichen Motiven. Foto: Marco PiecuchGeht es dir nur um die Ästhetik oder auch um die Philosophie dahinter?

Lonien: Um beides. Das greift ineinander. Als ich bei Fuhrmann war, hing alles voll mit indischen Bildern und buddhistischen Sachen. Da habe ich angefangen, mich mit asiatischer Kultur zu beschäftigen.

Auch danach zu leben?

Lonien: Ich habe es versucht (lacht). Ich würde mich nicht als Guru hinstellen. Viele Tätowierer sind menschlich nicht so cool, ge­ben sich aber nach außen wie halbe Buddhas. Man soll ehrlich bleiben.

Je nachdem, mit wem ich es zu tun habe, kann ich cholerisch werden. Buddhismus beruhigt. Buddhisten sagen, man solle sich nicht über Dinge sorgen, die man eh nicht ändern kann – das ist eine erwachsene Einstellung. Die Tattoos sind ja auch harmonisch.

Du fährst ein schickes Auto und ein schwe­res Motorrad, hast eine teure Uhr – lehnte Buddha Materialismus nicht ab?

Lonien: Das ist für mich etwas anders. Ich habe ein paar Statussymbole. Aber nicht, weil ich ein Schickimicki-Typ sein will. Einige Leute haben damals prophezeit, dass aus mir niemals was wird. Diesen Leuten kannst du nicht besser vor den Kopf stoßen, als wenn du mit einem fetten Auto an ihnen vorbeifährst. Es ist für sie kein Erfolg, dass ich geile Tat­toos mache. Mein erstes schönes Auto habe ich mir deswegen gekauft. Mittlerweile inter­essiert mich das alles nicht mehr. Es war für mich ein Ausdruck, etwas erreicht zu haben – ich hatte vorher nichts. Ich finde es nicht verwerflich oder mit dem Buddhismus un­vereinbar, ein bisschen zu zeigen, was man erreicht hat. Ich bin nicht reich, habe aber im Gegensatz zu vielen Kumpels von früher mein Leben ganz gut in den Griff bekommen

Hat sich durch diese Entwicklung dein Freundeskreis verändert? Zieht dein Erfolg nicht auch Leute an, die früher auf dich her­abgeblickt haben?

Lonien: So Leute hast du immer. Mittlerweile habe ich aber eine ganz gute Menschenkennt­nis. Eben noch habe ich einem Bekannten zum Geburtstag gratuliert und ihn umarmt. Die Leute haben geguckt, weil er mittags schon besoffen war. Aber das ist mir scheißegal. Ich habe auch einen Kumpel, der Zahnarzt ist – aber menschlich total korrekt. Ich kenne Punks, Rocker, Gangster, aber auch ganz bür­gerliche Leute. Als zutätowierter Mensch wirst du sowieso nie in der Schickimicki-Gesell­schaft ankommen. Will ich auch nicht.

Gibt es ein Motiv, das du nicht mehr sehen kannst?

Lonien: Ich habe von meinen Mitarbeitern mitbekommen, das Unendlichkeitszeichen total in sind. Aber ich habe selbst noch keins gemacht und auch noch nicht viele davon ge­sehen.

Das Arschgeweih löste damals einen Boom aus. Mittlerweile gibt es andere Sa­chen, die das abgelöst haben. Leute kommen und machen sich ein cooles Tattoo, dann ma­chen es ganz viele nach und schließlich heißt es, dass es nicht mehr cool sei. Das Motiv kann eigentlich nichts dafür.

Wie findest du chinesische Schriftzeichen?

Lonien: Was spricht dagegen, wenn sie für den Träger eine Bedeutung haben? Mit Ja­panisch, Old School und Realistic bist du auf der sicheren Seite. Das gibt es schon immer und wird auch so bleiben.

Hast du schon mal einen Kundenwunsch ab­gelehnt?

Lonien: Alles Rechtsradikale.

In Foren kann man nachlesen, dass du eine Wartezeit von zwei Jahren hättest. Wie kommt es dazu?

