„Aber Athen gab’s schon“

Mit einem politischen Schwergewicht konnten die CDU-Kreisverbände Trier und Trier-Saarburg bei ihrem diesjährigen Politischen Aschermittwoch aufwarten. Entsprechend groß war der Andrang, als Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesfinanzminister und gefühlter Vizekanzler, gestern Abend in einer Nebenhalle der Arena Trier sprach. Statt auf heftige Attacke, wie bei vergleichbaren Veranstaltungen durchaus üblich, entschied sich ein bestens aufgelegter Schäuble für ein leidenschaftliches Plädoyer für Europa, den Euro und die soziale Marktwirtschaft. Der Minister verteidigte das jüngste Hilfspaket für Griechenland und mahnte, dass die Eurozone als Ganzes Vertrauen zurückgewinnen müsse. Sichtlich stolz über den Auftritt des hochkarätigen Gastes war der Trierer CDU-Chef Bernhard Kaster.

TRIER. „Aber jetzt sagen Sie mal: Warum tut sich der Mann das an?“, will eine Besucherin von dem ebenfalls ahnungslosen Pressevertreter wissen. Gestern noch in Brüssel, am kommenden Wochenende in Mexiko beim Treffen der G-20-Finanzminister – Trier lag nicht eben auf Schäubles Weg, und an Terminen mangelt es einem wie ihm wohl kaum. Es ist denn auch eher eine Mischung aus Respekt und Ratlosigkeit, die aus der Frage der Zuhörerin klingt. Und überhaupt: Wo Schäuble den Weg schon mal hierher gefunden hat, will auch sie sich die Veranstaltung nicht entgehen lassen. So wie rund 550 Menschen, in der Mehrzahl – aber nicht nur – Anhänger der Christdemokraten. Mehr als eine Stunde lang erleben sie einen zu Späßen aufgelegten und doch sehr grundsätzlichen Bundesfinanzminister, der auf parteipolitische Attacken fast völlig verzichtet und sich stattdessen auf Europa konzentriert.

Da ist er in Trier gerade richtig, schickt Bernhard Kaster Schäubles Rede voraus. „Wir begrüßen Sie in einer europäischen Modellregion“, eröffnet der Trierer CDU-Chef den Politischen Aschermittwoch, „in unserer Region wird Europa gelebt“. „Gespannt und auch angespannt“ verfolgten die Menschen in Stadt und Landkreis, wie es mit Europa und dem Euro weitergehe. Kaster verzichtet auch nicht auf einen Schuss Lokalpatriotismus, weshalb er Schäuble auch gleich noch in einer „alten Hauptstadt“ willkommen heißt. Es sei zwar schon einige Zeit her, dass von Trier aus große Teile Europas regiert wurden, aber von Brüssel habe damals noch niemand gesprochen. Kaster macht jetzt eine kurze Pause und ergänzt dann hörbar amüsiert: „Aber Athen gab’s schon.“ Das Athen der Gegenwart beschäftigt den Bundesfinanzminister bekanntlich mehr als eine antike Römerstadt.

„Wir verdanken Athen viel“, steigt der ehemalige CDU-Bundesvorsitzende in seine Rede ein. Er meint es gar nicht ironisch, obwohl ihm Ironie nicht fremd ist. Doch an diesem Abend scheint Schäuble besonders daran gelegen, neben all den gegenwärtigen Problemen nicht den Blick auf das große Ganze zu verlieren. Der Minister, der aus einer deutsch-französischen Grenzregion stammt, erinnert an die Zeiten vor der gemeinsamen Währung, als viele mit zwei Portemonnaies unterwegs gewesen seien und bei jedem Abstecher nach Frankreich aufgrund der Umtauschkurse einen realen Kaufkraftverlust zu verkraften hatten. Die Erinnerung an diese Zeiten biete sich an, wenn Rufe nach einer Rückkehr zur alten D-Markt erschallten. Doch der Bundesfinanzminister verweist neben den regionalen Erleichterungen im Grenzverkehr auch auf die globale Dimension der Währungsunion.

