Aktualität mit einem Hauch dreißiger Jahre

Durch die vor zwei Jahren neuaufgelegte Taschenbuchausgabe des 1947 erschienenen Buches „Jeder stirbt für sich allein“ erlebt der Autor Hans Fallada eine Renaissance. Diese Popularität ist ein Grund, warum in dieser Spielzeit eines seiner Werke Vorlage für eine Inszenierung am Trierer Theater wurde. Am Samstag um 19.30 Uhr hat „Kleiner Mann, was nun?“ Premiere im Großen Haus. Die Version basiert jedoch nicht auf dem Roman. 16vor sprach mit dem Intendanten über das Stück, aber auch über den kommenden Spielplan und die Diskussionen über den Ausstieg bei dem grenzüberschreitenden Projekt „Total Théâtre“.

16vor: Was hat Sie im vergangenen Jahr veranlasst, Falladas „Kleiner Mann, was nun?“ auf den kommenden Spielplan zu setzen? Seine gestiegene Popularität oder die Weltwirtschaftskrise?

Gerhard Weber: Beides kam zusammen. Wegen des Gerhard-Hauptmann-Jahres wollten wir eigentlich „Die Weber“ aufführen. Ein Stück aus dem klassischen Literaturbereich zum Thema „Armut, Prekariat, soziale Not“. Aber „Die Weber“ sind schon sehr speziell, auch wegen der schlesischen Sprache, die man nicht wegnehmen kann. Dann haben wir uns dem „Kleinen Mann“ zugewandt. Auch wegen des Fallada-Booms, der noch immer anhält. Als ich das Stück und den Roman wieder las, habe ich verstanden, warum Menschen Fallada lesen und wollte das Stück auf die Bühne bringen. Nicht nur, weil er dem sogenannten Kleinen Mann aufs Maul schaut, ihn sprechen lässt, Verständnis für ihn hat. Er vermag es auch, Geschichten zu erzählen, zum Beispiel von Johannes Pinneberg und Lämmchen. Was passiert mit einem, der immer wieder rausgeschmissen wird, obwohl er sein Bestes gibt. In der Beobachtung dieser kleinen Unscheinbarkeiten des Lebens, die katastrophale Auswirkungen haben, hat Fallada seine Qualitäten.

Zudem lässt er die Figuren, so stark er sie auch charakterisiert, leben und atmen – auch mit ihren negativen Eigenschaften. So entsteht eine spannende Ansammlung von Menschen, die miteinander in Verquickung kommen. Es gibt praktisch drei Geschichten, die erzählt werden: Die erste handelt von Pinneberg und Lämmchen, die versuchen, mit einem positiven Start im Leben durchzukommen, aber immer mehr ins soziale Abseits geraten. Die zweite handelt von dessen schräger Mutter, die mit ihrem Liebhaber in Berlin einen Erotikclub betreibt. Auch zwischen diesen Beiden gibt es Verwerfungen. Die dritte Geschichte handelt von Heilbutt – auch einer, der durch Denunziation durch das Rost fällt, weil er angeblich erotische Postkarten verkauft. Diese ganzen Schicksale finden in diesem großartigen Stück und auch im Roman schönen Niederschlag.

16vor: Als Vorlage haben Sie allerdings nicht den Roman gewählt.

Weber: Wir haben uns für eine Fassung entschieden, die in den 70er Jahren für Furore sorgte. Es ist eine Art Revue mit Chansons und Operetten der 30er Jahre. Damit soll der Sozialtouch ein bisschen konterkariert werden. „Das Leben geht weiter“ – es wird getrunken, es wird geliebt und gelebt. Wir spielen das Stück in Anlehnung an die Entstehungszeit zwar heute, aber mir war wichtig, dass wir auch die 30er Jahre mitnehmen. Der Atem der 30er Jahre geht da durch, obwohl die Kostüme mehr oder weniger heutig sind.

16vor: Und welche Musik wird zu hören sein? Alter Schlager oder junger Techno?

Weber: Schunkelmusik wie „Das ist die Berliner Luft“ konnte ich mir in dem Bühnenbild von Dirk Immich nicht vorstellen. Ich habe Sebastian Matz eine CD von Paul Kalkbrenner hingelegt und gesagt: „Sebastian, so möchte ich die Musik haben.“ Er stockte zunächst, aber nach drei Tagen meinte er: „Super Idee, ich habe schon ein paar Sachen gemacht.“ Es kommt sehr viel Energie durch die Remixe der alten Schlager rüber.