Lonien: Ich will den Leuten, die dran sind, die Möglichkeit geben, schnell wieder Termi­ne zu bekommen. Deswegen ist ein gewisses Kontingent an Terminen für Leute, die im Prozess des Tätowierens drin sind, geblockt. Daher die Warteliste.

Aus der erfolgreichen DMAX-Serie „Tattoo – Eine Familie sticht zu“ wissen wir, dass auch Familienmitglieder in deinem Studio mithel­fen. Wie hat deine Mutter damals reagiert, als du ihr mitteiltest, Tätowierer zu werden?

Lonien: Da ich vier Lehren abgebrochen hatte und dann noch mit 18 nach Dortmund gezogen war, um in einer Punkband Musik zu machen, war das für sie schon Katastrophe genug. Natürlich war sie erstmal skeptisch. Ein Tätowierter war damals Unterschicht, von der Gesellschaft als Asozialer angesehen. Mit 15, 16 habe ich die ersten Tattoos gehabt – da war sie natürlich nicht begeistert. Dann hat sie aber gemerkt, dass das ein richtiger Job ist, bei dem man erstens ein bisschen was verdient und zweitens kreativ sein und sich ausleben kann.

Bevor es ans Stechen geht, muss das Motiv erst einmal gezeichnet werden. Foto: Marco PiecuchDu hast keinen 9-to-5-Job. Wie sieht dein Tagesablauf aus?

Lonien: Ich stehe spät auf. Das habe ich mir so angewöhnt, weil ich nachts gerne Ruhe habe. Dann kann ich zeichnen oder Musik machen, ohne genervt zu werden. Also gegen zwölf stehe ich auf. Manchmal gehe ich trai­nieren, danach wird vernünftig gefrühstückt. Dann gehe ich mit dem Hund ein bisschen raus und schließlich zur Arbeit. Abends hast du eine dreiviertel Stunde, in der du nicht mehr denken kannst. Wenn man sich stun­denlang konzentrieren muss, ist das sehr kraftraubend. Ich chille dann, gucke fern oder gehe einkaufen. Ich habe viele Hobbys, bei denen ich den Kopf wieder freikriege. Gerade habe ich mit dem Segeln angefangen. Außer­dem treffe ich mich alle paar Tage mit Leuten zum Jammen. Ich habe momentan keinen Bock, an einem Album zu arbeiten. Ich mache wieder mehr mit Gitarristen, sitze selbst wie­der hinter dem Schlagzeug und produziere.

Auf deinem Debütalbum hast du mit einigen namhaften Musikern zusammen gerappt. Hat dir das – sowohl für dein Tattoo-Studio, als auch für deine Musikkarriere – mehr ge­schadet oder genutzt?

Lonien: Ich habe mit denen in erster Linie zusammengearbeitet, weil ich Bock drauf hatte. Der Nutzen war sekundär. Was die Verkäufe betrifft, war natürlich ein Nutzen vorhanden, da solche Features schon ein paar Türen öffnen. Allerdings ruft so was auch Leute auf den Plan, die dahinter einzig und allein Geld wittern. Sie verstehen nicht, dass es auch Leute gibt, die sich einfach ein paar Träume und Ziele verwirklichen möch­ten, ohne auf Kommerz abzuzielen.

Dann gibt es noch die paar Kunden von mir, die mit HipHop generell nicht klarkommen. Die wenigen sehe ich aber nicht als „Scha­den“ an. Wer mich kennt und als Mensch mag, sich dann aber von seinem dogmati­schen Denken verleiten lässt, mich wegen der Musik nicht mehr zu mögen, fällt bei mir eh durchs Raster. Das ist genau der Grund, wa­rum wir uns vor 25 Jahren tätowiert haben – um uns einzigartig zu machen, vom Main­stream – zu dem Tattoo heute dazugehört – abzukehren und auch um zu provozieren.

Wie gehst du mit der Kritik um, die auf Amazon oder Youtube hinterlassen wird?

