Die Inszenierung der Harmonie

Experten unter sich: Dieter Lintz, Thomas Egger, Dr. Martin Dehli, Rolf Bolwin, Gerhard Weber und Kajo Pieper. Foto: Hiltrud Zock/ Gesellschaft der Freunde des Trierer TheatersUnter dem Titel „Spar-Opfer Kultur? – Wie geht es weiter mit dem Theater Trier?“ debattierten am Montagabend auf Einladung des Vereins „Gesellschaft der Freunde des Trierer Theaters“ sowie des Trierischen Volksfreunds Experten über die Zukunft der Spielstätte am Augustinerhof. Manchen der rund 400 Zuhörer ging es zu harmonisch zu, vor allem von Intendant Gerhard Weber hatten sie sich deutlichere Worte erhofft. Andere gefielen sich derweil in der Rolle der Kassandra und warnten davor, dass in einigen Jahren schon eine Schließung des Theaters zur Debatte stehen könnte.

TRIER. Zumindest eine gute Neuigkeit gab es an diesem Abend zu vermelden: Das rheinland-pfälzische Kulturministerium stellt für das kommende Jahr einen zusätzlichen Betrag von 220.000 Euro für das Theater Trier in Aussicht. Im Folgejahr sollen noch einmal 100.000 Euro von Mainz nach Trier fließen. Eine Finanzspritze, die in den Augen von Intendant Gerhard Weber für den Moment aus der ärgsten Not herausführt.

Blickt man über diesen Moment hinaus, sieht es düster aus: „Die Stadt Trier ist pleite“ – es ist eine einfache Wahrheit, mit der Moderatorin Susanne Rendenbach von der „Gesellschaft der Freunde des Trierer Theaters“ die Diskussion eröffnet. Zum Jahresende wird sich der kommunale Schuldenstand auf rund 634 Millionen Euro belaufen. Im Rahmen der Haushaltskonsolidierung müssen die Ämter der Stadt sparen, als kommunale Behörde ist auch das Theater nicht von dieser Vorgabe ausgeschlossen: „Einschnitte, die weh tun werden“ hatte Oberbürgermeister Klaus Jensen (SPD) im September angekündigt, bevor der Betrag dann konkrete Konturen annahm: Das Theater sollte seinen Finanzbedarf von aktuell rund 14,5 Millionen Euro um eine Million senken.

Mit dem Verweis auf die hohe Auslastung der gleichzeitig laufenden „West Side Story“ wehrte sich das Theater in einer Unterschriftenaktion, die bislang fast 11.000 Unterzeichner vorweisen kann: Man sei bereit, Sparpotentiale aufzudecken, warne aber vor einem finanziellen Kahlschlag, der zum Zwangsverzicht auf Produktionen, Wegfall einer der drei Sparten und schlussendlich sogar zur Schließung des Theaters führen könne. Zwischenzeitlich wurde die Zahl korrigiert, aktuell wird noch von einem Einsparbedarf von mindestens 700.000 Euro ausgegangen. Abzüglich der zugesagten Landesmittel verbleibt – im günstigsten Fall – ein immer noch beträchtlicher Betrag von knapp 500.000 Euro, auf den das Theater verzichten muss. Gleichzeitig unterliegt es der Forderung, 150.000 Euro mehr einzunehmen. Einsparpotential, dass es nach Ansicht des Theaters kaum gibt: Seit Jahren steht die Gebäudesanierung an, die personelle Ausstattung ist in vielen Bereichen absolutes Minimum, die Arbeitsbedingungen sind dementsprechend bescheiden.

