„Aus dem NSU-Terror nichts gelernt“

Racial Profiling – dieser Begriff steht für gezielte Personenkontrollen von Menschen „nichtdeutschen Aussehens“ durch die Polizei. Im Februar dieses Jahres hat das Verwaltungsgericht Koblenz diese Praxis für legitim erklärt. Das Multikulturelle Zentrum Trier hat neben einer Protestaktion auch eine Informationsreihe organisiert. Am kommenden Dienstag um 19.30 Uhr spricht der Berliner Aktivist Biplab Basu der Opferberatung „Reach Out“ im Café Kokolores über Rassismus in Polizei und Justiz.

16vor: Herr Basu, Sie leben seit 1979 in Deutschland. Wie oft sind Sie seitdem in Personenkontrollen der Polizei geraten?

Biplab Basu: Das kann ich Ihnen nicht genau sagen, es waren unzählige Male. Ich habe leider nie daran gedacht, das zu dokumentieren, heute würde ich das machen. Zuletzt hat man mich am 26. Juli kontrolliert, in einer sehr klassischen Situation: Ich saß mit meiner Tochter im Zug von Prag nach Berlin, wir waren alleine im Abteil. Ein Beamter der Bundespolizei wollte meine Papiere sehen, es sei eine Routinekontrolle. Ich habe zurückgefragt, warum er ausgerechnet mich herausgepickt habe und ihn gebeten, zuzugeben, dass meine Hautfarbe der Grund dieser rassistischen Kontrolle ist. Das wertete er als üble Nachrede und drohte mit einer Anzeige. Wäre der Grund aber ein anderer, zum Beispiel der Verdacht auf Schmuggel, dann würde er doch in meinen Koffer schauen, nicht in meinen Pass, oder?

16vor: „Racial Profiling“, die gezielte Kontrolle von Menschen mit so genanntem „nichtdeutschem“ Aussehen, wurde im Februar dieses Jahres als rechtskonform eingestuft. Sie gibt Polizisten die Legitimation, Menschen gezielt aufgrund ihrer Hautfarbe zu kontrollieren. Symptom für einen tief verwurzelten Rassismus in Polizei und Justiz?

Basu: Natürlich verfolgt die Bundesregierung mit diesen Kontrollen auch das Ziel, Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung aufzuspüren. Aber wenn die Polizisten nur dunkelhäutige Menschen kontrollieren, ist das Ausdruck eines institutionellen Rassismus innerhalb der Polizei. Ich habe in meiner Beratung viele Männer, die aus nichtigen Anlässen von Polizisten zusammengeschlagen wurden. Ein besonders schwerer Fall hat sich vor einigen Jahren ereignet: Ein Journalist, deutscher Staatsbürger türkischer Herkunft, hat eine Geburtstagsparty für seine kleine Tochter ausgerichtet. Nachbarn haben wegen angeblicher Ruhestörung die Polizei alarmiert. Die Polizisten ließen die Situation derart eskalieren, dass der Journalist draußen mit ihnen sprechen wollte. Sie haben ihn nicht nur ignoriert, sondern auch brutal niedergeschlagen. Ein Strafgericht hat die beiden Polizisten anschließend freigesprochen. Ich berate mehrere solcher Fälle.

16vor: Wie würden Sie das Vertrauensverhältnis Ihrer Klienten zur deutschen Polizei beschreiben?

Basu: Es ist ein zutiefst ambivalentes Verhältnis. Einerseits wissen sie tief im Herzen, dass sie von der Polizei nicht als Bürger akzeptiert sind, sondern als potentielle Kriminelle gesehen werden. Andererseits wollen sie anerkannt sein, auch von der Polizei, sie wünschen sich, als ganz gewöhnlicher Bürger dieses Landes behandelt zu werden, wie jeder andere weiße Mensch auch. Die Realität sieht leider anders aus: Sehr häufig machen sie die Erfahrung, dass sie erstmal als Kriminelle gesehen werden, wenn sie sich als Opfer an die Polizei wenden. Am Tatort gehen die Polizisten zuerst zu den Tätern. Als Geschädigte, die sich an die Polizei gewendet, werden sie nicht mit Empathie und Freundlichkeit behandelt, das belastet sie.

