„Die Hemmschwelle ist rapide gesunken“

Es sollte auch eine Antwort auf die Alkoholexzesse von Weiberdonnerstag in der Trierer Innenstadt sein – die gut besuchte Podiumsdiskussion „Kein Volksfest ohne Vollrausch? Welche Strategien wirken gegen den Alkoholmissbrauch Jugendlicher?“ Auf Einladung der CDU-Stadtratsfraktion diskutierten Experten und Vertreter von Jugendeinrichtungen über Ursachen und Konsequenzen des Alkoholmissbrauchs bei Jugendlichen. Streitpotential und konkrete, auf die Stadt bezogene Lösungsansätze waren indes rar. Stattdessen wurde ein Katalog bekannter Forderungen geboten: mehr Präventionsarbeit an Schulen, verschärfte Kontrollen und ein jugendgerechtes Unterhaltungsprogramm. Eine Teilnehmerin appellierte auch an die Erwachsenen: „Wir sollten uns öfter mal an die eigene Nase fassen“.

TRIER. Mehr als 60 Jugendliche, die wegen übermäßigem Alkoholkonsum ambulant oder stationär behandelt werden mussten, rund 100 Polizisten im Einsatz, 17 Gewahrsamnahmen, 150 Platzverweise und zahlreiche Fälle von Beleidigungen der Beamten – die Erinnerungen an die düstere Bilanz eines eskalierten Weiberdonnerstages waren noch präsent, als im Rokokosaal des Kurfürstlichen Palais über die Begleiterscheinungen von Volksfesten diskutiert wurde. Ob beim Altstadtfest, im Palastgarten oder eben jüngst an Karneval – Alkoholexzesse stehen bei fast jedem deutschen Brauchtum auf der Tagesordnung. Betroffen sind oft schon Jugendliche, deren feuchtfröhliches Feiern mitunter auf der Notaufnahme eines Krankenhauses endet.

Die Veranstaltung sei nicht nur eine Reaktion auf den Weiberdonnerstag, erklärte Dr. Ulrich Dempfle, Fraktionsvorsitzender der CDU, sondern auch auf die Entscheidung des Stadtrats, den Pachtvertrag mit der „blauen Lagune“ in der Ostallee zu verlängern. „Viele Anwohner haben uns den Vorwurf gemacht, den Jugendlichen zu ermöglichen, sich die ganze Nacht durch mit Alkohol zu versorgen“, berichtete Dempfle, der die Podiumsdiskussion moderierte.

Mit Zahlen und Fakten näherte sich Dr. Harald Michels, Leiter des Gesundheitsamts Trier, der Problematik zunächst noch behutsam. Tatsächlich geben die Statistiken der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärungen erst einmal Anlass für Optimismus. So ist der Anteil junger Erwachsener, die regelmäßig Alkohol trinken, seit den 1970er-Jahren insgesamt rückläufig. Auch das Alter, in dem die Jugendlichen ihren ersten Vollrausch erleben, hat sich laut Bundeszentrale seit 2004 deutlich nach hinten verschoben. Wirklich beruhigen konnten die nüchternen Zahlen die Diskutanten nicht. „Mag sein, dass sie weniger trinken“, wendete Marc Powierski von der Polizei Trier ein, „aber sie trinken vor allem anders. Das komatöse Saufen hat deutlich zugenommen.“ Powierski war an Weiberfastnacht selbst im Einsatz und berichtete von der zunehmenden Gewaltbereitschaft der betrunkenen Jugendlichen. Ein zentrales Problem sieht er in der mangelnden Aufklärung der Heranwachsenden über die Wirkungen von Alkohol. „Die können oft gar nicht abschätzen, was mit ihnen passiert, wenn sie eine halbe Flasche Wodka trinken.“ Als Beauftragter für Jugendsachen der Polizeidirektion Trier setzt Marc Powierski auf „ursachenorientierte Aufklärung“ und eine Kooperation von Polizei und Schulen, um solche Unsicherheiten auszuräumen. „Die Angebote für Drogenprävention an Schulen sind da. Es mangelt jedoch an Vernetzung und guter Präsentation der Präventionsarbeit.“

