Triers Piraten betreten Neuland

Der gestrige Sonntag hat historisches Potential, zumindest für die Annalen der noch jungen Parteigeschichte der Piraten in Stadt und Landkreis. Dies liegt nicht in erster Linie an einem weiteren beachtlichen Wahlerfolg und dem damit verbundenen Einzug ins nunmehr dritte Landesparlament; vielmehr hielt die Piratenpartei Trier/Trier-Saarburg fernab vom Wahltrubel in Schleswig-Holstein den bundesweit ersten dezentralen Parteitag ab und betrat damit Neuland. Deutlich wurde aber auch: Um für die Kommunalwahl 2014 gerüstet zu sein, steht dem Kreisverband der Piraten noch manche programmatische Auseinandersetzung ins Haus, und eine innerparteiliche Konfliktlinie könnte zwischen den Mitgliedern in der Stadt und denen im Umland verlaufen.

TRIER/BAUSTERT. Der erste Eindruck lässt erahnen, warum sich manche Klischees so hartnäckig halten – sie sind schlicht und ergreifend wahr. Wie auf einer LAN-Party sitzen die Parteimitglieder – 16 an der Zahl – an einem langen Tisch vor ihren Laptops und I-Pads und verfolgen gebannt und bisweilen belustigt das Geschehen. Darunter sind viele junge Leute, aber auch einige Herren im gesetzten Alter, denen es am distinguierten Benehmen vieler ihrer Altersgenossen mangelt – ein wohltuender Unterschied zu anderen Parteitagen.

Das Café Kokolores, vom Kreisverband der Piratenpartei Trier/Trier-Saarburg zum Hauptort des Parteitages auserkoren, ist kaum wiederzuerkennen. Überall winden sich Kabel um die Stuhlbeine, freie Stromleisten sind Mangelware. Mehrere Kameras übertragen die Beratungen nach Baustert in der Eifel. Dort haben sich die anderen Teilnehmer in den Räumlichkeiten eines Golfclubs versammelt und ähnliches Gerät aufgebaut. Ihr Treiben wird in Trier aufmerksam über eine Leinwand verfolgt. Im Büro des Cafés steht Johannes Thon, in der virtuellen Welt unter dem Pseudonym „Duesenberg“ bekannt, vor einem Mikrofon und koordiniert per Livechat beide Keimzellen revolutionärer Machenschaften. Trotz der komplexen Gemengelage verläuft der Parteitag aus technischer Sicht erstaunlich reibungslos. Lediglich der Ton setzt an einer der Lokalitäten hin und wieder aus. Nicht immer ist daran die Internetverbindung schuld, vielmehr sind selbst die Piraten nicht vor dem Urproblem jedes in der Öffentlichkeit getätigten Sprechaktes gefeilt: dem ausgeschalteten Mikrofon.

Piratenchef Bernd Schlömer meldet sich aus Kiel

Doch wozu wird solch immenser Aufwand betrieben? Christian Hautmann, Vorsitzender der Trierer Piraten, erklärt das Dilemma: „Wenn die Piratenpartei trotz steigender Mitgliederzahlen am basisdemokratischen Ideal festhalten will, muss sie früher oder später einen dezentralen Parteitag ausprobieren.“ Man habe auf dem vorletzten Parteitag um grünes Licht gebeten und die Zusage bekommen. Damit sind unweigerlich hohe Erwartungen verknüpft, denn schließlich könne Trier so zu einem Vorreiter auf dem Gebiet der Demokratie werden, wie Moritz Rehfeld, Schatzmeister der Partei, anmerkt. Erwartungen, die sich auch in der Aufmerksamkeit widerspiegeln, die dem Parteitag von der Basis bis zur Spitze der Piraten zukommt: Bernd Schlömer, frischgebackener Vorsitzender der Bundespiraten, meldet sich aus Kiel und lobt die Anwesenden für ihr Engagement, die daraufhin in freudige Ovationen ausbrechen. Daneben beobachten rund 100 Zuschauer das Geschehen über das Internet.

Was in Baustert und Trier funktioniert, soll in absehbarer Zeit auch auf Landes- und Bundesebene umgesetzt werden. Nach einer kurzen Diskussion über die Grenzen des Möglichen stellt Hautmann fest: Theoretisch könne man bis zu 16 Orte miteinander verlinken und über einen zentralen Versammlungsleiter koordinieren. Einwände, die auf die dann nicht mehr gegebene Unmittelbarkeit des Parteitages abzielen, lässt sein Parteifreund Rehfeld nicht gelten. Auch den traditionellen Parteitagen mangele es doch an der direkten Erfahrbarkeit. So sei das Diskussionspodium auf dem Bundesparteitag hinter der Masse an Kameras untergegangen, die Debatten habe er deshalb ohnehin über einen Bildschirm verfolgt. Ein großer Vorteil liege zudem in der Chancengleichheit, denn nicht jeder könne die Anreisekosten zu einem Parteitag stemmen. Prompt liefert Rehfeld einen Beleg für den Erfolg: Auf dem dezentralen Parteitag sei die Beteiligung mit 20 Prozent aller Mitglieder bereits doppelt so hoch, wie im Allgemeinen üblich. Doch auch wenn der Geldbeutel zweifellos entlastet wird, sollten die Teilnehmer über ein umso dickeres Nervenkleid verfügen. Denn wann immer die Verbindung zu einer Zelle abbricht, muss der Parteitag unterbrochen werden. Ein Problem, dass sich bei 16 Zellen zu potenzieren droht.

