Über die Schwierigkeit, einen Liter Milch zu kaufen

Sind Sie mal gleich vorm Dom, in der Sternstraße, beinah von einem Auto angefahren worden? Ich schon! Oder sind Sie schon mal rein zufällig auf ein Viezfest geraten? Ich schon! Und haben Sie sich schon mal in zwei bewegungsbehinderte Schäferhunde gleichzeitig verliebt? Ich schon! Und das alles innerhalb von nur drei Tagen und beim Versuch, einen Liter Milch zu kaufen. Normalerweise verarbeite ich ja nur ein einziges Ereignis pro Kolumne. Aber diesmal wird’s eine Collage aus mehreren Begebenheiten, um zu zeigen, was einem in Trier innerhalb von 72 Stunden alles widerfahren kann – und dabei lasse ich noch das weg, was nicht jugendfrei ist!

TRIER. Als ich letzten Donnerstagabend zum Milchkaufen über den Domfreihof Richtung Hauptmarkt wollte, dachte ich: Oha, haben die den „Kiedel“ wieder ausgestellt, oder wieso sind die Absperrgitter und so viele Leute vorm Dom?

Weil ich ein Gewohnheitsmensch bin, nahm ich den Weg rechts an dem Absperrgitter vorbei, denn dadurch war die Wegführung so ähnlich, wie während der Heiligen-Rock-Wallfahrt. Ein bisschen gewundert hat’s mich nach ein paar Metern dann aber schon, dass nur ich allein durch die abgesperrte Strecke ging, während alle anderen auf der anderen Seite des Gitters standen. Die Stimmung war jedenfalls gut, es wurde sogar geklatscht und gejubelt. Wow, dachte ich, die Popularität des Stadtschreibers scheint ja rasant zu steigen, und: Das wär doch nicht nötig gewesen, so ein Spalier, nur weil ich schnell mal ’nen Liter Milch… da hupte es und zwei Meter vor mir hielt ein Sportwagen.

Ich kenne mich ja nicht so aus, aber offensichtlich handelte es sich um ein historisches Modell. Die Karre war so flach, dass man leicht aus Versehen drauftreten konnte. Die Flunder war mit bunter Werbung und mit der Startnummer C43 beklebt. Und der Typ hinterm Steuer winkte mir freundlich zu – wahrscheinlich glücklich darüber, dass ich ihm nicht auf die Motorhaube gestolpert war und ihm mit dem Kopf eine Delle in dieselbe geschlagen habe. Erst dann nahm ich den Ordner in neonfarbener Jacke wahr, der ein Absperrgitterteil zur Seite schob und mich mit den Worten durch den frei gewordenen Durchgang dirigierte: „Sssso, und jetzt mal ein paar Schritte schneller bitte!“

Es gab Szenenapplaus – ob für mich, den Ordner oder den flachen Sportwagen weiß ich nicht, jedenfalls erfuhr ich, dass gerade die ADAC-Deutschlandrallye stattfand. „Vorm Trierer Dom?“, fragte ich verwundert, aber darauf reagierten die Leute genauso wenig wie auf meinen Hinweis, diese Rallye sei doch Memmenkram im Vergleich zum Hermeskeiler Mülltonnenrennen. Aber wo ich nun schon mal da war, reihte ich mich hinterm Absperrgitter in die Menschenmenge ein, vergaß meinen Liter Milch und sah (und hörte) mir mehrere Dutzend röhrender historischer Rallye-Autos an.

Zwei Tage später überraschte mich der Domfreihof wieder! Ich hatte immer noch keine Milch, aber – ich nehm’s vorweg – auch der nächste Versuch, welche zu besorgen, scheiterte, weil ich auf einem urgemütlichen Festchen unter diesen sonderbaren Bäumen vorm Walderdorffs hängen blieb. Ich hatte erst keine Ahnung, was dort gefeiert wurde, aber der Schwenkbraten war gut und sämtliche Getränke vorbildlich gekühlt. Apropos Getränke: Es fiel auf, dass auf diesem Fest hundertfach weiße Steinkrüge fröhlich aneinandergestoßen wurden – die sogenannten Porze? Pörz? Pörze? (Was ist denn der Plural von „ein Porz“ [sprich: Pochz]? – die Trierische Grammatik macht mich noch wahnsinnig).

Aus prominenter Quelle – ich verrate nicht, dass es sich hierbei um den Kultur- und Wirtschaftsdezernenten handelte – erfuhr ich, dass ich mich auf dem allerersten Trierer Viezfest befand. Und wieso hatte ich das nicht selbst gemerkt? Na? Warum nicht? Genau: Keine Viezkönigin! Ich konnte jedenfalls weit und breit keine entdecken. Dennoch erkannte ich spontan, dass ich bislang das Vieztrinken in Trier sträflich vernachlässigt hatte, und machte dieses Versäumnis an nur einem Nachmittag wieder weitgehend wett.