Harald Michels vom Gesundheitsamt schien sich gar nach Zeiten zurückzusehnen, in denen die Ausgangssperre noch die Trunkenbolde von den Straßen fernhielt. „Die Hemmschwelle im öffentlichen Raum zu trinken ist rapide gesunken. Da kommt man einfach billiger an den Alkohol ran“, erklärte er. „Das Ordnungsamt ist zu unterbesetzt, um damit fertig zu werden.“ Äußerst brisant war Michels Bericht über Fälle, bei denen sich junge Erwachsene den Alkohol auf eine sehr unkonventionelle Art zuführten: Ein mit Hochprozentigem getränkter Tampon werde anal eingeführt, sodass der Alkohol über die Schleimhäute direkt ins Blut gelangt. Auch an Karneval in Trier hätten Narren diese Methode gewählt. Unter den geladenen Diskutanten war auch Louis-Philipp Lang, Vorsitzender des Trierer Jugendparlamentes. In der vergangenen Sitzung hatte sich das Jugendparlament intensiv mit den Alkoholexzessen an Fastnacht beschäftigt. Der 17-Jährige kennt den Gruppenzwang unter Jugendlichen gut. „Wenn man nicht auf den Gelagern am Hauptmarkt dabei war und auf den Facebook-Fotos nicht mit drauf ist, kann man sich ganz leicht ins Abseits manövrieren“, berichtete er. Lang sieht insbesondere die Schulen in der Verantwortung, an Tagen wie Weiberdonnerstag kein Schulfrei zu geben.

Bettina Bulitta-Steimer und Reinhold Spitzley konnten vor allem den Erfahrungsschatz und Pragmatismus aus ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in die Diskussion einbringen. „Das Klagen über die Jugend ist so alt wie die Menschheit selbst“, beschwichtigte Spitzley, Geschäftsführer des Palais e.V., die Runde. Man müsse darüber nachdenken, wie man attraktive Alternativveranstaltungen von und für Jugendliche schaffe. Dort müsse auch ein Anreiz gesetzt werden, auf alkoholische Getränke zu verzichten. „Es ist nicht in Ordnung, dass nicht-alkoholische Getränke auf vielen Getränkekarten teurer sind als als die alkoholischen“, klagte er. Neben klaren und transparenten Regeln möchte die Hausleiterin des Mergener Hofs, Bulitta-Steimer, den Jugendlichen auch einen genussvolles und zivilisiertes Trinken vermitteln. Karneval sei schließlich auch ein Kulturgut. Man müsse nur früh lernen, gut und verantwortungsbewusst zu feiern. „Wir sollten uns öfter mal an die eigene Nase fassen“, empfahl Bulitta-Steimer, „und sollten unsere Vorbildfunktion nicht unterschätzen.“

Dass trotz des guten Wetters so viele Menschen zur Diskussion in das Kurfürstliche Palais gekommen waren, zeigt, wie betroffen man auch abseits der Politik von dem Thema ist. Unter den zahlreichen, oft emotionalen Wortmeldungen war ein Schulleiter, ein Mitarbeiter des Weinfestes und ein ehemaliger Alkoholiker. Anwohner beschwerten sich über Saufgelage an Berufsschulen oder am Bahnhof, schnapsverteilende Junggesellen-Abschiede und randalierende Halbstarke an der Jugendherberge. Zum Teil warf man der Polizei vor, an diesen Orten zu wenig Präsenz zu zeigen. Eine Mitarbeiterin in der Kinderstation eines Trier Krankenhauses berichtete von einer klaren Zunahme von Alkoholvergiftungen. „An Tagen, an denen an Trierer Schulen die Zeugnisse ausgestellt werden, müssen wir jedes Mal unser Personal aufstocken. Das ist einfach nur traurig“, erzählt sie.

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