„Das bleibt für mich unbarmherzig“

Die katholische Kirche sollte ihren Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen grundsätzlich überdenken. Das fordert der frühere Fernsehpfarrer Stephan Wahl im Gespräch mit 16vor. Wenn es einfacher sei, einem überführten Straftäter die Sakramente zu spenden, dann stimme etwas nicht, so Wahl. Es gehe nicht um moralische Beliebigkeit, sondern um den Umgang mit Scheitern. Deutliche Kritik übt der Monsignore an Kardinal Meisners Klage über eine angebliche „Katholikenphobie“ sowie den Äußerungen des Präfekten der Glaubenskongregation, der eine „Pogromstimmung“ gegen die Kirche ausgemacht haben will. Für diesen „verbalen Missgriff“ fehlten ihm schlicht die Worte, und Meisner solle nicht für Phobien sorgen und diese dann hinterher beklagen. Mit Blick auf das bevorstehende Konklave sagte der 52-Jährige: „Auch der neue Papst bleibt im Letzten der Allein-Entscheider“. Darin liege jedoch auch eine „Riesenchance“ für die Kirche.

16vor: Herr Wahl, Joachim Kardinal Meisner hat auf der am Donnerstag zu Ende gegangenen Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischöfe in Trier erklärt, wiederverheiratete Geschiedene sollten sich nicht als Katholiken zweiten Grades fühlen und gehörten zur Kirche. Zugleich unterstrich der Kölner Erzbischof, dass die Betroffenen weiterhin von den Sakramenten ausgeschlossen bleiben. Ist das nicht ein Widerspruch in sich?

Stephan Wahl: Es ist gut, aber eigentlich auch selbstverständlich darauf hinzuweisen, dass wiederverheiratete Geschiedene zur Kirche gehören. Nicht zuletzt tragen diese auch durch ihren Beitrag zur Kirchensteuer zum Aufbau der Gemeinschaft bei und sind darüber hinaus in vielfacher Hinsicht oft in Gemeinden aktiv. Ich würde mir wünschen, dass das Thema mehr im Sinne einer ignatianischen Cura personalis, also der Seelsorge um den je Einzelnen, behandelt würde. Es geht nicht um moralische Beliebigkeit, sondern um den Umgang mit Scheitern, das vielfältige und nicht vergleichbare Ursachen hat und auch nicht immer mit einfachen und pauschalen Schuldzuweisungen erklärt werden kann.

Generell von den Sakramenten auszuschließen, bleibt für mich deshalb weiterhin unbarmherzig und bringt die Seelsorger vor Ort in heftige Gewissenskonflikte. Ich kann den „faktischen Ungehorsam“ vieler Mitbrüder sehr gut verstehen, die, weil sie die Einzelschicksale in ihrer Unterschiedlichkeit als gute Seelsorger eben differenziert erleben, oft anders handeln, als ihnen eigentlich erlaubt ist. Wenn es einfacher ist, einem überführten Straftäter die Sakramente zu spenden als einem vielleicht nach heutigem Recht schuldlos Geschiedenen, der das Glück hat, mit einem neuen Partner, der ihn nach seiner Lebenskatastrophe annimmt, sein Leben wiederverheiratet weiterzuführen, dann stimmt etwas nicht. Und zwar gewaltig.

16vor: Selbst die Bischöfe, etwa der Osnabrücker Franz-Josef Bode, sprechen inzwischen von einer ernsthaften Krise der Kirche. Meisner sprach im Vorfeld der Vollversammlung gar von einer ‚Katholikenphobie‘. Was müsste denn aus Ihrer Sicht zunächst geschehen, damit die Kirche aus der Defensive kommt und wieder zum wesentlichen Kern ihres Auftrags und ihrer Botschaft zurückkehren kann?

Wahl: Zu allererst darf man nicht für Phobien sorgen, die man anschließend beklagt. Wenn der Chef der Glaubenskongregation, Erzbischof Müller, sich bei Angriffen auf die Kirche an eine Art „Pogromstimmung“ erinnert fühlt, dann fehlen mir bei einem solchem verbalen Missgriff die Worte – zumal, wenn sie in einer Woche formuliert wurden, in der der Holocaust-Gedenktag begangen wurde. Zweifellos gibt es aber heftige und oft ungerechte Attacken oder verletzende Peinlichkeiten, wenn ich zum Beispiel an das aktuelle Gewalt-Jesus-Video des Oscar-Preisträgers Christoph Waltz denke. Man stelle sich nur vor, er hätte statt Jesus Mohammed für seinen ‚Humor‘ gewählt. Da sind Waltz und andere mit der christlichen Toleranz plus Kritik gut bedient. Aber die wirklich existierende ‚Krise der Kirche‘, gerade bei uns in Deutschland, ist zum Teil schlicht hausgemacht. Und nicht nur wegen des Missbrauchsskandals. Die Differenz zwischen dem täglichen engagierten Mühen der Priester- und Laienseelsorger vor Ort und dem als fehlend erlebten Rückenwind von Oben wird zunehmend größer. Sicher können Bischöfe nicht alle gegenwärtigen Probleme unabhängig von der Weltkirche lösen. Aber sie könnten mutiger sein in Analyse und Forderung. Das führt zu mehr Glaubwürdigkeit, die dann die notwendige gesellschaftskritische und spirituelle Funktion der Kirche eher fördert und von der steten Reduzierung auf die immer gleichen kirchenimmanenten Themen wegführt.

