„Die Stasi war immer mit dabei“

Dieser Tage jährte sich zum 25. Mal der Tag, an dem ein gewisser Erich Honecker die Stadt besuchte. Die Visite des Staatsratsvorsitzenden in der Bundesrepublik schlug seinerzeit hohe Wellen, auch sein Abstecher nach Trier. Honecker ist tot und eine Generation herangewachsen, die DDR und deutsche Teilung nur aus Geschichtsbüchern und Erzählungen kennt. Lebendiger scheint da die Städtepartnerschaft zwischen Trier und Weimar, die nun Silberhochzeit feiert. In einem Buch, das an diesem Mittwoch im Theater vorgestellt wird, erinnern Ex-OB Helmut Schröer und der Journalist Dieter Lintz vor allem an die bewegten und bewegenden ersten Jahre – als die SED darauf aus war, aus der Städtepartnerschaft einen „Bestandtteil der offensiven Außenpolitik der Partei“ zu machen. Erst mit dem Fall der Mauer war der Weg frei für eine wirkliche Partnerschaft.

TRIER. Helmut Schröer kann energisch werden. Ist ihm etwas wichtig, lässt er seine diplomatische Zurückhaltung schon mal fahren und macht seinen Standpunkt unmissverständlich deutlich. Das bekam dieser Tage auch der Staatsminister im Bundeskanzleramt, Bernd Neumann (CDU), bei einem Besuch der Abtei St. Matthias zu spüren: Auf unverbindliche Absichtserklärungen lege  er keinen Wert, ließ der langjährige Oberbürgermeister den Gast aus Berlin wissen, man brauche belastbare Zusagen, um mit der Restaurierung und Wiederherstellung des Kreuzgangs loslegen zu können.

Gemessen an dem Parkett, auf dem Schröer und weitere Trierer Politiker sowie Friedensaktivisiten in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre unterwegs waren, nimmt sich der Steinboden der Abtei sehr ungefährlich aus. Im Rathaus hatte man sich angeschickt, eine weitere Städtepartnerschaft zu begründen. Eine, die sich von den bereits bestehenden deutlich unterscheiden sollte und die bis heute ein Alleinstellungsmerkmal hat – weil sie die einzige innerdeutsche unter den neun Partnerschaften ist, die Trier mit anderen Städten unterhält. Vor allem aber war die angestrebte Liaison ein Politikum ersten Ranges, bei der anfangs nichts ohne die Zustimmung der Regierungen beider Seiten lief. Man bewegte sich eben auf diplomatischem Parkett, und damit war auch die Gefahr von Ausrutschern gegeben.

Daran und an die nunmehr ein Vierteljahrhundert währende Partnerschaft erinnern Schröer und der TV-Redakteur Dieter Lintz in einem gemeinsamen Buch.  „Trier – Weimar: Eine deutsche Städtepartnerschaft“ lautet der sachliche Titel des im Paulinus-Verlag erschienenen Bandes. Dass der weitaus größte Teil der 255 Seiten vom ehemaligen Oberbürgermeister gefüllt wurden, lässt sich anhand der unverkennbar unterschiedlichen Schreibstile leicht ablesen. Schröer und Lintz liefern ein Geschichtsbuch, dessen Inhalt bis in die Gegenwart reicht.

Grimm gab den Anstoß

1984 unterbreitet der damalige Trierer SPD-Vorsitzende Christoph Grimm Schröers Vorgänger Felix Zimmermann den Vorschlag, eine Partnerschaft mit einer Stadt in der DDR anzustreben. Grimm verweist auf eine kurz zuvor geschlossene Partnerschaft zwischen Mainz und dem damals noch sowjetischen Baku. Was mit der Millionenmetropole am Kaspischen Meer trotz unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen möglich sei, das müsse sich doch auch mit einer deutschen Stadt bewerkstelligen lassen, meint Grimm. Natürlich weiß der Sozialdemokrat, dass die Ausgangslage denkbar schwierig ist: In Ostberlin herrscht die SED, DDR und Bundesrepublik trennen Mauer und Stacheldraht. Wer in den Westteil Berlins fliegen will, muss zwischen Pan Am, Air France und British Airways wählen – die Lufthansa darf die Stadt nicht anfliegen. Allen Entspannungsbemühungen zum Trotz – die Beziehungen zwischen beiden Teilen Deutschlands sind gelinde gesagt verkrampft. Als Honecker 1987 nach Bonn reist, wird die Visite als Arbeitsbesuch deklariert. Doch Honecker bestand darauf, in Bonn mit militärischen Ehren empfangen zu werden, wobei das Abspielen der DDR-Hymne nicht fehlen durfte. Für Helmut Kohl eine Geste, die ihm nach eigener Darstellung ziemlich zuwider war.

