„Suppose we’re wrong“

Hat der junge Mann – ein 16-Jähriger – seinen Vater erstochen oder nicht? Von den zwölf Geschworenen sind elf zweifelsfrei davon überzeugt, dass der Junge schuldig ist. Eine einzige Frau bleibt hartnäckig und stellt nach und nach jedes Argument in Frage, das vor Gericht vorgebracht wurde. Wird sie es schaffen, Zweifel zu säen? Reginald Roses „12 Angry Men“ – im deutschen Sprachraum bekannt unter dem Titel „Die zwölf Geschworenen“ – von Trier English Drama feierte am Dienstagabend in der Tufa Premiere.

TRIER. Die Jury muss einstimmig urteilen. Der Grundsatz lautet: „Im Zweifel für den Angeklagten.“ Elf meinen, er sei schuldig, nur eine hat Bedenken. Was steckt hinter der lapidaren Verurteilung des Jungen? Untiefen treten zutage, Vorurteile, Rassismus, Arroganz, Verletzungen. Eine ist davon überzeugt – weiß aber nicht warum -, dass der Junge schuldig ist. Eine hegt zutiefst antisoziale Ressentiments, ein weiterer – doch am besten macht man sich selbst ein Bild von der Inszenierung von Trier English Drama.

Man sitzt auf jeden Fall nah dran: Die Zuschauer blicken von vier Seiten in zwei bis drei Reihen auf den Tisch in der Mitte. An ihm sitzen die Geschworenen, nummeriert von 1 bis 12. Namen gibt es keine. Anders als im Film oder der ursprünglichen Theaterversion sind in der Tufa Frauen zu sehen. Und zwar überwiegend Frauen – den Originaltitel hat man dennoch beibehalten. Wobei man wohl prinzipiell jede Rolle – außer der des Juror No. 3 – mit einem Mann oder einer Frau besetzen könnte. Die acht Akteurinnen und vier Akteure (plus Guard, ebenfalls eine Frau) sitzen beileibe nicht nur am Tisch, sie springen auf, laufen hin und her, verlassen den Raum, bilden Grüppchen, fuchteln mit Messern herum. Sodass man, egal von welchem Punkt im Publikum, die Handlung gut verfolgen kann.

Die Figuren sind jeweils stereotype Vertreter ihrer Art und äußerst heterogen. Als hätte sich jemand überlegt, die unterschiedlichsten Repräsentanten einer westlichen Gesellschaft an einen Tisch zu bringen, um zu beobachten, was passiert. Da ist Jurorin No. 5 (Nike Larrá), die pseudo-coole bis coole Schlampe, die ein T-Shirt mit dem pinkfarbenen Schriftzug Silicon Valley über ihrem üppigen Busen trägt, Dauerkaugummi kaut und ihre extrem hohen Schuhe auf dem Tisch platziert, an dem die zwölf Geschworenen sitzen.

Oder der Baseballfan, Juror No. 7 (André Manchen), der nur sein Baseballspiel im Fernsehen nicht verpassen will, und den das Leben des Jungen (zunächst) nicht berührt. Besonders schlimm engagiert sich die republikanisch geifernde Jurorin No. 10 (Kristina Heitzer), die sehr genau weiß, dass solche Leute von Natur aus so sind und sich sowieso dauernd gegenseitig umbringen. Familie bedeutet diesen Leuten nichts, meint sie.

Als wäre er in einen Topf Asche gefallen, präsentiert sich grau in grau Juror No. 4 (Christoph Nonn), der gefühlskühle Börsenmakler. Besonders brüllt der stets wütende Unternehmer, Juror No. 3 (Thomas Wahrlich in seiner letzten TED-Produktion) – doch weshalb will er den Jungen unbedingt tot sehen? Woher seine Rage?

Juror No. 8 (Annika Toll) ist die zierliche blonde Frau, die beharrlich den Zweifel nährt – „suppose we’re wrong“ – und beweist, dass eine Person alles ändern kann. Wenn sie nur am Ball bleibt, logisch und evidenzbasiert vorgeht, Schritt für Schritt.

Laut Programmheft dient die Jury lediglich als Vehikel, um auf Größeres hinzuweisen als lediglich die Diskussion zwischen unterschiedlichen Menschen zur Schuldfrage. Es geht auch nicht nur um ein Statement gegen die Todesstrafe oder ob es einen Grund gibt, an der Schuld zu zweifeln. Sondern es geht darum, wie die Zivilgesellschaft funktioniert und wie sie funktionieren sollte.

Rose schrieb das Stück in den 1950er Jahren und sah es als Plädoyer für Toleranz und Aufgeschlossenheit. Der Schauspieler Henry Fonda machte selbst aus dem Theaterstück einen Film und übernahm den Part des radikal konservativen Juror No. 10 mit dessen rassistischen und faschistischen Ideologie.

Elke und Christoph Nonn führten Regie, und das haben sie sehr gut gemacht: Die Charaktere sind adäquat aufgebaut und ausgestattet, sie agieren (so gut wie immer) überzeugend, und trotz der ernsten Thematik mit viel Wut und Drama, mit sehr intensiven Momenten, tauchen witzige Lichtblicke auf. Das vorwiegend junge Publikum im – warum auch immer – nicht ausverkauften Großen Saal der Tufa war begeistert (bis hin zu Standing Ovations). Insgesamt soll der Klassiker selbstredend zum Nachdenken anregen. Die Inszenierung ist zuweilen sehr bewegend, erreicht damit ihr Ziel und unterhält noch dabei. Was will man mehr?! (flo)

Weitere Aufführungen: 28., 29. und 30 Juni jeweils um 20 Uhr. Reservierungen unter 06581/3082.

Print Friendly, PDF & Email

von

Schreiben Sie einen Leserbrief

Angabe Ihres tatsächlichen Namens erforderlich, sonst wird der Beitrag nicht veröffentlicht!

Bitte beachten Sie unsere Kommentarrichtlinien!

Noch Zeichen.

Bitte erst die Rechenaufgabe lösen! * Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.