Zum Weinen schön

Welch ein großer Abend für das Theater Trier! Nach der Premiere von Giacomo Puccinis Oper „La Bohème“ hatte man im Foyer des Mosel-Musentempels wahrlich allen Grund zum Feiern. Ein grandios spielendes Orchester unter seinem GMD Victor Puhl, in ihren Rollen mehr als überzeugende Solisten des hauseigenen Ensembles, dazu eine Inszenierung, die gerade in der Bescheidung der Mittel das Wesentliche eruierte – summa summarum eine Produktion, die in sich rundum schlüssig war, die durch ihre Emotionsdichte vor allem musikalisch tief unter die Haut ging.

TRIER. Es braucht wahrlich nicht die großen, vermeintlich bedeutungsschweren Stoffe, um einen großen Opernabend auf die Bühne zu bringen. Zwar mag Puccinis Oper ein wenig der Nimbus verkitschter Sozialromantik anhaften, letztlich aber versteht sich der Komponist auf das, was gerade die italienische Oper wie keine andere zu leisten vermag: er bringt mit seiner Musik die Emotionen der Protagonisten unmittelbar und damit letztlich glaubhaft zur Geltung.

Dass dies freilich so gelingen konnte, ist sicherlich zunächst das Verdienst von Benedikt Borrmann. Seine Inszenierung ist frei von (un-)gewollten Modernismen, spielt mithin im Pariser Quatier Latin des Fin de siècle, dem Originalschauplatz von Henri Murgers Vorlage „Vie de Bohème“. Doch gerade in der unprätentiösen Herangehensweise Borrmanns offenbart sich die ganze Stärke seiner Arbeit, ja, die Uneitelkeit des Regisseurs erst macht den Weg frei für das, was Oper letztlich ausmacht: Musik! Und im Einklang mit dieser ergibt sich wie von selbst ein rundum stimmiges Bild, wunderbar korrespondierend mit Manfred Breitenhellners als Leinwand-Kulisse gestaltetes Bühnenbild und den Kostümen Carola Vollaths, die die Handlungszeit zeitlich eindeutig definieren.

Da die Handlung bezüglich Ort und Zeit eng umrissen ist, bietet sie beste Voraussetzungen für einen kurzweiligen Opernabend. Vier Künstlerfreunde aus der Kaste der so genannten Bohémiens teilen nahezu alles miteinander: Freud und Leid, mäßigen Erfolg ebenso wie den ihr Leben weitgehend bestimmenden Misserfolg, dazu die kargen Einkünfte aus Gelegenheitsarbeiten, die zumeist in Form bescheidener Mahlzeiten untereinander aufgeteilt werden. Weil der Musiker Schaunard soeben zu etwas Geld gekommen ist, findet er sich mit Essen, Wein, Brennholz und Geld in der erbärmlichen Behausung des Dichters Rodolfo und des Malers Marcello ein. Zu ihnen gesellt sich auch der Philosoph Colline. Doch weil Heiligabend ist, beschließt man, den Weihnachtsabend im Café Momus zu verbringen.

Ein in sich schlüssiger Einstieg ins Geschehen, dem dann jedoch eine Szene voller Unlogik folgt: Rodolfo schickt seine Freunde vor, derweil er noch ein paar Zeilen zu Papier bringen will. Da klopft Mimi, eine benachbarte Mieterin an der Tür und bittet um Feuer für ihre erloschene Kerze. Weil sie nun just auch noch ihren Schlüssel verliert, suchen beide im dunklen Zimmer umherkriechend danach. Doch statt des entglittenen Türöffners entdecken beide ihre Liebe zueinander. So wie einst der Römer Julius Caesar kam, sah und siegte, kam Mimi, sah zwar nichts, aber verliebte sich sogleich. Das ist halt Oper. Um bestimmte Handlungsabläufe in Gang zu bekommen, muss manchmal etwas brachial nachgeholfen werden.

Doch Mimi ist krank, so dass Rudolfo sich nicht in der Lage sieht, die Schwerkranke an seiner Seite zu ertragen. Ihr Weihnachtsglück währt nur für kurze Zeit, man trennt sich, findet dann aber erneut zueinander, um – den Tod vor Augen – bis zum Ende des Winters beieinander zu bleiben. Abermalige Trennung, bis sich die Todkranke Mimi schließlich im Frühsommer in Rodolfos Mansarde einfindet, wo sie im Beisein der Freunde stirbt.

