Triumph des Einfachen

Fabienne Elaine Hollwege als Elisabeth in "Glaube Liebe Hoffnung". Foto: Marco Piecuch/Theater TrierMit dem Stück „Glaube Liebe Hoffnung – Ein kleiner Totentanz in fünf Bildern“, das Ödön von Horváth 1932 nach einer Darstellung des Gerichtsreporters Lukas Kristl verfasste, landeten die kooperierenden Theater Esch/Alzette und Trier einen Volltreffer. Es inszenierte der Luxemburger Charles Muller, die Premiere am vergangenen Samstagabend im gutgefüllten Großen Haus wurde mit großem Applaus bedacht.

TRIER. In einer weltwirtschaftlichen Krisenzeit musste der Betrugsfall der armen Korsettverkäuferin, bei Horváth Elisabeth genannt, prototypisch erscheinen. Eine junge Frau braucht, um arbeiten zu dürfen, einen Gewerbeschein. Um den Gewerbeschein zu finanzieren, braucht sie Einkommen, aber an Einkommen gelangt sie nur über Erwerbsarbeit. Das Modell klingt vertraut und wiederholt sich in der neueren Geschichte in mannigfachen Abstufungen. Auf dem privaten Wohnungsmarkt im Trier von heute dürfte zum Beispiel kaum jemand eine Chance erhalten, der nicht mit seinem regelmäßigen Einkommen bürgt. Erwerbsarbeit gab’s nach dem Zweiten Weltkrieg etwa nur bei Nachweis eines festen Wohnsitzes – ein Teufelskreis, dem in den schlimmsten Notjahren nur der nach staatlicher Lesart „Nazigeschädigte“ entrann.

Vorbild für das Stationendrama bildete Büchners Woyzeck-Fragment. Horváth bezeichnete es selber als einen „kleinen Totentanz in fünf Bildern“. In der Trierer Fassung beansprucht es anderthalb Stunden ohne Pause.

Und der Stoff würde auch unfehlbar ermüden und ins Monotone umschlagen, wenn, ja wenn es Ensemble und Regie nicht so packend gelänge, kräftige Farbtöne, kontrastierende Typen und gelegentlich sogar komische Wirkungen aus dem Kalamitäten-Bilderbogen herauszuziehen.

Die Luxemburgerin Fabienne Elaine Hollwege verbindet die Vorzüge einer grazilen „schutzbedürftigen“ Figur optimal mit dem blauäugigen, liebenden, zuletzt aber auch kämpferischen oder doch anklägerischen Zuschnitt der Elisabeth, die mit ihrer kleinen, zum Betrug aufgeblasenen Schummelei ihren Untergang in ihrer von kleinbürgerlichem Dünkel geprägten Umgebung besiegelt. Jan Brunhoeber als Schupo und zeitweiliger Verlobter schattiert die Entwicklungslinie vom Hoffnungsstifter über den angefetteten Macho zur feigen Socke glaubwürdig. Von einer sehr guten Gesamtleistung trennen die gute indessen ein paar sicher noch abstellbare Ungeschliffenheiten: hier eine Spur zu flotter Schritt, dort ein Einknicken der Energie vor Erreichen des Gassenendes.

Selten durfte Klaus-Michael Nix seine Stärke im Grotesken so umfassend und unaufgeregt-überlegen ausspielen wie in der Rolle des Präparators. Foto: Marco Piecuch/Theater TrierKlaus-Michael Nix legt eine zauberhaft facettenreiche Karikatur hin in der Rolle des Präparators, der aus enttäuschter Gutmütigkeit wegen einer unbewiesenen Nichtigkeit das Verfahren gegen Elisabeth in Gang setzt. Der Aufführungsbesuch würde sich schon seinetwegen lohnen. Selten durfte Nix seine Stärke im Grotesken so umfassend und unaufgeregt-überlegen ausspielen wie hier. Auf den Punkt getroffen auch seine Betrunkenheitsszene gegen Ende – bei Schauspielern ebenso beliebte wie gefährliche, weil leicht ins Überzogene abgleitende Nummer.

Äußerst plastisch prägt sich dann noch die freilich nicht ganz so umfangreiche Rolle der Frau Amtsgerichtsrat ein, die von Sabine Brandauer ganz Dame, aber mit verhaltenem Emanzenpotential, konsequent bis zum Hermetischen durchgehalten wird. Auch beim restlichen recht großen Kreis der Mitspieler gibt es farbige Einzelleistungen, aber keinen Ausfall.

Fraglos ein Verdienst der Regie. Charles Muller inszeniert eng und genau am Text, koordiniert mit Fingerspitzentakt das Ganze und entlockt den Darstellern Bestleistungen. Das funktionale Bühnenbild mit etlichen halbtransparenten Verschiebeblöcken (Helmut Stürmer) bildet eine geradezu beruhigende Kulisse, vor der sich das soziale Drama entfalten darf. Die Aufführung gerät zum Triumph einer werkdienlichen Herangehensweise ohne Faxen, Aktionismus und Allotria. Die Zwischenmusiken Beethoven, Parademarsch und weitere sind sinnfällig eingebaut.

Agiert wird in Kostümen der Entstehungszeit (Kathelijne Schaaphook), die Weißkittel mit charakteristischen Glatzenperücken.

Die nächsten drei Aufführungen: Samstag, 10. Mai, 19.30 Uhr; Mittwoch, 14. Mai, 20 Uhr; Freitag, 23. Mai, 20 Uhr.

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