Der Aufstand beginnt im Discounter

Wie aus Theaterbesuchern ein Protestzug wird. Karl Marx führt die Trierer Demonstranten auf den  Kornmarkt. Foto: Volker HaaßMit „Stadt in Aufruhr“ möchte das Theater Trier im Rahmen des Festivals „Maximierung Mensch“ einen düsteren Gegenentwurf zum Strukturpapier des Stadtvorstandes liefern. Herausgekommen ist dabei ein theatraler Stadtrundgang durch das heruntergewirtschaftete Trier des Jahres 2025. Das Konzept für die Inszenierung arbeitete eine Studentengruppe um Roman Schmitz aus, die bereits durch den „TheaterUmriss“ sowie das „Tafel-Theater“ in Trier bekannt wurde. Mit der Premiere am Mittwochabend glückte dem rund 100-köpfigen Laienensemble dabei eine teils famose, weil mitreißende Darbietung experimenteller Theaterformen.

TRIER. Der Beginn ist friedlich. Auf dem Gelände der Kunstbaustelle „Tufatopolis“ mit seinen Bretterbuden und -türmen gleich neben dem Kulturzentrum in der Wechselstraße tummeln sich Kinder und spielen ihre Phantasiehelden nach: Batman und Robin, Pippi Langstrumpf und Michel aus Lönneberga. Dass ein Hütchenspieler einen (wie immer) naiven Passanten um seinen Spieleinsatz von fünfzig Euro betrügt und damit eine Verfolgungsjagd auslöst, ist noch das Bedrohlichste an der sonst fast idyllisch anmutenden Atmosphäre.

Doch ist dies nur der relaxte Prolog zu einer sonst beunruhigenden Inszenierung, die mit der Ansprache eines Karl-Marx-Protagonisten und seinem Vergleich zwischen der Situation am Vorabend der Französischen Revolution und der Triers im Jahr 2025 ihren Unheil verkündenden Anfang nimmt. Es folgt ein Stationentheater, das sich weniger an dem im Programmheft zitierten kommunalen Entwicklungspapier anlehnt als vielmehr die derzeitigen sozialen Unruhen innerhalb Europas inklusive der jüngsten Entwicklungen in der Türkei nachzuzeichnen versucht.

Der futuristische Parcours beginnt dabei in einem Hinterhof einer Schreinerei gegenüber der Tufa – genauer gesagt auf einem Garagenstellplatz. Hier erzählen gleich vier Akteure simultan den Publikums-Kleingruppen jeweils die gleiche Geschichte: wie sie beim Lebensmitteldiscounter Aldi für die Entlassung des Filialleiters skandierten und sodann mit ihren Plünderungen begannen. Es soll dies die Brutstätte des Aufstandes sein, der sich im weiteren Verlauf der Inszenierung mit dem Slogan „Wir zahlen nicht“ weiter Bahn bricht.

Daraufhin werden die Zuschauer beginnend von der Pfützenstraße durch die Trierer Innenstadt gelotst und beobachten Hausbesetzer, die den Weltladen gegen eine Karl-Marx-Shoppingmall (!) oder ihr Obdach gegen Mieterhöhungen verteidigen. Sie sehen Barrikaden am Handwerkerbrunnen und Flugblätter auf den Straßen gegen ein weiteres ECE-Kaufhaus sowie die Wasserprivatisierung. Sie erleben Polizisten, die Obdachlose drangsalieren und Aldi-Plünderer in der Nagelstraße zusammendreschen. Sie lauschen Märtyrern wie Mohammed Bouazizi, der mit seiner Selbstverbrennung den Arabischen Frühling anstieß. Und schließlich werden sie – hier liegt der eigentliche Kunstgriff des Regieteams rund um Roman Schmitz – selbst mit Protestschildern ausgestattet zu Demonstranten, die den sichtlich überrumpelten Kneipengästen auf dem Kornmarkt ihren neuen Leitspruch zurufen: „Wir zahlen nicht!“, „We don´t pay!“, „No pagamos!“.

Doch wer nun glaubt, aus dieser theatralischen Aktivierung der Trierer Bürger entwickle sich eine optimistische Zukunftsvision, sieht sich spätestens im Sitzungssaal des Rathauses eines Besseren belehrt. Die Aufführung macht hier einen weiteren zeitlichen Sprung und zeigt, was aus dem Aufstand im darniederliegenden Trier des Jahres 2025 – welcher zwischenzeitlich auf einer weiteren Etappe die Tagesschau beschäftigt – zehn Jahre später geworden ist: eine Casting-Show für deutsche Ehrenbürger, die sich um den „Umbau der Verfassung“ und der Sicherung des angeblich alternativlosen Effizienz-Systems Bundesrepublik Deutschland verdient gemacht haben.

Wenn der exaltierte Entertainer (Niels Wehr) sein Publikum zur Abstimmung zwischen den heilsbringenden Technokraten – einer selbstverliebten Journalistin, einer marktkonformen Politikerin und einem skrupellosen Unternehmer – animiert, dann wird aus der vormaligen Rebellion eine Satire auf das heutige Unterhaltungsfernsehen: „Sie können hier einfach mal zum Spaß abstimmen, das gibt’s ja in der Politik gar nicht mehr.“ Das einzig Versöhnliche an dieser Dystopie bleibt das ergreifende Schlussbild, das die Entertainment-Folter beendet.

Den Theatermachern der „Gruppe International“, der luxemburgischen Vereinigung „MASKéNADA“ und der Tufa ist mit „Stadt in Aufruhr“ im Rahmen des Festivals „Maximierung Mensch“ in künstlerischer Hinsicht ein großer Wurf gelungen. Gekonnt experimentiert das Regie-Team mit einem Aufführungsstil, der nicht nur die Zuschauer in die Inszenierung miteinbindet, sondern durch das 100-köpfige Ensemble mit größtenteils Laiendarstellern die Maxime vollbringt, die in Zeiten kontroverser Spardiskussionen vom Theater gefordert wird: sich einem breiteren Publikum zu öffnen.

Inhaltlich stoßen die Theatermacher jedoch spürbar an ihre Grenzen und kommen über eine holzschnittartige Betrachtung aktueller politischer Krisenzustände nicht hinaus – da hätte dem Stück eine ordentliche Prise mehr Science-Fiction-Geist gut getan. Dennoch bleibt der Theaterabend eindrücklich, weil es das Performance-Schauspiel schafft, aus dem Medium Theater eine Selbsterfahrung zu machen, die die Besucher kräftig durchschüttelt.

Weiter Aufführungen sind am 22., 25. und 26. Juni um jeweils 20 Uhr. Treffpunkt ist an der Tufa Trier.

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