Nach Grimms Brief war die Idee einer Partnerschaft Triers mit einer Stadt im Osten Deutschlands in der Welt, doch schon bald sollten andere Städte vorauseilen. Saarlouis und Eisenhüttenstadt etwa – der gute Draht des damaligen saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine (einst SPD, heute Linke)  zum gebürtigen Saarländer Honecker dürfte hier einiges beschleunigt haben. Doch als der Präsident der DDR-Volkskammer, Horst Sindermann, 1986 die Bundesrepublik besuchte, soll er von sich aus Wuppertal und Trier als weitere potenzielle Partner für ostdeutsche Städte genannt haben, schreibt Schröer. Dass Sindermann ausgerechnet diese beiden so unterschiedlichen Städte in den Sinn kamen, ist leicht zu erklären mit einer Gemeinsamkeit: Trier und Wuppertal haben mit Marx und Engels bedeutende Söhne. Damit war indes auch ein Dilemma programmiert, zumindest für die westdeutschen Verhandlungspartner. Denn auch wenn Trier dank Marx bessere Karten in Ostberlin hatte – an einer ideologischen Aufladung der Städtepartnerschaft war im Rathaus niemandem gelegen.

Zudem gab es auch noch Bonn: in der damaligen Bundeshauptsadt beschäftigte das Ansinnen der Trierer sowohl das Kanzleramt als auch das Ministerium für innerdeutsche Beziehungen. Auf der Referentenebene hatte man sondiert, wie die Chancen standen. Im Juli rief das Ministerium beim Oberbürgermeister an und berichtete von positiven Signalen aus Ostberlin. Sogar die Aussichten, dass es mit dem Trierer Wunschpartner Weimar klappen könnte, waren bestens, wurde Zimmermann mitgeteilt. Dass man am Augustinerhof von Beginn an Weimar als Partner favorisierte, daran hatte der damalige OB wohl besonderen Anteil. Denn der kunstsinnige und sehr belesene Zimmermann hatte ein Faible für die Klassiker und wusste die Bedeutung Weimars für die kulturgeschichtliche Entwicklung Deutschlands zu schätzen.

Die SED setzt den Vize-OB ab

Nach dem Anruf aus Bonn sei alles sehr rasch gegangen, hätten sich die Ereignisse überstürzt, schreibt Schröer. Doch der Weg zur Partnerschaft sollte noch mit allerhand Steinen gepflastert sein, und ständig kamen neue hinzu.  Der Autor, der 1989 Zimmermann an die Stadtspitze folgte, beschreibt en detail den Gang der Ereignisse, die er als aktiver Beteiligter aus nächster Nähe miterlebte. Schröer erinnert an den Besuch der ersten Delegation aus Weimar, deren Teilnehmer allesamt von den SED-Verantwortlichen eingeschärft bekommen hatten, wie sie sich im Westen zu verhalten hatten. Das konnte nicht verhindern, dass sich schon bei der ersten Begegnung private Kontakte und Ansätze freundschaftlicher Verbindungen entwickelten.