Schäuble verlangt Verständnis für die Griechen

So betrage der Anteil der Deutschen an der Weltbevölkerung nicht viel mehr als ein Prozent, und selbst Europa komme zusammengenommen nur auf knapp zehn Prozent. Seine Folgerung: „Wir sind alle zu klein“, und deshalb müsse jeder erkennen, welche Chance in Europa liege – zumindest „wenn wir einigermaßen unseren Verstand beisammen haben“, schiebt Schäuble nach. Eine Frage der Vernunft ist für den Minister deshalb auch die Rettung Griechenlands. Überlegungen, einzelne Staaten könnten die Eurozone ja wieder verlassen, erteilt er eine klare Absage: „Wir müssen das Vertrauen in die Eurozone als Ganzes zurückgewinnen“, verlangt er stattdessen, ansonsten drohe eine Situation, in der die internationalen Finanzdienstleister nicht mehr bereit seien, im Euroraum zu investieren. „Dann steigen die Zinsen oder wir bekommen kein Geld mehr“, malt Schäuble ein wenig verlockendes Szenario an die Wand. Für ihn ist der Fall jedenfalls klar: Zu einer stabilen Lösung für Griechenland gebe es keine Alternative. Dem Land stehe ein langer und schwieriger Weg bevor, „dafür müssen wir Verständnis haben“. Schließlich seien die einfachen Menschen auf der Straße nicht die Verursacher der hoffnungslosen Überschuldung, sondern vor allem finanzstarke Zeitgenossen, die sich längst aus Griechenland abgesetzt hätten.

Folgt man Schäuble, dann hat die Krise der vergangenen Jahre auch ihr Gutes gehabt. Entschieden tritt er jedenfalls dem Eindruck entgegen, es sei zu wenig geschehen. Das Gegenteil sei der Fall: In den vergangenen Jahren habe es in den meisten Staaten der EU Veränderungen hin zu mehr Haushaltsolidität gegeben, meint der Minister, der auch eine Renaissance des Rheinischen Kapitalismus sieht. „Es spottet in Europa niemand mehr über unsere soziale Marktwirtschaft“, so Schäuble, der ergänzt: „Wir sorgen auch dafür, dass der soziale Zusammenhalt in unserer Gesellschaft nicht verloren geht“. Mit „wir“ hat der 69-Jährige seine Partei im Sinn. „Jede freiheitliche Ordnung braucht Regeln und Grenzen, sonst zerstört sie sich selbst“, sagt er auch, und während man ihm diese Überzeugung gerne abnehmen möchte, erinnert man sich doch unweigerlich auch an den ersten Leipziger Parteitag, als man mit solchen Überzeugungen in der CDU einen schweren Stand hatte. 2003 gab Schäubles Nachfolger im Vorsitz der Bundestagsfraktion, Friedrich Merz, den wirtschafts- und finanzpolitischen Ton seiner Partei an. Merz war zwar in Leipzig nur noch Vize-Fraktionschef, doch sein Wort hatte noch Gewicht in der Union.

Inzwischen ist er ohne Amt und Würden. Schäuble jedoch, der zu Zeiten der Regierung Brandt-Scheel erstmals in den Bundestag gewählt wurde, ist heute der wohl wichtigste Minister in Berlin. Dort wird er am kommenden Montagmittag auch pünktlich zu einer Sitzung des Fraktionsvorstands erscheinen, versprach Schäuble dem Parlamentarischem Geschäftsführer Kaster. Zuvor geht es aber noch nach Mexiko. Warum er sich das antut? Wer Schäuble am Aschermittwoch erlebte, gewann nicht den Eindruck, dass der Mann eine Tortur hinter sich hat. Auch Arnold Schmitt kann sich einen Ruheständler Schäuble nicht vorstellen, weshalb er seinem prominenten Parteifreund mit auf den Weg gab, dass dieser noch eine Weile an der Spitze des Bundesfinanzministeriums stehen müsse.

Print Friendly, PDF & Email

von

Schreiben Sie einen Leserbrief

Angabe Ihres tatsächlichen Namens erforderlich, sonst wird der Beitrag nicht veröffentlicht!

Bitte beachten Sie unsere Kommentarrichtlinien!

Noch Zeichen.

Bitte erst die Rechenaufgabe lösen! * Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.