Vom Kurs abgekommen

Brillant und einnehmend in ihrer Spannung, Konzentration, berührend auch durch die radikale Nähe zum Publikum: Helge Freiberg und Hannah Ma. Foto: Alexander OurthIm Rahmen des 25-jährigen Bestehens des Tufa Tanz e.V. kam am Samstagabend die Produktion „Zugvögel – Heimat Europa…“ unter der Leitung von Hannah Ma zur Aufführung. Die vielversprechende Collage aus kraftvollem Tanz, elektronischer Musik, virtuosem Cello-Spiel und experimenteller Video-Installation krankt an einer Themenvielfalt, die das Projekt vollkommen zerfasert. Letztlich blieben etwa 60 Zuschauer im Großen Saal der Tufa bis zum Ende, darunter einige geladene Gäste und Freunde der Mitwirkenden. Ein Rückblick in Momentaufnahmen.

TRIER. Der Boden im Saal ist freie Fläche, Raum für die Cellistin Maria Kulowska, deren Präzision im Zusammenklang mit der elektronischen Musik im Hintergrund vom ersten Ton an überzeugt. Ort für den Ausdruck der raumgreifenden Tänzer Helge Freiberg und Hannah Ma, brillant und einnehmend in ihrer Spannung, Konzentration, berührend auch durch die radikale Nähe zum Publikum.

Heimat wird in ihrer Darstellung in die Fragen nach der Zufälligkeit von Begegnung, zu wenig und zu großer Nähe, Halt und Flucht, ein Ringen um einander, sich selbst in der Gemeinschaft und um den Anderen aufgespannt. Diesen Figuren geben sie vor einem weißen Fadenvorhang Gestalt, der als Projektionsfläche für Videos dient und den Raum nochmals erweitert: In Galaxien des Alls, die Weite des Meeres hinein, in der nächsten Szene zwei Tänzer auf einer Bühne zeigend, so dass die zuvor so nah erschlossene Thematik wieder ins Ungreifbare rückt.

Unbegreiflich, in diesem überzeugenden Konzept von hohem künstlerischen Anspruch einen Bruch zu vollziehen – und zwar nicht als Element des Konzepts selbst, sondern in der Qualität. Der unter anderem in Anlehnung an Fabio Gedas „Im Meer schwimmen Krokodile“ rezitierte Text könnte eigentlich, wie Cellospiel und Tanz, ein roter Faden für die Thematik Heimat und Europa, Verlust und Ankunft, Haltlosigkeit und Wiederfinden werden. Er thematisiert ein von der Mutter verlassenes Kind, die Flucht eines weiteren Kindes durch den Iran über Istanbul nach Griechenland. Doch Thomas Kiessling, der hinter dem Vorhang sitzt, liest diesen Text so unsicher und unbeteiligt wie ein Pennäler im Deutschunterricht. Spätestens, wenn er von „Krieschenland“ spricht, durchzuckt die Ästhetik ein Moment, in dem unterdrücktes Lachen und ehrliches Bedauern sich die Waage halten.

Dieser Eindruck wird in der Folge leider aufrechtgehalten, wenn von nun an Heimat und Europa in ein zusammenhangloses Stückwerk von Szenen zersplittert, die mehr der Selbstinszenierung zu dienen scheinen und weniger einer möglichen Grundaussage des Tanzstücks, die ab sofort verlorengeht. Die beklemmend geschilderten Erlebnisse des Kindes bei dessen Flucht werden untermalt mit Melodie und Text von „Oh Haupt voll Blut und Wunden“ – sollte das Publikum nicht verstanden haben, dass das Verlassen der Heimat ein Martyrium ist, hat es dies jetzt wohl begriffen.

Die Choreographie driftet anschließend ins Schuhplatteln, als Klischee durchaus lustig überzeichnet in exzessives Schlagen seiner selbst, was letztlich unter der auf der Bühne installierten Dusche endet, nackert, deutsches Liedgut singend. Ein Brief des Vaters aus China, der Sehnsucht nach seiner Tochter hat. Schließlich die simultane Verbindung aus Tanz und Video-Aufnahme: In ausholenden, langsamen Gesten beschreibt Hannah Ma die Dimension des sie direkt umgebenden Raumes, während ihre Bewegungen unmittelbar von der Kamera aufgenommen und auf den Vorhang hinter ihr projiziert werden, zigfach vervielfältigt und in sich minimal zeitverzögert, so dass die Figur wie von einer Gruppe wiederholt in einen einzigen fließenden Bewegungsablauf übergeht, der Göttin Kali mit ihren zahlreichen Armen nicht unähnlich.

Und dann ist es vorbei. Wieso jetzt und was diese letzte Sequenz nach den Stückelungen wieder einfangen wollte oder ob überhaupt, das bleibt eine unlösbare Frage. Die vereinzelten Bravo-Rufe am Ende des Stücks erschließen sich auch nur dann, wenn man die Leistung der Tänzer und der Cellistin wie auch das Anliegen des Projekts honorieren will, das nicht einfache Thema der Heimat in einem knapp einstündigen Werk auf die Bühne zu bringen.

Hannah Ma stellt im Programm heraus, dass es ihr in der Kunst um Authentizität gehe und darum, dass sich die Künstler vor dem Hintergrund ihrer eigenen Biographie ausdrückten, um somit das Publikum zu berühren. Wenn sich jeder „mit Herzblut“ zum Ausdruck bringt, wie sie betont, dann wird jedoch in einer Gemeinschaftsproduktion deswegen nicht zwangsläufig auch eine Einheit dieser Vielfalt erreicht. Einem Facettenreichtum eine Gestalt zu geben – die freilich auch mit Brüchen spielen kann und nicht einebnen muss – ist dann die Aufgabe der Produktionsleitung. Respekt vor dem authentischen Ausdruck der agierenden Künstler endet nicht, wo man ihre Energien in Bahnen lenkt. Vielleicht beginnt er sogar erst gerade dort.

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