Swing im Ohr, Kloß im Hals

Ein Musical über die Verfolgung von Juden im Dritten Reich, geht das? Am Donnerstagabend feierte die Tufa-Produktion „Swinging St. Pauli“ im nahezu ausverkauften Großen Saal Premiere. Regisseur Stephan Vanecek bewies bei der Inszenierung des beklemmenden Stückes viel Fingerspitzengefühl und ein gutes Händchen. Und das fast 30-köpfige Ensemble, das aus jungen Nicht-Profis besteht, bot ein hohes gesangliches und schauspielerisches Niveau. Wem Musicals bisher zu seicht waren, der könnte an dieser Aufführung Gefallen finden.

TRIER. Trier erlebt derzeit einen goldenen Musicalherbst. Das Theater könnte noch wochenlang die „West Side Story“ vor vollen Reihen aufführen, da legt die Tufa schon nach. Wer keine Karten mehr für Leonard Bernsteins Klassiker bekommen oder gerne ein bisschen mehr Tiefgang hat, dem sei „Swinging St. Pauli“ ans Herz gelegt.

In der dritten Produktion des Teams Stephan Vanecek (Regie) und Dominik Nieß (Musikalische Leitung) nach „Heiße Ecke“ und „Villa Sonnenschein“ geht es um eine Clique junger Leute, die in „Leo’s Bar“ auf dem Hamburger Kiez zusammenkommt, um zu Swing-Rhythmen das Tanzbein zu schwingen. So weit, so gewöhnlich. Doch das Stück spielt im Jahre 1941, als diese Musik verboten war.

Fritz (Lucas Heise) liebt die Sängerin Alberta Bitler (Susanne Himbert), Heini (Philipp Gonder) verliebt sich gleich zu Beginn in deren Freundin Beate (Elena Lorscheid) und auch Max (Maximilian Sobetzko) scheint nicht lange alleine bleiben zu müssen, als in dem Tanzlokal Emma (Katharina Scherer) auftaucht. Mit dem kariesverursachenden Stück „Mein Lied für dich“, das zum Schluss nochmal gesungen wird und dann eine ganz andere Wirkung erzielt, stellt sie sich dem Barbetreiber Oscar „Leo“ Leonhard (Stephan Vanecek glänzt nicht nur als Regisseur, sondern auch als charismatischer Clubbesitzer) vor. Dieser reagiert irritiert auf den Song. „Mit so einer Schnulze werden Sie am Kiez nicht weiterkommen.“ Insgeheim hat ihn das Lied aber sehr berührt. Denn sein ehemaliger Freund, der als Jude von den Nationalsozialisten getötet wurde, hat es für ihn geschrieben. Emma ist seine Schwester. Weil Leo deren Bruder nicht retten konnte, beschließt er nun, alles zu tun, um ihr zu helfen.

Die Nazis – der zunächst gütig erscheinende Obersturmbannführer Günter Hundt (Karsten Lehmann spielt diese schwierige Rolle sehr differenziert) und seine Schergen Stenzel und Straube (Simon Faust und Marco Kimmlingen) – werden bei ihrer ersten Razzia in dem Vergnügungstempel noch an der Nase herumgeführt und müssen trotz des „undeutschen Treibens“ dort unverrichteter Dinge abziehen. Die Swing Kids amüsieren sich unbekümmert weiter zu vergnüglichen Stücken wie „Doktor Fusel“ und „Schade, dass du nicht an jedem Tag im Jahr Geburtstag hast“, Heinis patente Mutter (Angelika Bucks) bringt eine Prise Ohnsorg-Theater in die Handlung und alles scheint sich aufzulösen wie in einem Heinz-Erhardt-Film. Doch die Bedrohung  nimmt schleichend zu.

Entscheidend für die Stimmung und die Wirkung von „Swinging St. Pauli“ ist, dass das Dritte Reich nicht verharmlost wird, indem Nazis parodiert werden. Selbst als einer der Hakenkreuzträger versucht, mit dem rustikalen Marsch „In meinem Herzen ist der Ackerplatz noch frei“ die ihm unbekannte Emma zu umwerben, wird dies nicht ins Lächerliche gezogen. Als Hundt „Der gute Kamerad“ („Ich hatt‘ einen Kameraden“) singt, läuft es einem kalt den Rücken herunter.

Was die Inszenierung auszeichnet, ist die für eine Laienproduktion hohe Qualität. Die Hauptdarsteller, von denen manche schon in früheren Tufa-Musicals mitgewirkt haben, singen gut und haben eine professionelle Bühnenpräsenz. Der Zuschauer wird schnell von deren Natürlichkeit, Spielfreude und Leidenschaft gepackt. So gelungen wie die Darbietung der Schauspieler ist auch die Arbeit der Bühnenbildner Eireen Bidinger und Philipp Scherer. Die Bar besteht aus einer großen Tanzfläche die rechts von einem Tresen flankiert wird. Für andere Schauplätze wird der Vorhang fast komplett zugezogen und eine mittige Platte mit Mauerwerktapete oder mit einem Ventilatorblatt vermittelt einfach aber effektiv eine Außenszene oder einen Luftschutzraum. Im hinteren Bühnenteil steht und sitzt das ausgezeichnete Tufa-Orchester, das gleichzeitig als Leos Swing-Combo und als Musicalband fungiert.

Bei „Swinging St. Pauli“ kann man viel falsch machen, da das Thema reichlich Fingerspitzengefühl erfordert. Regisseur Stephan Vanecek und sein gut eingespieltes Team haben alles richtig gemacht.

Weitere Aufführungen: 22. September, 20 Uhr; 24. September, 18 Uhr; 25. September, 20 Uhr.

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