Und Schatten huschen vorüber

Spannende Wochen dürfte Christian Jost in Taiwans Hauptstadt Taipei erlebt haben: Hitze rund um die Uhr in einer Metropole, die niemals schläft. Für seine Einladung als Composer-in-Residence des National Symphony Orchestra Taiwan und dem Nederlandsk Philharmonisch Orkest bedankte sich der 1963 in Trier geborene Komponist Christian Jost mit einem rauschendem Orchesterwerk: „Taipei Horizon“ – Anfang Dezember bereits unter Marc Albrecht im Amsterdamer Concertgebouw uraufgeführt –, hatte am Donnerstagabend Deutschlandpremiere in der Vaterstadt des Komponisten.

TRIER. Zusammen mit Bruckners letzter Sinfonie stand Josts Orchesterwerk auf dem Programm des 4. Sinfoniekonzertes. Was für eine Paarung: Auf der einen Seite die nie fertiggestellte „dem lieben Gott“ gewidmete Sinfonie Anton Bruckners und auf der anderen die musikalischen Reiserinnerungen von Christian Jost. Baut der Romantiker Bruckner eine Brücke von Dies- zum Jenseits, will der Zeitgenosse Jost selbige vom Okzident zum Orient schlagen, althergebrachte musikalische Techniken des alten Kontinents sollen auf die Dynamik einer jungen Metropole des Ostens treffen. Doch wie tragfähig ist dieses Unterfangen wirklich? Und entsteht aus diesem Aufprall wirklich etwas reizvolles Neues? Neugierig und gespannt durfte man auf dieses Konzert im Trierer Theater also sein.

„Ich bin immer auf der Suche nach dem magischen Moment. Und dies erreiche ich nur durch ein komplexes, differenziertes Verhältnis von Struktur, Form und Klang“, sagt Jost über sein kompositorisches Credo und weiter über sein „Tapei Horizon“: „Parallel zum Erlebten komponierte ich […]. Alles, was Geist und Seele aufnahmen, sollte dort nicht lange verweilen, sondern gleich tönend umgesetzt werden.“ Was erwartet uns also in „Tapei Horizon“? Ein 360-Grad-Panorma von Taiwans Hauptstadt? Ein zutiefst persönliches Klangerleben? Was entsteht, wenn gediegene westliche Ausbildung aufs pralle Lebensgefühl unter östlicher Schwüle trifft? Das rund zwanzigminütige Werk enttäuschte. Zu plakativ, zu wenig stringent ist die musikalische Idee angelegt.

Jost spielt mit den Farben des Orchesters. Weite Klangflächen stapeln sich quer durch alle Orchestergruppen, lösen sich in rhythmischem Feuerwerk auf und formieren sich neu. Licht blitzt auf und Schatten huschen vorüber, doch eine Auseinandersetzung mit der Kultur Chinas, ein Eintauchen in die neue Welt ist hier nicht so richtig spürbar. Der Widerhall der Tage in Taipei gleicht einem Streifzug mit dem Sightseeing-Bus: Etwas Exotik rechts, ein klein wenig Spannung links. Doch das Ganze kommt zu oberflächig daher, um nachhaltig zu beeindrucken, ist nicht scharf genug gewürzt, um authentisch zu wirken. „Taipei Horizon“ wird zum Besuch im Panaroma-Turm.

Wohltuend verzichtete Christian Jost auf eine vordergründige Folklore, vorbei sind die Zeiten, da ein klein wenig Pentatonik hier, ein wenig Rhythmik dort die Exotik des Ostens entstehen ließ. Handwerklich ist das ohne Mängel, Stimmführung, Orchestrierung und Klangverteilung verraten den Routinier, und ohne musikalische Einfälle ist das Orchesterwerk auch nicht. Doch das alles ist zu belanglos, zu wenig originell, um mitzureißen. Josts Taipei-Aufenthalt rauscht wie ein Fiebertraum ohne Nachdruck vorbei. Etwas zu sagen hat er nicht. Sicher, auch Innenansichten können spannend und hörenswert sein; aber zwanzig Minuten plakativer Wohlklang sind da zu wenig. Etwas mehr Originalität hätte man sich wirklich gewünscht. Wo bleibt der Reiz des Neuen, wo ist er hin, der Zauber des Aufbruchs? Solides Handwerk wohin man hört, nicht weniger – aber leider auch nicht mehr.

Am Philharmonischen Orchester lag das nicht, wunderbar balancierte Victor Puhl sein Ensemble durch den Klangrausch der Partitur. Sorgte für die satten Bläsertöne genauso wie für die zarten Streicherlinien. Er schuf Freiräume für die einzelnen Gruppen und Linien. Der fein durchhörbare Klang öffnete die Dimensionen des Werks so gut es eben ging.

Anders dann das Bild bei Bruckners Neunter. Puhl schaffte es nicht mehr, das Orchester zusammenzuhalten. An den Rändern franste die große Sinfonie geradezu aus. Die Stimmen fielen auseinander, Bezüge gingen verloren. War die Spannung zuvor bei Jost noch zu spüren, so rissen die Bögen nun bei Bruckner. Statt eines schön abgerundeten Bildes zerfiel die Sinfonie in das Kaleidoskop vieler kleiner und bunter Facetten.

Was nach diesem Konzertabend bleibt: Die nette Erinnerung an bunte Klänge aus Taiwan und ein aufgedröselter Bruckner. Alles nett und gediegen, aber leider nicht mitreißend.

Markus Roschinski

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