16vor: Die Kirchenvolksbewegung ‚Wir sind Kirche‘ hat sich von der Frühjahrsvollversammlung ein Signal erhofft, dass die Bischöfe vor Ort wieder mehr Verantwortung tragen müssten und es in der Kirche eines neuen Führungsstils bedürfe. Teilen Sie diese Auffassung oder ist es nicht vielmehr so, dass ohne eine starke Kurie in Rom eine Weltkirche wie die katholische gar nicht zu führen ist?

Wahl: Der bemerkenswerte und historische Rücktritt von Papst Benedikt ist in seiner Bedeutung für das Wirken der Ortskirchen und die Stärkung des konkreten Bischofsamtes noch längst nicht abzusehen. Ich bin sehr gespannt auf die kommende Entwicklung. Die ‚Einheit in der Vielfalt‘ ist ja nicht nur ein schönes Bild für bewegende Predigten, sondern die Chance, mit der kostbaren Unterschiedlichkeit der Teile der einen Weltkirche umzugehen. Die römische Kurie soll dem Papst auch in seiner Funktion als Pontifex, als Brückenbauer, zur Seite stehen. Intern, wie extern. Wenn sie darin stark ist, wird niemand ihren Dienst anzweifeln.

16vor: Kardinal Kasper hat bei der Bischofskonferenz ein Diakoninnenamt vorgeschlagen, das sich von dem des männlichen Diakons unterscheidet und keinen Weiheakt vorsieht. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass ein solches Amt absehbar geschaffen wird? Und halten Sie das von Kardinal Kasper angeregte Profil dieses Amtes für ausreichend, oder bräuchte es nicht vielmehr ein wirkliches weibliches Pendant zum männlichen Diakon?

Wahl: Es ist gut, dass durch diesen Vorschlag Bewegung in die Diskussion kommt. Trotz des Rückgriffs auf eine historische Begründung dieses eigenen Amtes erscheint es mir aber wie ein etwas hilfloser Versuch, der eigentlichen Frage auszuweichen. Die Frage der Frauenordination ist zwar als endgültig entschieden definiert worden, aber deswegen vom Volk Gottes bis dato noch nicht akzeptiert oder verinnerlicht. Liegt darin nicht auch ein Wink des Heiligen Geistes, den wir sonst gern bemühen?

16vor: Viele Katholiken blicken in diesen Tagen nach Rom, wo im März der neue Papst gewählt wird. Unabhängig von der Person, die es am Ende wird – für wie entscheidend halten Sie persönlich es denn, welcher Kardinal das Konklave als Papst verlässt, und welche Voraussetzungen sollte er in der gegenwärtigen Lage der Kirche mitbringen?

Wahl: Es ist allesentscheidend. Denn auch wenn der aktuelle Rücktritt andere und neue Perspektiven auf eine modifizierte Amtsführung vielleicht ermöglicht, so bleibt auch der neue Papst im Letzten, ähnlich einem absoluten Monarchen, der Allein-Entscheider. Darin liegt aber auch, wenn er auf andere Weise ebenso großen Mut besitzt wie sein Vorgänger es durch seinen Rückzug bewiesen hat, eine Riesenchance für die Kirche. Der neue Papst kann den Weg wesentlich bestimmen, den die Kirche in dieser Zeit einschlagen sollte. Dazu braucht er enge und kritisch-loyale Berater. Es ist hohe Zeit für eine gute und vielleicht auch schmerzhafte Kurienreform. Weniger höfisch anmutende Einzelaudienzen für die kurialen Verantwortungsträger und mehr Entwicklung hin zu einem regelmäßig mit dem Papst zusammenkommenden Kabinett. Teamgeist. ‚Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen‘ (Mt 18). Und als medial Engagierter wünsche ich mir eine stärkere Vernetzung der vatikanischen Medienmodule hin zu einer integrierten Kommunikation, die manche Pannen der letzten Jahre verhindern helfen kann.

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