Experte warnt vor Teufelskreis

Die Feststellung, auf die das Kernproblem sich reduzieren lässt, traf Rolf Bolwin schon gleich zu Beginn der Diskussion. Der Direktor des Deutschen Bühnenvereins und ausgewiesene Experte für die Strukturdebatte an deutschen Theatern, warnte vor einem Teufelskreis: „Wenn weiter gekürzt wird, kann das aktuelle Angebot in dieser Qualität nicht mehr gehalten werden. Und sinkende Qualität führt zu geringerer Auslastung“. Die Folgen: Weniger Einnahmen, weitere Kürzungen, künstlerische Abstriche, die wiederum zu einer geringeren Auslastung führen. „Die Profilierung einer Stadt ist aber nur über Kunst und Kultur möglich“, führte Bolwin weiter aus. Eine Sichtweise, der Kulturdezernent Thomas Egger (FDP) sich anschließen kann: „Bei unserer wirtschaftlichen Aufstellung ist Kultur kein weicher, sondern ein harter Standortfaktor“, betonte er und sprach daher lieber von „Optimierung“ als von „Einsparung“: Niemand habe vor, eine Sparte zu schließen oder die notwendigen Einsparungen über Kündigungen zu stemmen. „Man muss überlegen, wie vorhandene Mittel besser genutzt werden können“, so der Dezernent. Die Attraktivität des Hauses ließe sich beispielsweise durch eine attraktivere Gastronomie und einen besucherfreundlicheren Kartenvorverkauf steigern. Auch wenn der Dezernent einräumte, dass es – in der Rechtsform des Theaters als Amt der Stadt Trier – selbst bei solch vermeintlich wenig aufwändigen Maßnahmen erhebliche bürokratische Hürden zu nehmen gäbe.

Während die Diskussion zeitweise drohte, in ein Wettrennen der Wertschätzung zwischen Dezernent und Intendant abzugleiten, musste Diskussionsteilnehmer Dieter Lintz diese Sympathiebekundungen erklärtermaßen „stören“: Er spiele zwar nur ungern die Rolle der Kassandra, einen Blick in die mittelfristige Zukunft riskiere er dennoch: „Wir werden in den nächsten Jahren erleben, dass Schulen geschlossen werden müssen“. In einer solchen Haushaltslage, so die Prognose des Journalisten, werden die Fragen nicht mehr um die Feinheiten des Theaterbetriebs kreisen, sondern um die substantielle Frage, ob die Stadt sich ein Theater überhaupt leisten kann. „Die Diskussion wird ein Ausmaß annehmen, das sich jetzt noch niemand vorstellen kann“. Laut einer Studie besuchen nur zehn Prozent aller Trierer das Theater. Für das Haus wird es mittelfristig in existenzieller Weise darum gehen, auch und vor allem die restlichen 90 Prozent von der Notwendigkeit eines eigenen Stadttheaters zu überzeugen. „Theater muss rausgehen, sich vermarkten, zeigen, was es für die Stadt bedeutet“, forderte Lintz. Ohne Rückhalt in der Bevölkerung und eine stärkere Vernetzung der kulturellen Einrichtungen werde die Trierer Kulturlandschaft für die nächsten Jahre schlecht aufgestellt sein.

Nun ist Trier nicht die einzige Stadt, in der das Theater von Sparmaßnahmen bedroht ist. Um einen Blick über den Tellerrand zu wagen, hatte man mit Martin Dehli einen Gast eingeladen, der den Blick von außen beruflich ausübt: Als Berater eines Münchener Kultur-Consulting-Dienstleisters hat er sich mehrfach mit den innerbetrieblichen Strukturen deutscher Bühnen auseinandergesetzt. Konkret zu Einsparpotentialen am Trierer Theater wollte er sich – mangels Einblick – nicht äußern, legte aber die allgemeine Logik der Kulturwirtschaft dar: „Theater unterscheiden sich von Versicherungen insofern, als dass dort nicht mit Geld mehr Geld generiert wird, sondern dass Geld verbrannt wird, um Kunst zu schaffen. Innerhalb dieser Logik gibt es zwar Stellschrauben, an denen gedreht werden kann; generell ist es aber so, dass weniger Geld zu weniger Kunst führt.“ Als Berater könne er zwar Handlungsoptionen aufzeigen, die Entscheidung, welche Art von Theater man sich leiste, sei aber letztendlich eine politische Entscheidung.“

