Die Vollbremsung

Dass man mit Prognosen danebenliegen kann, liegt in der Natur der Sache. Die Zukunft lässt sich nur bedingt vorhersagen.  Dass aber völlig veraltete Prognosen eine Verwaltung und mit ihr wohl auch eine Mehrheit des Stadtrats beinahe zu einer millionenschweren Fehlentscheidung verleitet hätten, kommt nicht oft vor. Doch so stellt sich der Fall nun beim Petrisbergaufstieg dar. Alle Einschätzungen der vergangenen Jahre basierten auf Annahmen, von denen schon länger absehbar war, dass sie nie eintreten würden. Im Rathaus hat man nun eine Vollbremsung hingelegt und will stattdessen beim „Moselbahndurchbruch“ einen Zahn zulegen. Expressbusse sollen die Tarforster Höhe besser an die Talstadt anbinden. Fraglich ist, ob sich hiermit eine spürbare Entlastung für die Anwohner der Zufahrtsstraßen erreichen lässt.

TRIER. Gleich zu Beginn der Pressekonferenz machte die Baudezernentin deutlich, was sie sich nun am wenigsten wünscht: Es gebe „keinen Grund für Siegesgeheul“, schickte sie ihrer Erklärung voraus. Simone Kaes-Torchiani (CDU) weiß, dass sich die Kritiker bestätigt fühlen werden, und an Skeptikern, die an der Notwendigkeit des Petrisbergaufstiegs ebenso zweifelten wie daran, dass das zwischen 60 und 80 Millionen Euro teure Projekt je realisiert würde, mangelte es nie. So nahm Kaes-Torchiani auch ihren Vorgänger Peter Dietze (SPD) ausdrücklich in Schutz: Es sei richtig gewesen, „sich frühzeitig und intensiv mit dem Thema zu befassen“. Doch wie die Dezernentin es auch dreht und wendet – die nunmehr vollzogene Kehrtwende basiert auf einem einigermaßen peinlichen Vorgang: Sämtliche Einschätzungen der vergangenen Jahre basierten auf alten Verkehrsprognosen.

So ging man 2003 von einem Verkehrsmodell aus dem Jahre 1990 aus. Damals bereitete die Stadt Trier ihr erstes Verkehrskonzept vor, von dem es im Entwurf für das städtische Mobilitätskonzept 2025 heißt, „dass die überaus ambitionierten Ziele von 1992 nicht erreicht wurden, ja nicht einmal die gewünschte Zielrichtung eingeschlagen wurde“. Zur Erinnerung: Das Verkehrskonzept wurde damals einstimmig vom Stadtrat beschlossen und sah eine Reduzierung des Autoverkehrs um 30 Prozent vor. Im Gegenzug war eine Verdoppelung des ÖPNV-Angebots vorgesehen. Doch war das Konzept verabschiedet, wurden die Weichen wieder in andere Richtungen gestellt. Lediglich die Stadtwerke machten sich an die Umsetzung der Vorgaben, mussten dann aber feststellen, dass die Angebotsausweitung zu massiven Verlusten führte.

Anfang der 90er-Jahre war der Petrisberg noch fest in der Hand französischer Truppen, reihte sich eine Kaserne an die nächste, dominierten Panzerhallen und Zäune das Plateau. Die Universität existierte zwar, doch auf dem Trimmelter Hof stand nur ein Bruchteil der Wohnungen und Häuser, die sich heute dort findet; von einem komplett neuen Quartier auf dem Petrisberg war noch nichts zu sehen, das kam erst mit der Landesgartenschau 2004. Als man gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts an die Planungen für einen Spurbus und eine separate ÖPNV-Trasse zum Petrisberg ging, wurden die Prognosen von 1990 zugrunde gelegt. Für die Jahre 2010/15 war demnach mit bis zu 20.000 Fahrgästen im Nahverkehr zwischen Talstadt und Höhenstadtteilen zu rechnen. Die Zahl der KfZ-Bewegungen sollte auf 60.000 steigen. Und weil man zudem eine Reihe von Verbesserungen im gesamten städtischen ÖPNV-Netz plante, etwa den Bau weiterer Haltepunkte der Regionalbahn auf der Osttrasse, kamen die Experten 2003 zu dem Ergebnis: Der Petrisbergaufstieg könnte täglich mit 11.500 Fahrgästen rechnen, die zuvor das Auto nutzten oder durch das neue Angebot auf den Geschmack kamen. Im Zuge einer Potenzialstudie für die Seilbahn zeigte sich jedoch vor wenigen Monaten, dass diese Prognosen weit verfehlt wurden, weshalb es für eine gesonderte Trasse zum Plateau schlicht keinen Bedarf mehr gibt und sich der Bau eines solchen Vorhabens auch nie rechnen würde. Einer der Gründe, weshalb die Prognosen von 1990 nie eintraten: Damals rechnete man noch mit einer wesentlich dichteren Bebauung auf dem Petrisberg und den Höhenstadteilen.

