Ortsbeiräte auf dem Prüfstand

Hat Trier zu viele Stadtteile? Oder haben die Ortsbeiräte nur zu wenig zu melden? Viele der aktuell 267 Stadtteilpolitiker, schieben Frust. Das bestätigen auch die Ergebnisse einer Untersuchung des Fachs Politikwissenschaft an der Universität. Geht es nach den Studenten von Professor Wolfgang H. Lorig, gehören die Strukturen auf den Prüfstand. Gleich mehrere Optionen werden präsentiert: von einer Stärkung der Stellung des Ortsvorstehers über die Abwicklung sämtlicher Ortsbeiräte bis hin zur Einführung direkter Abstimmungen – oder eine Kombination von alledem. „Wir wollen nicht aus dem akademischen Turm heraus belehren, sondern Anstöße geben“, betont Lorig. Allerdings hoffen er und seine Studenten auf eine breite und ergebnisoffene Diskussion. Der Handlungsdruck für Stadt und politische Gruppierungen dürfte jedenfalls größer werden, fiel es doch schon 2009 schwer, ausreichend Kandidaten für die Kommunalwahl zu finden.

TRIER. „Starke Stadtteile – Starke Stadt“ lautet der Titel einer Podiumsdiskussion, zu der die Trierer CDU für diesen Donnerstag eingeladen hat. Die Christdemokraten sind in vielen Ortsteilen traditionell stark verankert. Dass die Union trotz herber Stimmenverluste bei der letzten Kommunalwahl erneut als stärkste politische Kraft Triers ins Ziel kam, verdankt sie auch ihrer Stellung in den Stadtteilen. Doch bei den direkt gewählten Mitgliedern der Ortsbeiräte, gleich welcher politischen Couleur, ist der Frust groß. Die Verwaltung kommuniziere nicht oder zu spät, man werde zu wenig in Entscheidungen eingebunden. Und überhaupt – wirklich zu bestimmen hätten die Stadtteilvertreter eigentlich nichts. Als der Oberbürgermeister im vergangenen Herbst ohne vorherige Rücksprache und Information die Ortsteilbudgets kürzen wollte, war die Reaktion derart heftig, dass Klaus Jensen umgehend zurückrudern musste – und sich öffentlich entschuldigte.

Die Diskussion indes dauert an, und sie dreht sich bislang vor allem um Prozeduren und Budgets. Ein vom Heiligkreuzer Ortsbeirat auf den Weg gebrachter Forderungskatalog, der unter anderem verlangt, dass künftig zunächst der Stadtteil konsultiert wird und erst dann der zuständige Dezernatsausschuss berate, dient der Debatte als Grundlage. So weit, die Existenzberechtigung der Ortsbeiräte in Frage zu stellen, ging bislang niemand.

So weit gehen auch Wolfgang H. Lorig und seine Studenten nicht, allerdings ist die Abwicklung sämtlicher Ortsbeiräte eines der Handlungsszenarien, welche die Politikwissenschaftler nun zur Debatte stellen. Die Zeit für eine Diskussion über ernsthafte strukturelle Veränderungen sei reif, ist der Politikprofessor überzeugt und verweist auf die Ergebnisse einer „mikropolitischen Studie zu den Möglichkeiten und Restriktionen von Bürgerbeteiligung in der lokalen Demokratie“. Mit einem standardisierten Fragebogen wurden stichprobenartig 96 Bürger befragt. Dem schloss sich eine postalische Befragung der Mitglieder aller Ortsbeiräte an. Mehr als 49 Prozent antworteten, ein gemessen an vergleichbaren Untersuchungen sehr hoher Rücklauf. Lorig wie auch Stefan Henn räumen gleichwohl ein, dass die Ergebnisse der Bürgerbefragung nur bedingt aussagekräftig und nicht repräsentativ sind. Man habe keinerlei Drittmittel zur Verfügung gehabt,  denn „eigentlich hätten wir breiter ermitteln müssen“, so Lorig. Die Ergebnisse seien „optimierungsbedürftig“.