Ohnehin hatte man sich im Trierer Rathaus das Ziel gesetzt, nicht dem Beispiel von Saarlouis zu folgen und einen Vertrag abzuschließen, der die geplante Städtepartnerschaft zu einem Instrument der DDR-Nebenaußenpolitik gemacht hätte. Vielmehr sollte der direkte Austausch zwischen den Bürgern beider Städte im Vordergrund stehen. Dieses Anliegen fand sich dann auch in einer gemeinsamen Erklärung und in den Worten des damaligen Weimarer Vize-OB bei einer Pressekonferenz in Trier wieder: „Alle legen sehr großen Wert auf die Begegnungen der Menschen, der Menschen untereinander, weil das nach unserer Auffassung das Entscheidende ist“, erklärte Karl-Heinz Dennhardt. Zimmermann und die Trierer konnten zufrieden sein.

Doch Dennhardts Genossen in Ostberlin und Weimar waren mehr als nur wenig begeistert über diese Äußerungen, und es dauerte nicht lange, bis der stellvertretende Oberbürgermeister nicht mehr in Amt und Würden war – offiziell aus gesundheitlichen Gründen. Als die Trierer im Mai 1987 zum Gegenbesuch in Weimar anreisten. wurde ihnen dann ein neuer Vertragstext vorgelegt. Von dem, worauf man sich im Dezember des Vorjahres mit Dennhardt und seinen Begleitern verständigt hatte, war nun nichts mehr übrig. Entsprechend groß war die Verärgerung auf westdeutscher Seite, die Möglichkeit eines Abbruchs der Gespräche stand im Raum. Doch die Verhandlungen wurden fortgesetzt und führten schließlich doch noch zu einer Übereinkunft. Trier und Weimar bildeten die sechste deutsch-deutsche Städtepartnerschaft, doch weist Schröer noch auf eine weitere Besonderheit hin: Mit Trier wagte erstmals eine CDU-regierte Stadt eine Zusammenarbeit mit einer DDR-Kommune.

Gesichter der Partnerschaft

Der eigentliche Durchbruch kam indes erst mit dem Zusammenbruch der SED und DDR im Herbst 1989: Im Stadtvorstand entschloss man sich, eine Einladung auszusprechen. Die Resonanz war überwältigend, an zwei Wochenenden reisten rund 1.500 Weimarer nach Trier, die meisten kamen in Familien unter. Es waren bewegende Zeiten, die dem damaligen und heutigen Presseamtsleiter Dr. Hans-Günther Lanfer unvergessen blieben. Als Reiseleiter hatte Lanfer mit einem Bus aus Weimar kommend den Rhein überquert, als fast alle Fahrgäste zu weinen anfingen – derart überwältigend war der Anblick des Stroms. In Kurzporträts stellt Lintz 18 „Gesichter der Partnerschaft“ vor, Menschen wie Elisabeth Ruschel und Elke Mohnhaupt-Schmidt, die als Vorsitzende der beiden Partnerschaftsvereine die Städtepartnerschaft lebendig halten. Oder den schon erwähnten Dennhardt, der nach den Beschreibungen von Lintz noch heute an die DDR glaubt. Dass er von den eigenen Genossen ausgebootet wurde, sei nicht der Fehler der Partei, sondern einzelner Funktionäre gewesen, so Dennhardt.

Nicht nur er war ins Visier der SED geraten, sondern auch die Trierer. Ostberlin hatte eigens die Staatssicherheit auf die Verhandlungsdelegation angesetzt und schon ab Mai 1987 wurden Berichte verfasst, die später als „Operativer Vorgang Test“ in der „Gauck-Behörde“ auftauchten. Als Schröer im März 1994 in Erfurt Einsicht in die Akten nahm, konnte er über sich unter anderem lesen: „Mitglied der CDU; wird Nachfolger von Bürgermeister Kreutzer; selbstbewusstes Auftreten; war diejenige Person, welche dahin tendierte, Begründung ‚friedliche Koexistenz‘ sollte andere Formulierung erhalten (‚friedliche Zusammenarbeit‘)…“ Auch die Trierer Arbeitsgemeinschaft Frieden (AGF), die enge Kontakte zu Weimarer Friedensgruppen unterhielt, wurde beobachtet. Schröers Fazit: „Die Stasi war immer dabei“.

Am Mittwoch, 12. September, werden Helmut Schröer und Dieter Lintz ihr Buch im Foyer des Theater Trier vorstellen.

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