Experte: Expressbusse wären genauso schnell

Dass die Verwaltung nun eine Vollbremsung hinlegte, verdankt sie gewissermaßen dem Stadtrat. Der hatte 2010 beschlossen, eine weitere zusätzliche Untersuchung in Auftrag zu geben. Den Zuschlag sollte ein Büro bekommen, dass weder am Betrieb einer Busverbindung noch an einer Seilbahn Interesse haben könnte; beauftragt wurde das Düsseldorfer Büro Spiekermann Ingenieure. Parallel hierzu arbeitete das Planungsbüro R + T  Topp, Hubert-Erler und Hagedorn aus Darmstadt am Mobilitätskonzept. Irgendwann fiel dann auf, dass selbst eine erst vor zwei Jahren vorgelegte Studie des Saarbrücker Unternehmens DE-Consult über ein reines Bussystem von den völlig veralteten Prognosen ausgegangen war – und wohl deshalb dem Petrisbergaufstieg ein letztes Mal attestierte, einen „hohen volkswirtschaftlichen Nutzen“ zu bringen.

Aus und vorbei, das Projekt ist Geschichte und in der Zukunft sollen es nun Expressbusse richten, schlägt Ralf Huber-Erler vor. Nach seinen Berechnungen lässt sich die Fahrtzeit zwischen Hauptbahnhof und Universität von derzeit 12 auf 9 bis 10 Minuten drücken. Wenn denn die Busse auf dieser Strecke nur noch zwei bis drei Mal halten und den Weg über den Moselbahndurchbruch und das Aveler Tal nehmen. Notwendig wären außerdem Busbeschleunigungsmaßnahmen. Huber-Erler schlägt vor, dass die Expressbusse im Wechsel mit den regulären Linien verkehren, die weiterhin sämtliche Haltepunkte bedienen würden. „Tarforst und Uni können voraussichtlich mindestens genauso schnell und oft angedient werden, wie mit dem Petrisbergaufstieg“, glaubt Huber-Erler und spricht von „geringeren Investitionskosten bei voraussichtlich ähnlichem Nutzen“. Das aber würde bedeuten: für das Gros der Nahverkehrsnutzer hätte die geplante ÖPNV-Trasse ohnehin keinen zusätzlichen Nutzen gebracht. Kaes-Torchiani hält dem entgegen: „Es ist aber ein Unterschied, ob Sie 11.000 Leute nach oben befördern müssen, oder 500“. Soll heißen: Wären die Prognosen von 1990 eingetreten, hätte die zusätzliche Nachfrage nicht über Expressbuslinien befriedigt werden können.

Eine Art Semi-Expressbus ließe sich umgehend auf den Weg schicken – eine Linie, die zwischen dem Hauptbahnhof und der Höhe nicht mehr hält. Doch Kern des neuen Konzepts ist auch der Moseldurchbruch, also die Verbindung zwischen Kürenzer Straße und Metternichstraße. Während die Kürenzer Straße saniert werden muss, ist beim Moselbahndurchbruch der Bau einer völlig neuen Trasse notwendig, die auf der Westseite des Bahndamms entlang führen wird. Dieses Projekt habe nun „höchste Priorität“, kündigte Kaes-Torchiani an, auch im geplanten Doppelhaushalt 2013/2014 müsse sich das niederschlagen. Über einen Zeitplan will die Unionsfrau nicht spekulieren, stattdessen betont sie mehrmals die Dringlichkeit. Gleich nach der Sommerpause, wenn der Entwurf für den Haushaltsplan in den Stadtrat kommt, dürfte sich zeigen, welche Bedeutung eine bessere Anbindung der Höhenstadtteile und eine Entlastung von Aveler Tal und Olewiger Straße tatsächlich hat.

Weitere Informationen zum Thema: Warten auf den Durchbruch und Verkehr ohne Ende auf Triers Talstraßen

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