„Wer schweigt, macht sich mitschuldig!“

DanielBühlingkleinDaniel Bühling wollte Priester werden, doch kurz vor dem Ziel verabschiedete er sich von diesem Weg. Der hätte ihn auch geradewegs ins Verderben geführt, ist er heute überzeugt. Vergangenen Montag las er in Trier aus seinem Buch „Das 11. Gebot: Du sollst nicht darüber sprechen“. Darin berichtet der Theologe von der inneren Zerrissenheit einstiger „Mitbrüder“, schildert aber auch, wie sich angehende Priester mit Doppelmoral und Scheinheiligkeit arrangierten. Von Schwulen-Pornos auf dem Seminar-Rechner handelt sein Buch, und von suchtkranken Seelsorgern, die nicht auf die Hilfe ihrer Kirche hätten zählen können. Als Abrechnung will der Autor sein Buch dennoch nicht verstanden wissen, versichert er; auch nicht mit dem Trierer Bischof Ackermann, der einmal sein Vorgesetzter war.  

TRIER. Daniel Bühling macht eine Pause, schweigt für einen kurzen Moment. Ein paar Sekunden hält er so inne, gefühlt eine Minute und mehr, in denen nun Stille herrscht im großen Saal des „Warsberger Hofs“. Der Autor hat seiner Lesung eine Art Erklärung vorangestellt. Das scheint ihm wichtig angesichts der hohen Wellen, die sein Buch in den Wochen seit Erscheinen schon geschlagen hat. Also ordnet Bühling das Werk vorab ein und erklärt, was seine Zuhörer nicht von ihm erwarten dürften. „Es ist keine Abrechnung“, betont der Mann mit den wachen Augen und der warmherzigen Stimme, „ich habe auch keine offenen Rechnungen mit der Kirche“. Und von seinem Glauben sei er auch nicht abgefallen.

Allenfalls von seinem Glauben an die eine heilige katholische und apostolische Kirche, wie es im „Großen Glaubensbekenntnis“ heißt. Dieser Kirche hat er den Rücken gekehrt, wie wahrscheinlich viele der nur rund 30 Zuhörer, die der Einladung der Initiativen „Schafsbrief“  und „MissBiT“ gefolgt sind. 2011 trat Bühling aus der Kirche aus. Jemand wie er, der mit seinem Partner in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebt und nicht nur schwul ist, sondern seine Homosexualität auch lebt, ist in der Kirche nicht willkommen. „Da wollte ich einfach konsequent sein“, sagt er und fügt hinzu, dass er sich ziemlich sicher gewesen sei, dass ihn die Kirche nie rausgeschmissen hätte.

„Konsequent“ ist ein Wort, das der Autor an diesem Abend noch häufiger gebrauchen wird. Konsequent sein und das leben, woran man glaubt und was man „predigt“ – für Bühling gibt es keine Alternative hierzu. Auch deshalb konnte er im Priesterseminar wohl nie glücklich werden. Denn was er in den Jahren seiner Ausbildung, etwa in St. Lambert, dem „deutschlandweit einzigartigen Priesterseminar des 3. Bildungsweges“ (O-Ton Homepage) erlebte und anschließend niederschrieb, hat mit der offiziellen katholischen Sexualmoral nur noch wenig zu tun. Glaubt man Bühling, dann ist die beispielsweise die „Kleine Kneipe“ von St. Lambert „fast so etwas wie eine interne Schwulenbar“. Der wesentliche Unterschied sei gewesen, dass die Besucher sich nicht offen als Homosexuelle zu erkennen gegeben hätten, sondern „verstohlen austesteten, wie weit man gehen durfte“.

Bühling: Jeder muss das mit sich selbst ausmachen

Das Thema Sexualität nimmt in Bühlings Buch viel Raum ein. „Für fast alle von uns war Sexualität ein Thema, und für einen Großteil war es die Homosexualität“. Viele Seminaristen hätten denn auch Beziehungen unterhalten, zu Männern, aber auch zu Frauen. Andere wiederum seien an den Wochenenden ins rund 60 Kilometer entfernte Köln gefahren, nicht wenige hätten für Sex auch bezahlt. Einige hätten auch durchaus mit ihren sexuellen Eroberungen geprahlt, berichtet der Autor, doch grundsätzlich habe für alle das „11. Gebot“ gegolten: „Du sollst nicht darüber sprechen“.

Bühling hat darüber geschrieben, jetzt reist er durch die Republik und spricht er über seine „dunklen Wahrheiten über das Priesterseminar“, wie der Untertitel seines Buches lautet. „Ich möchte für die sprechen, die noch nicht sprechen können“, erklärt er und es klingt nun mehr denn je der Seelsorger bei ihm durch. Doch der Autor sagt auch: „Versteckt euch nicht, geht offen damit um!“ Es ist ein Appell an all diejenigen, die ähnliches erlebt haben, aber sich weiterhin dem „11. Gebot“ verpflichtet fühlen. Letzten Endes müsse ein jeder für sich selbst entscheiden,  wie er leben wolle – ob aufrichtig oder in Angst und in einem Klima der Scheinheiligkeit. „Es liegt immer an denen, die im System drin sind“, gibt Bühling zu bedenken, und „jeder der schweigt, macht sich mitschuldig und trägt dieses System mit“. Wobei der Autor nicht vergisst, dass es auch bei ihm lange dauerte, bis er den Mund aufmachte. Über andere zu urteilen, ist nicht Bühlings Art; in seiner Lesung wie auch der anschließenden Diskussion klingt der 1978 geborene Theologe weder larmoyant noch selbstgerecht.