Svetislav Stojanovic mimt einen großartigen Rodolfo, der, zunächst ganz von seinen Gefühlen übermannt, letztlich doch an der Schwere der Bürde zerbricht. Die Liebe bis in den Tod, die grausame Realität seiner Existenz überfordert den armen Poeten. Stimmlich gibt er auch eine gute Partie ab, im Timbre zwar etwas unitalienisch-kernig, dafür aber ausgesprochen intonationssicher bis in die Höhen. Joana Caspar als Mimi verleiht Ihrer Figur jene Tragik, die nachfühlbar und echt daherkommt. Ihr anfänglich arg überspanntes Tremolo legt sich nach der Pause und lässt ungetrübte Passagen voller Wohlklang zu.

Absolut makellos singt und spielt Carlos Aguirre seinen Marcello. Seine Stimme verfügt über einen wunderbar runden, in sich geschlossenen Klang, bewegt sich mit Leichtigkeit in allen Lagen, dazu mit höchst ausdrucksstarker Deklamation. Szenen überbordender Eifersucht geraten ihm von ebensolcher Natürlichkeit wie auch seine Liebesbekundungen zu seiner Geliebten Musetta, gespielt von Evelyn Czesla. Diese besticht durch sinnliche wie stimmlich klare Präsenz, ein ungewöhnlich unaufgeregtes Timbre ohne übermäßiges Tremolo. Alexander Trauth als Schaunard und Pawel Czekala als Colline passen absolut stimmig ins Ensemble, geben auch ihren Figuren klare Aussagen. Auffällig an diesem Abend ist vor allem, dass keiner der Solisten durch Forcieren der Stimme aus dem Rahmen fällt. Alles ist klanglich ungemein dicht und homogen aufeinander abgestimmt.

Selten hat man in einer Trierer Operninszenierung eine derart konsequente Klangregie gehört. Dem taten auch die zuweilen wurlitzerartigen Ausschweifungen der Damen des Theaterchores keinen wirklichen Abbruch, wenngleich sie das Ohr aufs Schärfste strapazierten. GMD Victor Puhl ist es an diesem Abend gelungen, einen Gesamtklang zu kreieren, der die Oper in Trier durchaus – zumindest musikalisch – zu neuer, bislang ungeahnter Qualität führen kann. Dass er sich hierbei auf ein vorzügliches Orchester stützen kann, dürfte inzwischen bekannt sein. Man spürt, dass die gemeinsame musikalische Arbeit der vergangenen Jahre längst zu einer neuen Qualität des Klangkörpers geführt hat.

Die Streicher präsentieren sich mit sattem Wohlklang, mit Klarheit und Präzision, die Holzbläser mischen dezenten Farbton bei, und das Blech steuert markige Brillanz bei, ohne zu übertönen. Victor Puhl zeigt sich derweil als musikalischer Dramaturg par excellence. Er versteht es, dynamische wie inhaltliche Spannungsbögen zu setzen, die Balance zwischen Orchestergraben und Bühne zu wahren und mit einem changierenden Spiel der Tempi die Musik in einem stets natürlichen Fluss zu halten. So kam der typisch italienische Belcanto einmal nicht von der Bühne, sondern ganz aus dem Orchestergraben.

Weiteres Lob gebührt der Statisterie des Trierer Theaters, Andrea Azzurrini als Parpignol, Carsten Emmerich als Hausherr beziehungsweise Zöllner, Tim Heisse sowie dem Kinderchor des Trierer Konzertchores. So konnte denn auch der tragische Tod von Mimi die Zuschauer nicht davon abhalten, sogleich ihre Begeisterung mit frenetischem Beifall kund zu tun. Da schien alle Ergriffenheit mit dem letzten Vorhang verflogen zu sein.

Weitere Vorstellungen im Februar: Sonntag, 5. Februar, 19.30 Uhr; Freitag, 10. Februar, 20 Uhr; Dienstag, 14. Februar, 20 Uhr.

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