Nur fliegen wär’ schöner

Melanie Zender läuft seit einigen Jahren Ultra-Distanzen, gemeinsam mit einer Freundin möchte sie nun einen Startplatz für den New-York-Marathon gewinnen. Als "Tiger-Lady" verkleidet macht sie auf die Abstimmung hierzu aufmerksam. Foto: privat.Es sind die letzten Kilometer, die die Spreu vom Weizen trennen. Dann, wenn der Kopf nicht mehr weiß, wieso der Körper angefangen hat, ist es barer Wille, der ihn nicht aufhören lässt. Melanie Zender will. Gemeinsam mit einer Freundin möchte sie im November beim New-York-Marathon antreten. Da kommt den beiden gelegen, dass ein Sportsalben-Hersteller die Kosten für Startplatz, Flug und Aufenthalt für die zwei Läufer übernimmt, die online die meisten Klicks erhalten. Noch bis Donnerstag kann für die Frauen abgestimmt werden. Endspurt also.

TRIER. „Ich hoffe mal, dass es nicht gewittert, Mel.“ Das ist das letzte, was sie am Vorabend schreibt, während der Regen gegen die Scheiben prasselt. Der nächste Tag, nur Quellwolken am Himmel, die Sonne knallt. Das Wetter auf dem Petrisberg ist wie bestellt, das Wünschen scheint zu klappen. Melanie Zender, 37 Jahre, lebt in Waldweiler im Hochwald. Bis eben hat sie als Erzieherin in einem integrativen Kindergarten gearbeitet. Nun steht sie auf dem Hof, oranges Shirt, Radlerhose, bunt gepunktetes Stirnband. „Auf geht’s.“

Zender trainiert drei Mal pro Woche, flache Strecken läuft sie entlang Radwegen zwischen Kell und Waldrach, hügelige auf dem Saarhunsrücksteig oder auf einer der Traumschleifen. Sie läuft nie unter zwei Stunden, manchmal bis zu sechs. Das war nicht immer so: In der Schule sei sie zwar gut in Leichtathletik gewesen, in ihrer Freizeit habe sie aber nur in einer Showtanzgruppe getanzt, und das mehr aus Spaß denn aus sportlichem Ehrgeiz. „Im Grunde habe ich keinen richtigen Sport gemacht, bis ich 33 war.“ Sie erzählt das, während sie läuft, die Sätze fließen. Ruhig ist ihr Atmen, während die Trampelpfade erst steil, dann noch ein bisschen steiler werden.

2009 hat sie mit dem Laufen begonnen, eine Freundin hat ihr bei einem Geburtstag erzählt, dass der Verein „Spiridon Hochwald“ in der folgenden Woche einen Kurs für Laufanfänger anbietet, an einem Montagabend im April, 18 Uhr. Melanie kam – und blieb. Schnell tauschte sie die Laufschuhe von Aldi gegen richtige Sportschuhe, es folgten: der erste Fünf-Kilometerlauf, der erste Zehner, ein Jahr später der Halbmarathon in Paris. Melanie sagt, das Laufen, das ist so unfassbar befreiend. Die Fachbücher sagen, Sport ist gut für die Gesundheit. Also lief sie weiter, schneller, öfter. 2011 hat sie einen Bekannten beim Hospizlauf von Koblenz nach Trier auf dem Fahrrad begleitet, auf dem gesamten Weg haben sie sich über Ultra-Distanzen unterhalten. Das sind alle Strecken, die länger sind als die 42 Kilometer eines klassischen Marathons. „Ich hatte Respekt vor der Strecke, aber nie Angst“, sagt sie. Sie meldete sich an für den Lauf in Sinzheim, 45 Kilometer. Ihre Zeit: 5 Stunden, 31 Minuten. Körperliche Probleme hatte sie bislang keine, wenn Knie- oder Fußgelenke schmerzen sollten, würde sie aber sofort aufhören mit extremen Distanzen.