Ein Stresstest der anderen Art

Im Augenblick ist dies jedoch Zukunftsmusik, vorher gilt es dringlichere Probleme zu lösen. So ist geplant, den dezentralen Parteitag beim internen Landes- oder Bundesschiedsgericht anzufechten, um gegen juristische Einwände, die die Rechtsgültigkeit der getroffenen Entscheidungen anzweifeln, gewappnet zu sein. Aus diesem Grund steht bei dem Parteitag auch in erster Linie das Prozedere im Vordergrund, und die Anwesenden bemühen sich sichtlich darum, mit verwegenen Anträgen möglichst viele Präzedenzfälle aus der Geschäftsordnung zu kitzeln. Alle Vorgänge werden vermerkt und sollen später als wertvolles Anschauungsmaterial dienen. Ein professionelles Vorgehen, dem die oftmals herablassende Berichterstattung über die Piraten nicht immer gerecht wird.

Dennoch spielte auch die Auseinandersetzung mit inhaltlichen Themen eine Rolle, da ein kommunales Wahlprogramm bislang fehlt und die ersten Züge davon auf dem dezentralen Parteitag festgelegt werden sollten. Dabei zeigte sich schon bald, dass der Veranstaltung eine umfassendere Bedeutung zukommt als zunächst angenommen – als inhaltlicher Stresstest. Bereits die Verabschiedung der Präambel gab eine Vorahnung davon, dass den Piraten eine Konfliktlinie ins Haus steht: die Kluft zwischen Stadt und Land. Der erste Entwurf der Präambel war offensichtlich auf die Bedürfnisse der Trierer Stadtpiraten zugeschnitten und wurde dafür von den Teilnehmern aus Baustert kritisiert. Ähnliches Muster zeigte sich dann bei einem Antrag, der die Bedeutung des Tourismus für Trier hervorhebt und eine nachhaltige Senkung der Verkehrsbelastung fordert. Hier stimmten die Trierer dafür, die Bausterter dagegen. Möglicherweise deshalb, weil der Verkehr sich ohnehin seinen Weg bahnt – zur Not auch durch das ländliche Trierer Umfeld. Selbst wenn man den Beteuerungen einiger Parteimitglieder Glauben schenkt, dass die Abstimmungsverhältnisse dem Zufall geschuldet sind, wird die Partei doch einige Verteilungskämpfe austragen müssen. Dies trifft auf die Infrastrukturvorhaben ebenso zu wie auf das kulturelle Angebot. Angesichts knapper Kassen werde man eine Entscheidung darüber treffen müssen, welche Einrichtungen förderwürdig sind, bringt es eines der Mitglieder auf den Punkt.

Insgesamt stellen die Finanzierungskonzepte das bisher schwächste – und am häufigsten als Gegenargument verwendete – Element dar, wodurch die Auseinandersetzungen entfernt an die einstigen Kämpfe zwischen den „Fundis“ und den „Realos“ innerhalb der Grünen erinnern.
Diese werden den Vergleich sicher nicht gerne hören, denn die Piraten drohen ihnen den Rang als beliebteste Erstwählerpartei abzulaufen. Die Grüne Jugend Trier-Saarburg gibt sich denn schon betont angriffslustig und wirft der Piratenpartei „Ideenlosigkeit und den Hang zum Plagiat“ vor: „Wie ernst kann man eine solche Copy-Paste-Partei nehmen, wenn sie in allen wesentlichen Punkten keine eigenen Ideen einbringt?“, geht Sarah Jakobs, Sprecherin der Grünen Jugend, die neue Konkurrenz frontal an. Tatsächlich sind viele Vorschläge, die Bürgerrechte stärken und die Transparenz erhöhen sollen, bereits verwirklicht oder liegen in der Kompetenz des Landes. Bedenken, die auch ein Mitglied der Piraten äußert: „Wir machen uns lächerlich, wenn wir Dinge beschließen, die schon längst existieren.“

Es wäre jedoch unfair, den Piraten keine Selbstfindungsphase zuzugestehen. Bis 2014, wenn in Trier die nächsten Kommunalwahlen anstehen, wird noch viel Wasser die Mosel hinabfließen. Spätestens dann wird man die Piraten an ihren Inhalten messen müssen. Wenn es ihnen nicht gelingt, neue Ideen über ihre thematischen Steckenpferde hinaus zu entwickeln, könnten sich die Worte des Gründers der schwedischen Piratenpartei, Rickard Falkvinge, als Menetekel erweisen: „Wenn die Piraten Erfolg haben, lösen sie sich auf.“

Wer sich intensiver mit dem bisherigen kommunalen Wahlprogramm auseinandersetzen möchte, für den sind sämtliche Anträge der Piratenpartei – mit Anmerkungen versehen – in der sogenannten Antragsfabrik unter https://trier.piratenpad.de/Antragsfabrik? einsehbar.

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