„Das ist quasi ein Nullsummen-Spiel“

Vor 15 Jahren beschloss ein Ausschuss des Stadtrats die Herausgabe eines eigenen Mitteilungsblatts für Trier. Seither erscheint fast jede Woche die Rathaus-Zeitung. Am Augustinerhof hält man das Blatt längst für unverzichtbar, doch andernorts kommt man ohne ein vergleichbares Angebot aus, für das im städtischen Haushalt etwa 230.000 Euro vorgesehen sind. Würde die RaZ eingestellt, kämen im Gegenzug neue Ausgaben auf die Stadt zu. Denn mit Ausschreibungen und amtlichen Bekanntmachungen müsste das Rathaus fortan wieder in die Lokalzeitung gehen, von einem sechsstelligen Betrag ist die Rede. Überhaupt ist die Geschichte der schon mal spöttisch als „Rathaus-Prawda“ bezeichneten Wochenzeitung nicht von der des Trierischen Volksfreunds zu trennen.

TRIER. Dienstag ist RaZ-Tag. Zumindest in rund 45 von 52 Wochen im Jahr. Die „Wochenzeitung der Stadt Trier“ stellt ihr Erscheinen schon mal vorübergehend ein. Meist nur für eine oder ein paar wenige Wochen, wenn etwa Schulferien das kommunalpolitische Leben zum Erliegen bringen. Mit aktuell 56.000 Exemplaren pro Ausgabe liegt die Auflage der RaZ noch über der des Trierer Wochenspiegels. Doch braucht die hoch verschuldete Stadt überhaupt ein eigenes Mitteilungsblatt? Im Bürgerhaushalt taucht die Forderung, die Zeitung einzustellen um Geld zu sparen, regelmäßig auf. Allerdings schaffte es der Sparvorschlag auch in diesem Jahr wieder nicht in die Endrunde jener Ideen, mit denen sich der Rat hätte befassen müssen.

Dass den Trierern jeden Dienstag die RaZ ins Haus flattert, haben sie gewissermaßen auch dem Trierischen Volksfreund zu verdanken. Mitte der 1990er Jahre kam es bei der Regionalzeitung zu einem Wechsel in der Chefredaktion: Norbert Kohler, im Volksmund und Volksfreund auch „NoKo“ genannt, trat ab. Nach seiner Kriegsgefangenschaft war der heute 85-Jährige zum TV gekommen, stieg dort vom Volontär zum Chefredakteur auf. Von 1966 bis 1995 leitete Kohler die Trierer Lokalredaktion. „Ich wollte Meinung machen“, erklärte er einmal in einem Interview. Zu Zeiten Kohlers galt die Berichterstattung der Zeitung gegenüber dem Rathaus als sehr wohlwollend, erinnern sich Leser von damals.

Das sah offenbar auch Kohlers Nachfolger so. Als Walter W. Weber Chefredakteur wurde und Damian Schwickerath die Leitung der Lokalredaktion übernahm, wehte fortan ein anderer Wind. Der TV wurde kritischer, man verließ sich nun weniger auf offizielle Verlautbarungen, setzte verstärkt auf eigene Geschichten. Am Augustinerhof kam das nicht gut an, weshalb man jetzt plante, was es in anderen Städten schon gab: ein eigenes Mitteilungsblatt. Im Juli 1996 beschloss der damalige Haupt- und Finanzausschuss des Rates einstimmig die Herausgabe der RaZ. Dass der TV, der später die Gerichte bemühen und hierbei unterliegen sollte, maßgeblichen Anteil an dieser Entscheidung hatte, wird im Rathaus nicht bestätigt. Stattdessen spricht man von einer „ereignisreichen Vorgeschichte“, und davon, dass die Herausgabe auch die Folge eines „gewandelten Selbstverständnisses“ der Verwaltung gewesen sei. Die Arbeit sollte effizienter und bürgernäher gestaltet, der neu definierte „Service-Charakter“ gegenüber dem „Bürger als Kunden“ mit verschiedenen Projekten umgesetzt werden, erläutert Dr. Hans-Günther Lanfer. Neben dem symbolträchtigen Bürgeramt habe hierzu auch die RaZ gezählt.

Verweis auf die Gemeindeordnung

Lanfer ist Chef des städtischen Amtes für Presse und Kommunikation und in Personalunion Redaktionsleiter der RaZ. Fragt man ihn nach der Existenzberechtigung des Blattes, hat er sogleich die Gemeindeordnung zur Hand. „Die Gemeindeverwaltung hat die Einwohner über wichtige Angelegenheiten aus dem Bereich der örtlichen Verwaltung in geeigneter Form zu unterrichten“, heißt es dort. Dieser Verpflichtung komme man mit der RaZ nach, indem man „in einer journalistisch ansprechenden Weise umfassend über die vielfältige Arbeit des Rathauses“ informiere. Im Übrigen setze eine verstärkte Bürgernähe und – partizipation, wie man sie im Rathaus wünsche, auch „eine verstärkte Information über das kommunale Geschehen voraus“. Als amtliches Bekanntmachungsorgan der Stadt muss die RaZ allen Haushalten zugestellt werden. „Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass viele Bewohner die lokale Tageszeitung nicht erreicht und die stark zunehmenden Online-Info-Dienste mit ihren zwangsläufig eher selektiven Themenangeboten nicht allen Bürgerinnen und Bürgern zugänglich sind“, so Lanfer. Wie viele Menschen das die RaZ tatsächlich lesen, weiß indes niemand. Eine aktuelle Reichweitenanalyse liegt nicht vor.

