„Fast immer gegen Homophobie positioniert“
In einer Folge der „Simpsons“ bezeichnet Nelson Muntz Lisa Simpson im Schulbus als schwul. Daraufhin entgegnet sie: „Leute, die andere beschuldigen, schwul zu sein, versuchen damit oft, ihre eigene latente Homosexualität zu vertuschen.“ Verunsichert stürzt sich der Klassenschläger aus dem Bus, rollt die Straße herunter, rappelt sich auf und ruft ausweichend: „Rowdys sind die Größten“. Anhand der ersten 500 Folgen der Zeichentrickserie hat Erwin In het Panhuis analysiert, wie sich die „Simpsons“ zu schwulen und lesbischen Themen positionieren. Seine Ergebnisse hat er in dem Buch „Hinter den schwulen Lachern. Homosexualität bei den Simpsons“ (2013) festgehalten, das er am Donnerstag um 18 Uhr im Raum B17 der Universität im Rahmen von „Homosella“ vorstellt. Im 16vor-Interview erzählt der Bibliothekar und Autor, welche Stellen in der Serie er kritisch sieht, wo der Fernsehsender Fox Zensur ausübte und warum sich Länder wie Russland ein Beispiel an Springfield nehmen können.
16vor: Sie haben in den ersten 500 Folgen der Simpsons 70 schwule und lesbische Figuren gezählt. Auf Anhieb fallen mir nur Smithers und Patty Bouvier ein. Wen würden Sie von den bekannteren Figuren noch dazurechnen?
Erwin In het Panhuis: Der tuntige Julio gehört zum Beispiel dazu. Er ist eine wichtige Ergänzung zum eher spießig-bürgerlichen Smithers. Aber die meisten sind einmalig auftretende Nebenfiguren mit kurzen Sprechrollen, die aber das Bild von Schwulen und Lesben ebenfalls prägen können. Das reicht vom schwulen Handwerker über die engagierte Lesbe auf dem CSD bis zu einen Mann, der mit einem schwulen Reiseführer aus Versehen in Moes Kneipe landet.
16vor: In der 16. Staffel der Simpsons hatte Patty ihr Coming Out. Hätte man dies wirklich schon vorher vom Weltraum aus sehen können, wie sie gegenüber ihrer Schwester Marge sagt? Schließlich liebt sie MacGyver.
In het Panhuis: Nein, man hätte es weder sehen noch ahnen können. Ihre männlich-herbe Art entspricht zwar einem lesbischen Klischee, aber ihre Hetero-Zwillingsschwester Selma wird genauso dargestellt. Es gibt eine witzige Ausnahme: In der vierten Staffel bekommt Patty beim Anblick des nackten Homer einen Schock und sagt: „Der seidene Faden ist zerrissen, an dem meine Heterosexualität hing“.
16vor: Was glauben Sie, wer sich als nächstes outen wird?
In het Panhuis: Bei so vielen spannenden schwulen und lesbischen Nebenfiguren ist das outen von weiteren Figuren gar nicht mehr nötig. Wichtiger wäre, dass diese Figuren öfter mal auftreten, damit sie mehr Tiefe bekommen. Aber Continuity gehörte leider noch nie zu den Stärken dieser Serie.
16vor: Wie sieht es mit Lenny und Carl aus?
In het Panhuis: Lenny und Carl werden nicht nur von Fans, sondern auch von den Mitbewohnern in Springfield für schwul gehalten. Dies beruht vor allem auf den vielen doppeldeutigen Kommentaren von Lenny, die sich als Running Gags durch die gesamte Serie ziehen. Und weil der Reiz von Lennys Kommentaren gerade in der Undeutlichkeit liegt, wird man auch weiterhin spekulieren können, was sie sich neben ihrem Job sonst noch im Leben teilen.
16vor: Dem konservativen Haussender der „Simpsons“ sollen manche Szenen zu freizügig gewesen sein. Haben Sie Belege für Zensur bei Fox?
In het Panhuis: Fox wollte zwei homoerotische Träume von Smithers zensieren. In einem Fall (Burns springt für ihn nackt aus einer Torte) konnten sich die Produzenten mit ihren Vorstellungen durchsetzen. Bei einem anderen Traum – Smithers liegt im Bett und Burns fliegt durch das Fenster hinein – musste der ursprüngliche Entwurf geändert werden. Eine immer noch sichtbare Beule unter Smithers’ Bettdecke ist in der offiziellen Darstellung nun sein rechtes Knie. Beide Szenen sind witzig und wurden mehrfach wiederholt. Wegen einer fiktiven Nachrichtenmeldung vom Fox News Channel – „93 Prozent aller Demokraten sind schwul“ – wurde den Produzenten sogar mit einer Strafanzeige gedroht, aber die Verantwortlichen haben sich anschließend brav entschuldigt.
16vor: Gibt es eine Folge, der Sie in Bezug auf Homosexualität kritisch gegenüberstehen?
In het Panhuis: Meine Kritik an den vier schwul-lesbischen Folgen bezieht sich nicht auf Homosexualität, sondern nur auf Aspekte wie dem Timing. Meine Kritik gegenüber den mehreren hundert kurzen Szenen aus anderen Folgen besteht zum Beispiel darin, dass ich einige Witze über Transsexuelle nicht für gelungen halte. Weil die Serie nicht mit deutlich erkennbarer Pädagogik arbeitet, bleiben in Einzelfällen auch einige homophobe Äußerungen unkommentiert. Es ist auch schade, dass ein politisch-gesellschaftlich so wichtiges Thema wie HIV/Aids nahezu vollständig ausgeblendet wird.
16vor: Kann man sich die „Simpsons“ als Vorbild sehen für mehr Toleranz gegenüber Homosexuellen?
In het Panhuis: Ja, weil sich die Serie fast immer gegen Homophobie positioniert. Für Marge ist es okay, eine lesbische Schwester zu haben und selbst der schwerfällige Homer ist lernfähig. In Springfield wurde 2005 die Homo-Ehe eingeführt. Da können sich Länder wie Russland ein Beispiel dran nehmen.
16vor: Haben sich die Macher der „Simpsons“ schon mit ihrem Buch auseinandergesetzt?
In het Panhuis: Sie haben nicht reagiert, obwohl sie durch die Rezensionen, die auch in den USA erschienen sind, bestimmt darauf aufmerksam wurden. Ich hatte auch rechtliche Befürchtungen, weil mein Verleger einige hundert Fotos ohne Klärung mitabgedruckt hatte. Aber vielleicht hat Matt Groening und seiner Crew mein Buch und meine konstruktive Kritik auch gefallen.
16vor: Welche homosexuelle Szene finden Sie am lustigsten?
In het Panhuis: Es gibt eine sehr gelungene Satire über die sogenannte „Don’t ask, don’t tell“-Regelung, die den Umgang mit Schwulen in den Streitkräften der USA regelte. Von so einer konstruktiven, sensiblen und unterhaltsamen Satire sind Beiträge von Harald Schmidt und Stefan Raab weit entfernt. Ich mag aber auch diese subtilen Andeutungen in der Serie. In einer frühen Folge stellt Marge nur die naiv anmutende Frage: „Wusstest Du, dass jeder US-Präsident ein heterosexueller, weißer Mann war?“ Das ist – in einem politisch subversiven Sinn – ein emanzipatorisches Statement für Schwule, Schwarze und Frauen.
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