16vor: Sie befassen sich seit über 30 Jahren mit Rassismus in der deutschen Gesellschaft. Hat die Tendenz sich seitdem verändert?

Basu: Die Probleme haben sich nicht verändert, wohl aber die Art und Weise, wie darüber gesprochen wird: Während der 80er- und 90er-Jahre ist der Begriff „Rassismus“ so gut wie gar nicht vorgekommen; wenn, dann nur in Verbindung mit dem Nationalsozialismus. Das ist heute anders: Viele Gruppen und Initiativen, aber auch Wissenschaftler nennen Rassismus beim Namen. Wer dieses Thema allerdings immer noch ganz und gar verleugnet, sind die Regierungsinstitutionen, auch Behörden, Justiz und Polizei. Wenn sie von Rassismus sprechen, dann nur in Verbindung mit Neonazismus. Dabei ist Rassismus schon immer ein Problem der Mitte gewesen. Interessant ist die Rolle der sozialdemokratischen Partei: Ist sie in der Opposition, thematisiert sie Rassismus, übernimmt sie Regierungsverantwortung, hört man nichts mehr.

16vor: Wie haben Sie reagiert, als im November letzten Jahres die Mordserie der rechtsextremistischen Terrorzelle NSU aufgedeckt wurde, nachdem Hinterbliebene der Opfer über Jahre hinweg selbst als Verdächtige gehandelt worden waren?

Basu: Natürlich war ich zutiefst erschrocken. Leider muss ich aber auch sagen, dass ich mich bestätigt gefühlt habe, was die Ermittlungen der Polizei betrifft. Wir machen ständig die Erfahrung, dass ermittelnde Polizisten sagen: „Das können Sie doch gar nicht wissen, dass hinter diesen Verbrechen ein rassistisches Motiv steckt“. In der Zeit der NSU-Morde haben wir ermittelnde Polizisten mehrfach darauf hingewiesen, dass sich kein einfach gestrickter Täter dahinter verbergen kann, sondern dass hier mit System gearbeitet wird und dass sich rassistische Verbindungen finden lassen.

16vor: Und hat diese Haltung in Polizei und Justiz sich geändert, seitdem die Mörder als Neofaschisten enttarnt wurden?

Basu: Nein, leider. Meine Kollegen und ich sind immer noch permanent damit beschäftigt, Polizisten darauf hinzuweisen, dass bei bestimmten Straftaten auch im rassistischen Milieu ermittelt werden sollte; aber das gleiche Muster läuft genauso weiter, als wäre nichts passiert.

16vor: In Ihrer täglichen Arbeit stehen Sie mit Vertretern von Polizei und Justiz in Kontakt. Erleben Sie rassistische Verhaltensweisen in diesen Gruppen als überdurchschnittlich ausgeprägt?

Basu: Das würde ich so nicht sagen, weil ich es nicht nachweisen kann. Aber die Erfahrungen unserer Klienten, wenn das als Nachweis gelten kann, lassen darauf schließen, ja. Ich betone: Ich spreche jetzt nicht als Soziologe, sondern als politischer Aktivist. Aber ich nehme die Erfahrungen dieser Menschen sehr ernst – und wenn ich danach gehe, dann ist es so, dass sehr viele Polizisten eine vorgefertigte Meinung über „Ausländer“ – also „People of Colour“ – haben. Dass sie illegal eingereist seien, dass sie Strafftaten begehen könnten, dass sie den Sozialstaat ausnähmen – diese Vorurteile sind demnach zumindest bei Streifenpolizisten ausgeprägt, und im Notfall kontaktiert man ja nicht den Polizeidirektor.