16vor: Hätte es sich bei diesem Stück nicht besonders gut angeboten, es komplett in die heutige Zeit zu übertragen?

Weber: Es ist mehr oder weniger heutig. Unsere erste Berlin-Szene spielt im Club Berghain. Von der Ästhetik ist es aktuell. Ich finde es aber wichtig, dass wir den Herzschlag der 30er Jahre mit rübergenommen haben.

16vor: Besteht bei der Inszenierung der Revue nicht die Gefahr, dass das Stück zu heiter und die Sozial- und Gesellschaftskritik in den Hintergrund gerät?

Weber: Ich glaube, die Revue ist durch Tankred Dorst und Peter Zadek sehr ausgewogen geraten. Wir haben gerade die letzten Durchläufe hinter uns, und die Leute, die es sehen, macht es sehr betroffen. Ich denke, wir haben ein gutes Gleichgewicht hinbekommen.

16vor: Sehr musikalisch ist auch das Programm für die neue Spielzeit geworden. So finden sich sogar Musicals in der Sparte „Schauspiel“.

Weber: Im Schauspiel haben wir eigentlich nur „Hair“ als Musical. Auch im Tanztheater werden wir wieder in die Popkultur hineingehen. „In 80 Mouseclicks um die Welt“ werden wir mit den wunderschönen Nummern von den „Prinzen“ machen.

16vor: Zum Schauspiel wird aber auch noch das Musical „Dschungelbuch“ gezählt.

Weber: Das ist richtig. Wir haben aber auch schon in den letzten Jahren viel mit Musik gemacht beim Kindertheater.

16vor: Neben dem Büchner-Projekt, bei dem Sie „Dantons Tod“ und „Leonce und Lena“ miteinander verknüpfen, sticht auch die Oper „The Fly heraus. Wie kamen Sie auf dieses Stück?

Weber: Wir haben vor drei Jahren schon Philip Glass‘ „The Voyage“ aufgeführt. Mir ist es ein Anliegen, immer wieder den Blick über den Tellerrand hinaus zu richten. Wo wird wie noch Musik gemacht? Wir haben sehr viel geforscht, sogar mit südamerikanischen Opern. Wir sind letztendlich auf „The Fly“ und Howard Shore gestoßen, der ja eher vom Film kommt, aber sich auch als seriöser Komponist sieht. Für Cronenbergs phänomenale Verfilmung von „The Fly“ hat er sensationelle Musik geschrieben. Vor drei oder vier Jahren wurde das erstmals als Oper aufgeführt. Cronenberg hat es wieder inszeniert, und Shore eine völlig neue Musik dazu komponiert. Das ist ihm genial gelungen. Sie hat eine ungeheure Dramatik. Ich hoffe, wir bekommen damit auch viele Filmfans ins Theater.

16vor: Apropos „über den Tellerrand hinausschauen“. In den vergangenen Wochen wurde viel über die Nicht-Teilnahme des Trierer Theaters an dem interregionalen Theaterverbund „Total Théâtre“ diskutiert. Wie ist der aktuelle Stand?

Weber: Es gab mehrere Sitzungen mit dem Förderverein und dem Kulturausschusses, wo man von uns wissen wollte, wie es dazu gekommen ist, dass wir kurz vor Vertragsabschluss ausgestiegen sind. Diese Gründe haben wir dargestellt und um Verständnis für diese Entscheidung gebeten. Die Unwägbarkeiten, gerade die finanziellen Bereich, wurden auch nachvollzogen. Uns wurde aber auch zu Recht gesagt, dass das nicht gut kommuniziert wurde. Das hätten wir besser machen sollen.

Aber wir sind und bleiben strategischer Partner von „Total Théâtre“, zumal wir und gerade unser Chefdramaturg Peter Oppermann zu den Vätern des Projektes gehören. Einige Projekte haben wir selbst kreiert wie zum Beispiel das „Total Théâtre“-Treffen, an dem wir hoffentlich teilnehmen können. Wir versuchen auch, bei „Transit“ mitzumachen, einer gemeinsam von den beteiligten Theatern durchgeführte Koproduktion. Wenn wir diese beiden Projekte hinkriegen, ist das schon sehr viel.

Die Intendanten der einzelnen Theater sind auf Augenhöhe miteinander. Durch die ganzen politischen Wirrnisse gab es Verwerfungen, die geklärt werden mussten. Gerade zwischen dem Théâtre National du Luxembourg und unserem Theater ist dies bereinigt. Wir gucken optimistisch in die Zukunft.

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