Das erinnert mich übrigens daran, dass ich vor Jahren einmal mit einem Kumpel aus England in Trier unterwegs war, der dringend etwas typisch Trierisches trinken wollte (so sind die Engländer: Nach typischem Essen hat er nicht gefragt). Ich also mit ihm in eine Kneipe, wo’s Viez aus Pörzen gab (ich glaube, es war die „Glocke“, bin mir aber nicht ganz sicher). Die folgende Szene wird übrigens etwas derb, also überspringen Sie bitte die nächsten Zeilen, falls Sie einen empfindlichen Magen haben:

Der Kumpel aus England sprach passabel Deutsch, also ließ ich ihn selbst zwei Porze Viez bestellen, schäkerte aber ein bisschen mit der Kellnerin, damit klar war, dass ich der Einheimische bin und mein Kumpel der Grünschnabel in Sachen Vieztrinken. Da die Kellnerin mitbekommen hatte, dass der Engländer den ersten Viez seines Lebens probierte, wartete sie den ersten Schluck ab und fragte, wie er den Trierer Viez fände. Und mein Kumpel antwortete – mit einem Strahlen wie ein Kind, das gerade sein Lieblingsgeschenk zu Weihnachten kriegt – mit ehrlicher Begeisterung: „Schmeckt wie Ziegenpisse!“

Dass er das „Z“ in Ziegenpisse weich und stimmhaft aussprach und dem Wort damit eine überraschende Sanftheit verlieh, half ebensowenig wie die Tatsache, dass er sich den Porz in einer Mordsgeschwindigkeit hinter den Knorpel goss und gleich noch einen bestellte. Die Kellnerin war sauer, saurer als der Viez, und sah mich, ja mich, bitterböse an, als sie die zweite Runde brachte. Sie nahm wohl an, ich durchtriebener Hund hätte diesem bedauernswerten, netten Briten diesen Unfug beigebracht. Dabei hatte ich, soweit ich mich erinnerte, bis dahin noch nie im Leben das Wort „Ziegenpisse“ benutzt.

Aber ich schweife ab: Entscheidend ist, dass die Idee mit dem Viezfest langzeittauglich ist. Weiter so, Viezbruderschaft Trier! Nur ein bisschen kurz hat’s gedauert, denn als ich – nach einem Abstecher auf eine private Party – abends um halb zwölf nochmal einen Porz nachgießen wollte, war das Fest bereits wieder verschwunden. Allerdings hatte ich vorher dort auch Leute getroffen, die schon seit elf Uhr vormittags da waren, also kann das Viezfest immerhin für sich in Anspruch nehmen, dass es sich dort länger aushalten lässt, als an der Rallye-Strecke.

Milch hatte ich allerdings immer noch keine, aber da ich endlich mal wieder nach Wasserbillig tanken fahren wollte, dachte ich: Dann besorge ich die Milch eben in Luxemburg. Nicht mal bis nach Igel hab ich’s geschafft, denn hinter Zewen entdeckte ich einen großen Werbebanner „Sommerfest im Tierheim“. Da ich noch nie in einem Tierheim war, entschied ich: Da musste mal hin!

Gleich das erste zauselige Wesen, das ich dort entdeckte, sah mich mit großen, traurig-treuen Augen an – und das war erst eine der Tierpflegerinnen! Noch herzerweichender wurde es, als ich die Rundführung durchs Hundegehege mitmachte. Die Katzen ließ ich links liegen – nicht etwa, weil ich keine Katzen mag, im Gegenteil, ich finde sie sehr elegant und ästhetisch, aber auch relativ funktionslos. Oder haben Sie jemals von einer Blindenkatze, Lawinenkatze oder Drogenfahndungskatze gehört? Eben!

Deshalb hab ich mich ganz auf die Hunde konzentriert und mich dabei in zwei bewegungsbehinderte Husky-Schäferhund-Mischlinge verliebt (genauer gesagt, in zwei Hündinnen: Lenka und Leonie). Vielleicht stammen die beiden auch aus einem Inzucht-Wurf belgischer Schäferhunde, das lässt sich nicht eindeutig sagen. Jedenfalls haben sie – wegen einer Hirnschädigung – ihre Hinterbeine nicht unter Kontrolle, was zu sehr unbeholfenen Bewegungen führt, und vorne gucken sie einen mit so traurigem Hundeblick an, als wollten sie sagen: Nur du kannst uns retten!

Ich ertappte mich bei dem Vorsatz, ein besserer Mensch werden zu wollen und sofort in den Tierschutz einzusteigen. Und am liebsten wollte ich nicht nur die beiden durch unverantwortliche Züchter degenerierten Schäferhunde, sondern gleich alle vierzig Hunde mit nach Hause nehmen. Abgesehen davon, dass sich die Stadtschreiberwohnung dazu nicht eignet, befürchtete ich aber, in der Rangordnung dieses Rudels die Nummer Einundvierzig einzunehmen, so weichherzig wie ich bin. Deshalb setzte ich bei meinen guten Vorsätzen eine Nummer kleiner an: Ich fragte die Tierheimleiterin, ob es möglich wäre, die kleinen, traurigen Racker einmal pro Woche auszuführen.

Die Tierheimleiterin, die bei der Rundführung eine angenehme Mischung aus Humor und Tierschutz-Pragmatik an den Tag legte, erklärte mir, dass ich dafür erst mal eine Gassi-Geh-Einführungsschulung nebst einer Tetanus-Impfung bräuchte. Da ich aber nur letztere aufweisen und am nächsten Ausführ-Einführungslehrgang nicht teilnehmen kann, überzeugte sie mich davon, auch schon etwas Sinnvolles zu tun, indem ich dem Tierheim hin und wieder ein paar Euro spende. Gut! Werde ich tun! Und ich unterstützte das Sommerfest dadurch, dass ich mich einmal quer durch das rein vegetarische Essensangebot futterte.

Aber den Liter Milch hatte ich schon wieder vergessen, wie ich später zuhause vorm Kühlschrank merkte. Was soll’s, trinke ich halt Viez! Oder Bier. Oder Wein… oder Kranenwasser. Ist ja nicht so, dass man nichts zu trinken bekommt, in Trier – wenn man sich nicht unnötig ablenken lässt.

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