Beiräte verringern oder gleich ganz abschaffen?

Doch optimierbar scheint auch die Rolle der Ortsbeiräte, deren Mitglieder offenbar den Eindruck haben, dass ihre Arbeit kaum interessiert. Nicht nur die Verwaltung lasse es an Wertschätzung missen, so der Tenor der häufig geübten Kritik; Bürger zeigten allenfalls dann Präsenz in den Sitzungen, wenn es um für sie wichtige Themen gehe. Eine „starke Issue-Orientierung“ heißt das bei Politologen. Frage an Lorig: Was er denn von einer Reduktion der Ortsbeiräte halte, wie sie von der SPD ins Spiel gebracht worden war? Der Wissenschaftler formuliert überlegt, erklärt, er gehe an solche Fragen grundsätzlich pragmatisch heran. Eine „Veränderung der Landschaft sei durchaus sinnvoll“, sagt er schließlich und lässt durchblicken, dass er sich eine Verringerung der Zahl der Ortsbeiräte vorstellen kann. Schließlich würden manche Stadtteile auch immer mehr zusammenwachsen. Eine Reduktion sei zudem politisch eher durchsetzbar, als die Ortsbeiräte gleich ganz abzuschaffen.

Eine Abschaffung steht vorerst auch nicht zu erwarten. Denn hierfür müsste zunächst der Gesetzgeber Grundlagen schaffen, und bis voraussichtlich Ende des Jahres tagt noch die vom Landtag eingesetzte Enquete-Kommission „Aktive Bürgerbeteiligung für eine starke Demokratie“, der Lorig als Sachverständiger angehört. Bei der im Frühsommer 2014 anstehenden Kommunalwahl werden deshalb erneut in allen 19 Stadtteilen Triers Ortsbeiräte und auch Ortsvorsteher direkt gewählt. Lorig und seine Studenten hoffen jedoch, dass die von ihnen zur Debatte gestellten Handlungsszenarien schon jetzt eine engagierte Debatte auslösen werden; auch das Modell einer Abschaffung der Ortsbeiräte bei gleichzeitiger Stärkung der direkten Demokratie auf Stadtteilebene. Denn gerade was direkte Abstimmungen angehe, hätten bei der Befragung sowohl die Beiräte als auch die Bürger große Offenheit gezeigt. Zugleich sei deutlich geworden, dass unter den Bürgern „ein sehr geringes Interesse und auch eine geringe Kenntnis am Gremium des Ortsbeirats besteht“.

Stattdessen interessierten sich die Menschen stärker für konkrete Themen. Dieses Phänomen lasse sich aber nutzen, indem zu bestimmten Themen mit direktem Bezug zum Stadtteil Abstimmungen durchgeführt würden, erläutert Stefan Henn und unterstreicht, dass die Maßnahmen, über die abgestimmt würde, sich im Rahmen der Ortsteilbudgets bewegen müssten. Denn bei Entscheidungen, die Folgekosten nach sich zögen, sei wieder der Stadtrat gefragt. Teil dieses Modells wäre auch eine Stärkung der Stellung des Ortsvorstehers. Die Untersuchungen hätten deutlich gemacht, dass es sich hierbei um „eine Schlüsselfigur lokaler Demokratie“ handele, so Henn. Denkbar sei, dem Ortsvorsteher ein Antragsrecht im Stadtrat einzuräumen, und auch ein Stimmrecht in städtischen Gremien sei nicht abwegig. Ein solcherart gestärkter und besser ausgestatteter Ortsvorsteher stünde dann nicht mehr einem Beirat vor, sondern einem Forum aus verschiedenen Akteuren des Stadtteils – von der Kita über die Kirche bis hin zu Bürgerinitiativen und Sportvereinen. Vierteljährlich, so der Vorschlag, könnte dieses Gremium zusammentreten und über wichtige Themen beraten.

