Tonal im Rahmen

Als Auftragswerk zum 500. Jahrestag der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus im Jahr 1992 entstanden, fand nun, knapp 20 Jahre später, die deutsche Erstaufführung der Oper „The Voyage“ von Philip Glass statt. Ort des Geschehens war das Trierer Stadttheater, das damit zumindest am Vorabend des 1. Mai für überregionales Operninteresse sorgte. Dass es letztlich – bei allem Engagement der Beteiligten – ein zäher Abend wurde, dürfte Musikkenner kaum verwundert haben. Das Potenzial der Minimal Music, die in ihrem Wesen autozentristisch ist, hat nur begrenzte, nicht aber abendfüllende Reichweite.

TRIER. Die Crux von Philip Glass‘ Oper mag in der für Amerika, genauer gesagt, für die Vereinigten Staaten von Amerika so typischen Hypertrophie liegen. Statt sich eines zeitlich begrenzten Ausschnitts der Menschheitsgeschichte zu widmen, in diesem Fall das Jahr 1492, umreißt man gleich wieder eine Zeitspanne von mehreren zehntausend Jahren. Daraus nun wieder alle wesentlichen von unwesentlichen Erkenntnissen zu destillieren, dürfte ein schier aussichtsloses Unterfangen sein. Zumindest ist die Quintessenz, die der Komponist hier zusammen mit seinem Librettisten David Heary Hwang herausgefiltert hat, nicht sonderlich spannend, intellektuell sperrig und entzieht sich – wie nicht anders zu erwarten – damit einem dramaturgisch stringenten Handlungsablauf.

Dem entzieht sich auch weitgehend die Kompositionstechnik, die zum Markenzeichen von Philip Glass geworden ist: die so genannte Minimal Music. Wie der Name schon sagt, wird hier mit sparsamsten Mitteln gearbeitet. In einem scheinbar unentwegt sich wiederholenden Ablauf melodischer, rhythmischer und auch harmonischer Ostinati vollziehen sich – wenn überhaupt – nur kleinste, kaum wahrnehmbare Veränderungen. Wenn sich der Komponist auch nach seiner Begegnung mit Ravi Shankar fortan indischer statt westlicher Techniken bediente, letztlich ist er in Bezug auf seine mitunter religiös-ritualisierte Stilistik stets ein Neo-Romantiker geblieben, dessen minimalistische Kompositionstechnik spätestens seit Wagners „Rheingold“-Vorspiel wie auch Ravels „Bolero“ nichts wirklich Neues darstellt.

Musikalisch musste man also nicht wirklich zurückschrecken. Der Abend blieb sozusagen tonal im Rahmen. Valtteri Rauhalammi webte mit dem Philharmonischen Orchester der Stadt Trier einen feinmaschig dichten Teppich, handwerklich akkurat ausgeführt, vor allem bei den Chorszenen mit reichlich Flor ausstaffiert. Das teils heftige Tremolieren in den Chorstimmen gab dem Ganzen eine gewisse Authentizität, garnieren die Amerikaner selbst ihre Oratorien- und Kathedralchöre zuweilen gerne mit dieser grausam anmutenden Zutat.

Weit mehr erschaudern ließen hingegen die solistischen Gesangpartien, die in ihrer kompositorischen Anlage über weite Strecken an das „Gejaule“ im Schlusssatz von Beethovens Neunter erinnern. Geriet so der Einstieg des Solistenquartetts mit Joana Caspar, Evelyn Czesla, Svetislav Stojanovic und Carlos Aguirre als überlebende Crew eines mit der Erde kollidierten Raumschiffs gleich im ersten Akt schon zur Geduldsprobe, schienen darüber hinaus einige der Akteure – vornehmlich aus den höheren Fächern – auch noch mit der „Lizenz zum Schreien“ ausstaffiert. Trotz erhöhter Dezibel aber blieb man der Oper treu: Textverständlichkeit garantierten nur die Übertitel.

Claudia-Denise Beck meisterte trotz erkältungsbedingter Angeschlagenheit ihre Partie als Königin Isabelle ohne stimmliche Einbrüche. Ihr zur Seite stand mit Alexander Trauth als Kolumbus einer, der es verstand, den Selbstzweifel eines resigniert zu Ende gehenden Lebens mit großer Wahrhaftigkeit darzustellen. Solche Momente versöhnten.

Inszenierung (Birgit Scherzer), Bühnenbild (Knut Hetzer) und Kostüme (Alexandra Bentele) ergeben ein stimmiges Ganzes, setzten immer wieder kleine, manchmal kaum wahrnehmbare Akzente. Nicht vorhandene Handlungsräume werden durch Einsatz des Tanztheaters optisch ansprechend gefüllt.

Allein um den eigenen Bildungshorizont zu erweitern, sei jedem Opernfreund eindringlich der Besuch von „The Voyage“ empfohlen. Mindestens zwei Erkenntnisse werden im Laufe des Abends dann reifen. Eine ist sicher die, dass man erneut zu schätzen lernt, was ein Mozart, ein Verdi oder auch ein Wagner für die Opernbühne geleistet haben. Die andere ist auch nicht schwer zu entdecken. Jedenfalls wird man diese Oper so schnell auf keinem Spielplan anderer Opernhäuser mehr finden.

Weitere Aufführungen: Freitag, 6. Mai, 20 Uhr; Dienstag, 10. Mai, 20 Uhr; Samstag, 14. Mai, 19.30 Uhr; Samstag, 21. Mai, 19.30 Uhr, und Mittwoch, 25. Mai, 20 Uhr.

Print Friendly, PDF & Email

von

Schreiben Sie einen Leserbrief

Angabe Ihres tatsächlichen Namens erforderlich, sonst wird der Beitrag nicht veröffentlicht!

Bitte beachten Sie unsere Kommentarrichtlinien!

Noch Zeichen.

Bitte erst die Rechenaufgabe lösen! * Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.