Lonien: Konstruktive Kritik ist ein guter Motivator. Dadurch bin ich, wie mir bestätigt wurde, zu einem sehr guten Songwriter geworden, da ich es ein paar Leuten zeigen wollte. Fakt ist, dass man als Deutscher im deutschen HipHop inzwischen zu einer Minderheit gehört und infolgedessen auf viel mehr Kritik stößt und viel Gegenwind bekommt von Leuten, die nicht die Möglichkeiten haben wie ich mit meinem eigenen Studio und meinen Connections. Dass ich mir das alles erarbeitet habe, erkennen sie leider nicht an oder wissen es nicht. Man sieht nur das Jetzt und Hier, nicht den Leidensweg. Und konträr zu Amerika, wo Erfolg gewür-digt wird, leben wir hier in einer Neidgesellschaft, wo man den am meisten hasst, der seine Ziele erreicht. Ich nehme die Kritik, die sich inzwischen darauf reduziert, dass ich meine Texte nicht selbst schreiben würde, nicht mehr ernst.

Deutsch-Rap interessiert mich kaum noch, da ich das erreicht habe, was ich wollte und sich die Szene gerade in ein politisches Abseits manövriert. Geblendet vom Hass verlieren viele den Bezug zur grauenvollen Realität des Krieges und verwechseln berechtigte Kritik an Regierungen damit, im Internet Hass gegen ganze Bevölkerungsgruppen zu streuen und Rassismus zu verherrlichen.

Je größer desto besser: Oliver Lonien arbeitet - wie hier bei diesem Drachen - gerne großflächig. Foto: Marco PiecuchDu bedienst in manchen Videos Gangster-Rapper-Klischees. Welchen Effekt sollen die dicken Karren und die Knarren erzielen?

Lonien: Du spielst wahrscheinlich auf das letzte Video nach meiner EP „Beste Zeit unseres Lebens“ an. Generell finde ich Knarren faszinierend – aber nicht zum Töten! Das Video muss man sarkastisch sehen, da ich auf besagter EP meinen Style komplett geswitcht und mir extrem Mühe gegeben habe, auf höchstem Level zu schreiben. Teilweise gehen die Texte sogar um Peace, Love and Brotherhood. Die Instrumentals habe ich mit dem Trierer Gitarristen Michael Brettner eingespielt. Das Ganze ist so eine Rock-Hip-Hop-Fusion, die man auch ‘ner Oma vorspielen kann, ohne das sie da irgendwas asozial finden würde.

Die Resonanz war im Gegensatz zu meinem Album ein Flop! Obwohl mir Top-Produzenten und Rapper gesagt haben, dass das großartig und in Deutschland was Neues sei. Das Video mit den Knarren habe ich danach als Verarschung gemacht, nach dem Motto: „Okay, ihr wollt übertriebene, sinnlose Scheiße auf raptechnisch hohem Niveau, voilà!“. Bentley von ‘nem freund geholt, bisschen im Schießclub ausgetobt, alle Klischees bedient, die es gibt und zack: Das Video hat wieder viele Likes und Klicks, weil es entertaint, statt igendwas auszusagen. So was wird es in Zukunft aber nicht mehr von mir geben. Wenn HipHop, dann mit politischer, sozialkritischer Message. Ansonsten arbeite ich bereits mit Freunden an einigen Rocksongs. Back to the Roots quasi, denn das ist, wo ich herkomme und das macht mir auch momentan mehr Spaß.

Apropos „Back to the Roots“. Hättest du gerne noch mal einen völlig untätowierten Körper? Was würdest du dann machen?

Lonien: Nun ja, wenn der untätowierte Körper im Bundle mit ‘ner 20-jährigen Verjüngungskur und dem Wissen von jetzt käme, hätte ich das gerne, um mit mehr Konzept an die Tätowierungen heranzugehen. Anders nicht, denn es tut mit zunehmendem Alter mehr weh! Also haltet euch ran, Leute! Peace and Respect!

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