Dramaturg findet deutliche Worte

„Jede Stadt hat das Theater, das sie sich leisten will“, meinte denn auch Kajo Pieper, Theaterbeauftragter des Landes, in der Schlussrunde. Die ganze Wahrheit ist das in Anbetracht des seit Jahren eingefrorenen Anteils des Landes aber auch nicht. Durch inflations- und tarifbedingte Steigerungen des Finanzbedarfs hat sich das ursprüngliche 50:50 Finanzierungsverhältnis mittlerweile zu 60:40 entwickelt – zu Lasten der Stadt. Eine Entwicklung, die sich weiter verschärfen werde, wenn man ihr nicht entgegenwirke, gab Berater Dehli zu bedenken. Die Frage „Wie geht es weiter mit dem Theater Trier?“ blieb nicht das einzige Rätsel, das der Abend aufgibt: Warum Rolf Bolwin, wahrscheinlich der sachkundigste Experte auf dem diskutierten Gebiet, fast wie ein unbeteiligter Zuschauer behandelt wurde, bleibt das Geheimnis der Moderation: Mehrmals wurde dem Redner das Wort abgeschnitten, seine Ausführungen abgewürgt oder auf später vertröstet – um dann übergangen zu werden. Ohne Verabschiedung und eindeutig einsilbig verließ Bolwig schließlich das Podium. Er habe sich „sein Bild von der Stadt gemacht“.

Ebenfalls für Unverständnis im Publikum – und vor allem unter anwesenden Mitarbeitern des Hauses – sorgte die Haltung des Intendanten während der Diskussion. Auf deutliche Worte wartete man vergeblich, vielmehr wurde durch Aussagen wie „die Arbeitsbedingungen haben sich in den letzten sechs Jahren sogar verbessert“ die Verhandlungsposition des Theaters regelrecht torpediert. Anstatt in seiner Sprechsituation als Interessenvertreter eines bedrohten Hauses auch unbequeme Aussagen gegenüber dem Dezernenten auszusprechen, dankte er in warmen Worten für Vertrauen und Unterstützung. Zur Erinnerung: Das gleiche Dezernat hatte noch vor einigen Wochen dafür gesorgt, dass die Petition zum Erhalt des Theaters weder im Haus ausliegen noch auf der Theater-Homepage verlinkt werden durfte. Ein anwesender Regisseur sah sich nach der Diskussion verleitet, von einer „Inszenierung der Harmonie“ zu sprechen, und erntete damit Zustimmung aus dem Publikum.

Die klare Ansage, die man beim Intendanten vermisste, kam schließlich von Dramaturg Peter Oppermann, der das Herunterschrauben der Qualität bei gleichzeitiger Vorgabe, 150.000 Euro mehr einzunehmen, als das benannte, was es ist: ein eklatanter Widerspruch. Schon jetzt müsse man darüber nachdenken, Musicals als Playback aufzuführen und abwägen, ob man sich für jede Produktion ein eigenes Bühnenbild leisten kann. Wo genau verläuft die monetäre Grenze, unterhalb derer die künstlerische Qualität spürbar sinkt? Angesichts der Komplexität eines Theaterbetriebs und dem vielfältigen Zusammenwirken unzähliger Faktoren kann niemand auf dem Podium, und wahrscheinlich auch darüber hinaus, diese Grenze konkret benennen. Dass massive Kürzungen nicht zu künstlerischer Qualität und damit höherer Auslastung oder gar der Akzeptanz höherer Eintrittspreise führen, darf allerdings als sicher gelten.

Dehli, der ähnliche Prozesse schon an zahlreichen Häusern begleitet hat, gab den Anwesenden einen Rat auf den Weg: „Diskutieren Sie weiter, suchen Sie die Öffentlichkeit“ riet er dem Trierer Publikum. „Das ist immer der erste Schritt“. Auch Dieter Lintz appellierte mehrfach an die Verantwortung, die man als Bürger gegenüber dem Theater habe: „Wenn jetzt nichts passiert, dann reden wir in ein paar Jahren nicht von Kürzungen, sondern von Schließung“, warnte er, ganz in der Rolle der Kassandra.

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