Lorig und Henn betonen, dass für ein derart ambitioniertes Modell Landesgesetze und auch städtische Satzungen geändert werden müssten. Doch in Einzelpunkten könne die Stadt Trier auch mit gutem Beispiel vorangehen, etwa wenn es um die Einführung direkter Abstimmungen über die Verwendung der Ortsteilbudgets gehe; notfalls ließe sich das Problem der Verbindlichkeit solcher Voten auch durch eine Selbstverpflichtung des jeweiligen Ortsbeirats lösen. Weil aber auch derartige, vermeintlich kleinen Schritte einen nicht zu unterschätzenden organisatorischen Aufwand voraussetzen und Geld kosten, müsse man über die Einführung eines Referats  Partizipationsmanagement im Rathaus nachdenken, erklärt Lorig. In der Wissenschaft sei längst Konsens, dass es professioneller Strukturen bedürfe, um die Bürgerbeteiligung wirklich voranzubringen. Nur dann könne „lokale Demokratie zum Testlabor für neue Beteiligungsmöglichkeiten und zur Schule der Demokratie“ werden, zitiert der Politikwissenschaftler seinen Münsteraner Kollegen Norbert Kersting.

Lorig: Wollen nicht belehren, sondern anregen

Doch der Trierer Professor, der vor vielen Jahren einmal dem Stadtrat angehörte, weiß auch, dass die Vorschläge vom Uni-Campus bei manchen Ortsbeiräten und darüber hinaus auf Skepsis bis Ablehnung stoßen dürften. Keinesfalls wolle man „aus dem akademischen Turm heraus belehren“, betont er, doch eine möglichst ergebnisoffene Diskussion erwarten er und seine Studenten schon. Ohnehin mangelt es nicht an Stoff für eine Debatte, und beim Stichwort Bürgerbeteiligung ist man auch rasch beim Demokratie-Effizienz-Dilemma; ein offenkundiges Demokratiedefizit der aktuellen Ortsbeiräte lässt sich ebenfalls kaum leugnen – direkt gewählt, doch ohne wirkliche Entscheidungskompetenz, agieren die Stadtteilpolitiker bisweilen wie Könige ohne Land, denen obendrein das Volk abhanden kommt, wie die durchweg schwache Beteiligung bei kommunalen Wahlen zeigt.

Hinzu kommt: Wenn sich die Verantwortlichen in der zweiten Jahreshälfte daran machen, nach Kandidaten für die Kommunalwahl 2014 Ausschau zu halten, dürfte in manchen Stadtteilen und bei einigen politischen Parteien und Gruppierungen der Personalmangel offenkundig sein. Hinter vorgehaltener Hand räumen Parteienvertreter schon jetzt ein, dass sie nicht wüssten, wie sie ausreichend Kandidaten beisammen bekommen, und die bisherige Debatte über die Ortsbeiräte werde wohl auch kaum jemanden zusätzlich motivieren, fürchten sie. Auch sind schon jetzt einige Sitze in den Ortsbeiräten vakant, weil sich schlicht keine Nachrücker mehr fanden.

Zum Internetpräsenz der Enquete-Kommission „Aktive Bürgerbeteiligung für eine starke Demokratie“ geht es hier.  

Die Veranstaltung der CDU „Starke Stadtteile – starke Stadt“ beginnt am Donnerstagabend um 19.30 Uhr in der Aula des Humboldt-Gymnasiums. 

 

Print Friendly, PDF & Email

von

Schreiben Sie einen Leserbrief

Angabe Ihres tatsächlichen Namens erforderlich, sonst wird der Beitrag nicht veröffentlicht!

Bitte beachten Sie unsere Kommentarrichtlinien!

Noch Zeichen.

Bitte erst die Rechenaufgabe lösen! * Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.