16vor: 2011 führte die Bundesregierung auf Initiative von Familienministerin Schröder die – mittlerweile als rechtswidrig eingestufte – Extremismusklausel ein. Von vielen Initiativen wird das Zwangsbekenntnis zur „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ als massive Behinderung im Kampf gegen rechte Gewalt empfunden. Wie wirkt sich die Klausel auf Ihre Arbeit aus?

Basu: Nicht so sehr, weil wir diese Klausel nicht unterschrieben haben. Deshalb wurden uns allerdings die Fördergelder aus dem Bundesprogramm gestrichen. Das Land Berlin hat diese Kürzungen zwar teilweise kompensiert, trotzdem müssen wir heute mit weniger Geld auskommen.

16vor: Warum haben Sie die Unterschrift verweigert?

Basu: Nicht, weil es unsere Arbeit behindert oder weil wir uns nicht zu diesen Werten bekennen wollten, sondern weil wir als Handlanger benutzt werden sollen, um andere Organisationen für die Regierung auszuspionieren – dabei machen wir nicht mit.

16vor: Haben die Diskussionen über institutionellen Rassismus in deutschen Behörden dazu geführt, dass man Ihnen mehr Verständnis für Ihre Arbeit entgegen bringt?

Basu: Ich glaube nicht. Die Menschen, die uns geglaubt haben und unsere Arbeit schätzen, haben das früher wie heute getan. Die anderen hingegen, und dazu zähle ich auch die Regierungskoalition, haben aus den NSU-Morden nichts gelernt. Andernfalls würde Kristina Schröder sich für die Klausel entschuldigen und sie zurücknehmen, aber im Gegenteil: Jetzt wird über ein Gesetz debattiert, das Organisationen, die der Verfassungsschutz als „bedenklich“ einstuft, den Status der Gemeinnützigkeit entziehen soll. Das ist die Lehre der Regierung aus dem NSU-Terror – eine solche Dreistigkeit ist kaum zu überbieten.

16vor: Haben Sie schon mal einen Polizisten getroffen, der Ihre Arbeit schätzt?

Basu: (Überlegt lange) Vor einiger Zeit haben wir einen Runden Tisch veranstaltet, darunter waren auch drei Polizisten. Eine davon, eine junge Frau, hat gesagt, sie könne nachvollziehen, was wir sagen. Weil sie an ihrem Schreibtisch häufig erfahre, wie Polizisten über Ausländer redeten und auch mit ihnen umgingen, sie fände das nicht in Ordnung. Ich habe sie damals nicht gefragt, was sie persönlich dagegen unternimmt, aber das war einer der ganz wenigen Fälle, in denen nicht die übliche Verleugnung stattfand.

16vor: Wie könnte eine fruchtbare Rassismusprävention aussehen?

Basu: Ich denke, das wichtigste ist, dass der Vorwurf nicht an das gemeine Volk gerichtet wird, nicht an den einzelnen Menschen. Diejenigen, die diese Programme entwickeln, die Rassismus institutionalisieren, müssen zunächst zugeben, dass sie genau das tun: Dass Ämter, Jobcenter und Schulen rassistisch agieren. Wenn das akzeptiert ist, kann die Wissenschaft ermuntert werden, zu diesem Phänomen zu forschen, Maßnahmen zu entwickeln und so der Verleugnung Einhalt zu gebieten. Auch die Justiz muss zugeben, dass sie nicht so neutral ist, wie sie vorgibt zu sein. Das alles ist die Voraussetzung dafür, dass Prävention funktioniert. Institutioneller Rassismus muss in Deutschland als Problem anerkannt werden. Aber ich fürchte, dass Ignoranz und Arroganz dem im Wege stehen.

Informationen zur Person:

Biplab Basu wurde 1951 im indischen Kalkutta geboren. 1979 zog er nach Berlin, wo er sich schon 1980 in der Flüchtlings- und Migrationspolitik engagierte. Er ist Sprecher der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt und Mitarbeiter von Reach Out, einer Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Berlin. Nach einem Aufenthalt in Regensburg lebt Basu heute mit seiner Familie wieder in Berlin.

Weitere Informationen zu der Veranstaltungsreihe finden Sie hier.

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