Wiederholt benennt der Autor einen wesentlichen Punkt, weshalb es in der Tat nicht nach einer Abrechnung klingt, was er vorträgt: Niemand zwingt heute noch einen Mann dazu, das Priesteramt anzustreben. Wer erst im Seminar erkennt, dass er den Zölibat nicht leben kann und seine Hetero- oder Homosexualität ausleben möchte, dem steht es frei, die Konsequenz zu ziehen und ins „weltliche Leben“ zurückzukehren. Was Bühling vor allem aufbringt, ist – neben dem Deckmantel des Schweigens, der von großen Institutionen im Allgemeinen und der Kirche im Besonderen über eigene Misstände ausgebreitet wird – die bewusste Entscheidung nicht weniger Seminaristen für ein Leben in Doppelmoral. Auch etliche Jahre nach seinem Ausstieg zeigt er sich noch immer schockiert davon, mit welcher scheinbaren Leichtigkeit mancher seiner ehemaligen Kommilitonen über die offenkundigen Widersprüche in ihrem Leben hinweg gegangen seien. Mögen viele auch ernsthafte innere Konflikte geplagt haben, viele hätten sich auch bestens arrangiert mit der Scheinheiligkeit, behauptet Bühling..

Der Autor berichtet indes auch von einem einstigen „Mitbruder“, den schon bei einer morgendlichen Erektion Schuldgefühle heimsuchten und der nach jeder Selbstbefriedigung in eine entfernter gelegene Kirche zur Beichte gefahren sei. „Die Beichte war für ihn dann aber auch wie eine Art Blankoscheck, denn er musste sich erst gar nicht mit den eigentlichen Ursachen auseinandersetzen“.  Die eigentlichen Ursachen liegen für Bühling in der Erwartung der Kirche, ihre Priester könnten auf Dauer ein sexuell enthaltsames Leben führen. „Gott hat uns die Sexualität gegeben, wie kann dann Sexualität Sünde sein?!“ Dabei brauchte auch er Zeit um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass ein Mensch mit Sexualität diese dauerhaft weder ignorieren noch unterdrücken kann. Bühling räumt ein, dass er im Seminar zwei One-Night-Stands hatte.

Er habe auch erlebt, dass einem Seminaristen zu einer psychotherapeutischen Behandlung geraten worden sei. Erklärtes Ziel sei es gewesen, die Triebe des schwulen Priesteramtskandidaten „unter Kontrolle zu bekommen“, so Bühling. Die Kirche habe den Therapeuten bestimmen wollen – mit dem Argument, dass sie ja auch die Kosten für die Therapie übernehme. Ruhig trägt Bühling einzelne Passagen aus seinem Buch vor, stellt sich dann der Diskussion und wiederholt ein ums andere Mal, dass er auch Menschen begegnet sei, die „aus vollem Herzen“ Seelsorger seien und aufrichtig lebten – oder sich zumindest um ein aufrichtiges Leben im Einklang mit dem bemühten, was sie vorgeben zu leben. „Ich habe mit der Kirche keine Rechnungen offen“, versichert der Autor, „ich habe auch nichts mehr zu verlieren“.

„Ackermann verschwindet hinter seiner Rolle als Theologe“

Aber geben Bühlings Innenansichten wirklich die Realität in deutschen Priesterseminaren wieder? „Es kommt zu Verallgemeinerungen, die die Wirklichkeit verzerren und dem Entstehen falscher Eindrücke Vorschub leisten. Das Buch wird der Ehrlichkeit und der Aufrichtigkeit, mit der viele Studenten ihren Ausbildungsweg gehen, nicht gerecht“, heißt es in einer Erklärung von Dr. Michael Bollig, dem amtierenden Regens in St. Lambert. Bühling hofft, dass auch andere ihr Schweigen brechen und über ihre Erfahrungen berichten werden. Allein, seine Hoffnung, dass dies auch geschehen wird, ist nicht übermäßig ausgeprägt.

Einer von Bolligs Vorgängern war Stephan Ackermann. Etwa zwei Jahre sei der heutige Trierer Bischof sein Vorgesetzter gewesen, berichtet Bühling. Wie er diesen denn erlebt habe, wird der Autor von einem Zuhörer gefragt. „Ackermann verschwindet hinter seiner Rolle als Theologe. Ich habe immer versucht, den Menschen dahinter kennen zu lernen, aber das ist mir nicht gelungen“. Bühling weiter: „Ackermann konnte theologisch versiert jeden in Grund und Boden reden, aber man fühlte sich von ihm eigentlich auch immer beobachtet“.

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