2016 sind die 100 Meilen dran

Ja, sagt sie, natürlich könnte sie auch zehn Kilometer auf Zeit hechten. Aber sie sei eben keine schnelle Läuferin, sondern eine ausdauernde. An ihr ziehen vorbei: Wiesen mit Apfelbäumen (Tarforst), Wiesen mit Shetlandponys (Irsch). Die Kopfarbeit ist es, die sie an Strecken von mehr als 100 Kilometer Länge reizt. Beim „Kobolt“ auf dem Rheinstieg von Koblenz bis Bonn etwa hat sie auf 140 Kilometern Strecke 5000 Höhenmeter gemeistert, 29 Stunden war sie unterwegs. Sie erzählt von ihrem sechsten Start beim Hospiz-Lauf, vom Knastmarathon in Darmstadt, dass das Laufen viele der Männer wieder auf die rechte Bahn bringen würde. Davon, wie oft sie mittendrin aufhören wollte und es doch nie gemacht hat. Pfingsten dieses Jahres ist sie die „Tortour de Ruhr“ gelaufen – die Sonne brannte, die Hitze extrem, 100 Kilometer am Stück, manche gegangen, die meisten gejoggt. Der Lauf findet nur alle zwei Jahre statt. Beim nächsten Mal, 2016, will Zender die 100 Meilen (160 Kilometer) angehen.

Aber auch für dieses Jahr hat sie Pläne. Am 2. November, einem Sonntag, wenn es in Trier anfängt zu dämmern, fällt in New York für rund 50.000 Läufer der Startschuss. Der Marathon dort ist einer der bekanntesten weltweit. Er beginnt auf Staten Island im Süden und endet im Central Park. Dazwischen die restlichen Stadtteile: Brooklyn, Queens, die Bronx, Manhattan. Die Strecke führt entlang der Museen und Malls der 5th Avenue, am Stadion der Yankees vorbei, auf fünf verschiedenen Brücken über den East River. „Da ins Ziel zu kommen, ist für jeden Läufer ein Traum“, sagt Zender. Gemeinsam mit einer Freundin aus Papenburg möchte sie sich den erfüllen, die Frauen kennen sich – wie sollte es anders sein – vom Laufen.

„Tiger Ladies“ liegen gut im Rennen

Weil nicht nur die Teilnahme Geld kostet, sondern auch Flug und Unterkunft, gibt es immer wieder Firmen, die ein Gesamtpaket sponsern. Eine davon: Tiger Balm. Tiger Balm ist eine Salbe zum Einreiben bei Muskel- und Gelenkschmerzen, bei Verspannungen und Zerrungen. Bei alldem also, was einen Marathonläufer spätestens beim Erwachen am nächsten Morgen eingeholt hat. Für den New York Marathon sucht der Hersteller nun vier Läufer, die für ihn an den Start gehen – die Kosten für Startplatz, Flug und Hotel werden übernommen. Die Abstimmung hierzu biegt auf die Zielgerade, noch bis Donnerstag kann für Melanie Zender und ihre Freundin online geklickt werden. Derzeit liegen sie auf dem zweiten Platz, etwa 300 Stimmen trennen sie vom Ersten. „Wir haben natürlich Freunde und Familie mobilisiert, wir laufen aber auch in Tigerleggins, das Gesicht geschminkt, Plüschohren im Haar, um auf unser Vorhaben aufmerksam zu machen“, erzählt Zender. Und Spaß mache das Verkleiden auch.

Mittlerweile ist es merklich kühler geworden, schwer hängen die Wolken über Trier. Bald wird es regnen. Zieleinlauf auf den Hof des Kindergartens. Nur für einen kurzen Moment ist auch Zender ihren Atem los. „Es ist schön, hier in der Region zu laufen, sicherlich“, sagt sie dann. Aber nach New York fliegen zu können und dort zu starten, das wäre noch schöner. „Ich hoffe, wir schaffen es“, ist das, womit sie sich an diesem frühen Abend verabschiedet, um Zuhause doch noch eine längere Runde zu laufen. Vielleicht klappt es ja wieder, das Wünschen.

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