Drogenkonsum auch mal komisch

Der Film „Berlin Calling“ von Hannes Stöhr versucht, das Erlebnis Berliner Technonächte zu vermitteln, die aus Musik, Hedonismus und Rausch bestehen. Das möchte auch das gleichnamige Schauspiel, das am vergangenen Mittwoch im Studio des Trierer Theaters Premiere feierte. Ursprünglich sollte das Stück in einem neuen Club (Ex-„Forum“) aufgeführt werden, doch dieser ist noch nicht fertiggestellt. Es liegt aber nicht am Ausweichort, dass die Geschichte von DJ Ickarus – im Film dargestellt von Star-DJ Paul Kalkbrenner -, manchmal so berauschend ist wie das alkoholfreie Bier-Apfel-Getränk, das zu Beginn an die Zuschauer verteilt wurde. Schuld daran ist, dass mancher Schauspieler eine Überdosis seiner Figur gibt.

TRIER. Es beginnt, ohne dass es schon angefangen hat. Noch während die Zuschauer ins Studio kommen und ihre Plätze einnehmen, verteilen Pete (Daniel Kröhnert), Klaus (Tim Olrik Stöneberg) und Mathilde (Alina Wolff) alkoholfreies Bier an das Publikum, mit dem ironischen Hinweis: „Nicht alles auf einmal trinken.“ Dass sie die Warnung nicht ernst meinen, wird schon durch ihr Äußeres deutlich: Mit Sonnenbrille, gegelten Haaren und farbenfroher Sportoberbekleidung sehen sie nicht aus wie von der Drogenberatung.

Sie laufen umher, sprechen Besucher an und schaffen Verwirrung, was nun schon Schauspiel und was Wirklichkeit ist. Mit einem fließenden Übergang beginnt das Stück: Die Figuren finden sich zusammen, um gemeinsam Musik zu machen (eine Szene, die aus der gesamten Inszenierung herausfällt und nicht wieder aufgegriffen wird) – über ihnen thront der erfolgreiche DJ Ickarus (Matthias Stockinger) an seinem Computer. Er feiert sich und seine Musik. „Das neue Album kommt sehr bald. Es wird abgehen!“

Britta Benedetti inszenierte mit „Berlin Calling“ ein Theaterstück über den Hype des Berliner Nachtlebens und der DJs, die wie Stars gefeiert werden. Aber auch über den Absturz durch Drogenexzesse und die Folgen. Allerdings nicht immer mit abschreckendem Effekt.

Ickarus‘ Freundin und Managerin Mathilde regelt seine Tourtermine – wofür sie mit wilden Küssen bezahlt wird -, zieht sich mit ihm Koks durch die Nase und geht mit ihm feiern. Sie kann ihn nicht davon abhalten, weitere Drogen zu nehmen, um die Nächte und die Tage, die er hinter seinem Mischpult auf den Bühnen der Stadt verbringt, zu überstehen. Seine Ego ist einfach zu groß.

Ickarus erhält eine Pille von seinem Freund Klaus, die ihn völlig außer Kontrolle geraten lässt. Auf der Tanzfläche bewegt er sich angestrengt, Schweiß läuft ihm über das Gesicht, er zieht sich – nicht mehr Herr seiner Sinne – aus und erklimmt das Bühnengerüst. Das sind die von Stockinger überzeugend gespielten Szenen, in denen er mit viel Körpereinsatz zeigt, wie sich ein Drogenrausch anfühlen kann.

Als er wieder erwacht, befindet er sich in einer Nervenklinik, wo er unter der Aufsicht von Neurologin Petra Paul (Barbara Ullmann) von seinen Drogen weg- und zur Ruhe kommen soll. Zwar sträubt er sich gegen die therapeutischen Bewegungsübungen auf großen, bunten Gymnastikbällen, lenkt aber ein, sobald er seinen Controller – „so‘n Ding, mit Knöpfen dran, zum Musik machen“ – in die Klinik holen darf. Er möchte an seinem Album weiterarbeiten.

Sein Zimmernachbar Pete, dem die Schäden der Droge Crystal anzusehen sind, wird von Daniel Kröhnert als Art hilfloses, dümmliches Kind dargestellt. Seine debilen Gesichtsausdrücke lösen Gelächter im Publikum aus – ein Drogenopfer das amüsiert. Eine Szene, in der er lautstark verzweifelt, ja, ausrastet, weil er sein Lieblings T-Shirt nicht findet (das er am Körper trägt) ist zu lang, zu ausgereizt. Statt dem Zuschauer die Realität der Drogensucht vor Augen zu führen, rutscht es ins Lächerliche ab.

Lange hält Ickarus es nicht aus in der Klinik. Sobald er wieder auf den Straßen Berlins ist (die durch Videoaufnahmen auf einer Leinwand gezeigt werden), stürzt er sich ins Party-Leben mit Drogenexzessen. Als ihm Mathilde dann auch noch erzählt, dass die Albumveröffentlichung vorerst abgesagt wurde, gibt er sich vollends dem Rausch hin, der ihn erneut in die Klinik befördert.

Alina Wolff, die gleich drei Rollen übernimmt – Ickarus Freundin Mathilde, das hysterische Groupie Jenny und eine Prostituierte – spielt angestrengt. Ihr Ausdruck ist zu stark und man kauft ihr die Figur der sich sorgenden, liebenden Freundin Mathilde nicht ab, wenn sie sagt: „Ach, die Auftritte können wir absagen. Ich mache mir Sorgen um dich!“

Das von Peter Müller entworfene Bühnenbild, ein Stahlgerüst, das sich durch zwei verschiebbare Glaswände in drei Teile separieren lässt, ist bestens durchdacht. Es teilt die Räumlichkeiten (Club, Klinik, Krankenzimmer) auf und symbolisiert zusätzlich Ickarus Innenleben. (Auf der linken Seite die „Versuchung“ und das „Verderben“, wo Ickarus Drogen konsumiert; rechts die „Vernunft“, der Wohnsitz seines Vaters und Frau Pauls‘ Büro).

Der gleichnamige Film von Hannes Stöhr diente zwar als Vorlage für die Bühnenfassung, ist aber keine Voraussetzung, um das Stück zu verstehen. Die technische Inszenierung funktioniert einwandfrei. Nur gegen Ende gibt es einzelne Szenen, die nur verständlich sind, wenn man sich mit dem Film beschäftigt hat, da sie auf der Bühne zu kurz abgehandelt werden.

„Berlin Calling“ zeigt ein Künstlerporträt der heutigen Zeit, die Liebe zur Musik und die Verkümmerung durch Drogen. Zwischen Elektromusik und Schauspiel geht aber etwas verloren: der Ernst des Drogenkonsums, wie er heute in allen Großstädten das Nachtleben beherrscht.

Die Warnung zu Beginn des Stückes, man solle sein Bier nicht zu schnell trinken, man solle also auf sich achtgeben, bleibt nicht bis zum Ende bestehen. „Berlin Calling“ ist ein bisschen zu süß im Abgang – und das ist nicht dem alkoholfreien Bier mit Apfelgeschmack geschuldet.

Weitere Termine: Dienstag, 30. April, 20 Uhr; Donnerstag, 2. Mai, 20 Uhr; Freitag, 3. Mai, 20 Uhr; Freitag, 17. Mai, 20 Uhr; Samstag, 28. Mai, 20 Uhr, Sonntag, 19. Mai, 20 Uhr; Donnerstag, 30. Mai, 20 Uhr; Sonntag, 2. Juni, 20 Uhr.

Malte Legenhausen

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