Dafür aber belastbare Zahlen, was sich die Stadt das Angebot kosten lässt: Eineinhalb Redakteursstellen plus ein Volontär bindet die wöchentliche Produktion des Blattes, wobei weitere Mitarbeiter des Amts zuarbeiten. Für Druck und Vertrieb, Sachkosten, Steuern und anteilige Redaktions-Personalkosten werden laut Lanfer jährlich rund 230.000 Euro ausgegeben. Doch mit den Kosten sei das so eine Sache, gibt man am Augustinerhof zu bedenken. Denn die RaZ vermeide gewissermaßen auch Kosten, kontert Lanfer: „Bei einem Wegfall des Blattes müssten von der Stadt für die Vergabe von Veröffentlichungsaufträgen für amtliche Bekanntmachungen nach außen Mittel aufgebracht werden“. Von rund 120.000 bis etwa 140.000 Euro ist die Rede, was in etwa den Produktions- und Vertriebskosten entspreche. Und weil man obendrein auch noch rund 70.000 Euro über den Verkauf von Werbeanzeigen einnehme, ergebe sich am Ende „quasi ein Nullsummen-Spiel“.

„Wir können keinen Kanal austrocknen“

Eine Einstellung der RaZ würde dazu führen, dass den Verantwortlichen im Rathaus ein aus ihrer Sicht wichtiger Verbreitungskanal wegfallen würde. Eine seltenere Erscheinungsweise oder gar ein Einstellen des Angebots steht in der Verwaltung jedenfalls nicht zur Debatte. Und dass der Internetauftritt, der einem umfassenden Relaunch unterzogen werden soll, die RaZ überflüssig machen könnte, glaubt man am Augustinerhof auch nicht. Denn amtliche Bekanntmachungen müssen laut Gesetz weiterhin in gedruckter Form erfolgen. Lanfer sieht auch sonst keinen Spielraum, zur Konsolidierung des städtischen Haushalts beizutragen: „Der Kostenlevel bewegt sich auf der Basis sehr günstiger Vertragsabschlüsse auf dem untersten Niveau. Potential für Einsparungen ist nicht gegeben.“

Kaum vorstellbar jedoch, dass der Stadtrat heute noch die Einführung eines eigenen Amtsblatts beschließen würde. Angesichts der gravierenden Haushaltslage würden Verwaltung und Fraktionen ein solches Projekt wohl nicht mehr in Angriff nehmen, und Städte wie Koblenz kommen bis  dato ohne ein vergleichbares Amtsblatt aus. Dass auch aus den Reihen der Ratsmitglieder keine Forderungen laut werden, das Angebot einzustellen, verwundert wenig: Schließlich können sich die Fraktionen auf Seite 2 zu ihnen wichtigen Themen äußern, wobei von der zweiköpfigen Linken bis zur 19 Mitglieder starken CDU-Mannschaft jeder Fraktion gleich viel Platz eingeräumt wird.

Das ist ein wesentlicher Unterschied zum Heidelberger Stadtblatt, wo sich der eingeräumte Platz am letzten Wahlergebnis orientiert. Das sei ein Beschluss des Gemeinderats gewesen, erläutert Eberhard Neudert. Seit 1991 gibt das Heidelberger Presseamt das Stadtblatt heraus, das jeden Mittwoch mit einer Auflage von 60.000 Exemplaren an die Haushalte verteilt wird und auch online gelesen werden kann. „Wir erreichen tatsächlich alle“, sagt Neudert, der allerdings einräumen muss, dass es keine belastbaren Untersuchungen zur Reichweite gibt. Wie für Lanfer ist auch für den Stadtblatt-Macher klar, dass es auf absehbare Zeit eine gedruckte Ausgabe der 41 Mal im Jahr erscheinenden Wochenzeitung geben wird. Dass man sich alsbald ausschließlich aufs Internet konzentrieren könnte, erwartet er nicht: „Wir informieren über mehrere Kanäle, da können wir nicht einfach einen Kanal austrocknen lassen“. Schließlich gebe es nach wie vor sehr viele Menschen, die über kein Internet verfügten oder dieses noch nicht zur Information über das lokale Geschehen nutzten, ist er sich mit dem RaZ-Chef einig.

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