„Nicht mehr ausgeben, als wir einnehmen“

 Ruhezone: Wolfram Leibe tritt am 28. September an, um Oberbürgermeister für Trier zu werden. Zwischen all seinen Terminen schöpft er Kraft im Kreuzgang des Doms. Foto: Gianna NiewelEr sagt, er habe viel von der Welt gesehen und sich bewusst für Trier entschieden. Deshalb möchte Wolfram Leibe am 28. September für die SPD Oberbürgermeister der Stadt werden. Seine Trümpfe: Jahrzehntelange Führungserfahrung, ein Händchen im Umgang mit hohen Summen, Sachverstand. Sich selbst sieht der 54-Jährige vorrangig als Verwalter.

Dass Wolfram Leibe wenig dem Zufall überlassen würde, war schon im Voraus klar: Die Dame, die seine Termine plant, bestätigt das Treffen noch einmal per Mail, ein Helfer fragt telefonisch, worum genau sich das Gespräch drehen wird und wo man bei schlechtem Wetter fotografiere. Ein Glück, dass die Sonne sich immer wieder vorkämpft an diesem Tag, kein Grund zur Sorge also. Von acht bis zehn Uhr, erzählt Leibe, bereite er derzeit seine Termine vor und ja, auch ungesehen glaubt man, dass er das akribisch tut. Nun ist es elf Uhr, ein letzter Blick, der gebürtige Südbadener verstaut die Karteikarten in der Anzugsjacke.

16vor: Auf dem Weg durch die Stadt fällt vor allem eins auf: Hiltrud Zock. Sie haben sehr spät plakatiert, bis vor kurzem bestand das Programm auf Ihrer Homepage aus vagen Allgemeinplätzen – „Bildung und Kultur, Wohnen und Verkehr, Wirtschaft und Arbeit“. Sind Sie übermäßig optimistisch oder haben Sie die Wahl schon aufgegeben?

Wolfram Leibe: Frau Zock macht seit Oktober vergangenen Jahres Vollzeit-Wahlkampf, ihr Büro liegt in der Stadt. Ich habe einen anspruchsvollen Job in Stuttgart. Wir sind hier im Kern ein fünfköpfiges Team aus Freiwilligen und unser Budget ist begrenzt. Ich muss also – eine Parallele zur Situation der Stadt – mit wenigen Mitteln ein gutes Ergebnis erreichen. Auch die 18 Seiten Programm zu schreiben, gegenzulesen und online zu stellen, brauchte Zeit.

16vor: Das klingt, als sei Wahlkampf für Sie mehr Pflicht denn Kür?

Leibe: Wahlkampf ist anstrengend, keine Frage, weil man unterschiedliche Menschen und unterschiedliche Themen geballt trifft. Ganz viel, ganz schnell. Das heißt aber nicht, dass es keinen Spaß macht. Ich habe 20 Jahre Führungserfahrung und deshalb gelernt, mit Stress umzugehen, mich aber auch kritisch zu beobachten. Im Zweifelsfall balanciere ich aus.

16vor: Als Oberbürgermeister erben Sie eine Schuldenlast von etwa 700 Millionen Euro. Das dürfte nicht unbedingt Lust auf den Job machen. Wie wollen Sie damit umgehen?

Leibe: Das ist ganz einfach.

16vor: Ach ja?

Leibe: Als Oberbürgermeister kann man kurzfristig wenig ändern. Das ist einfach so. Derzeit zahlt die Stadt zehn Millionen im Jahr zurück, das sind 70 Jahre bis zur Schuldenfreiheit. Viel wichtiger als die Altlasten ist das strukturelle Defizit, das heißt, dass wir zukünftig nicht mehr ausgeben, als wir einnehmen.

16vor: Welche Weichen können Sie langfristig stellen?

Leibe: Die von der Stadt gestaltbaren Steuern können nicht mehr erhöht werden, weil sonst ein Nachteil zur Region entstünde. Ich muss also in erster Linie sparen. Zusätzlich werde ich in Mainz und Berlin auf finanzielle Entlastung pochen, also auf Geld aus dem kommunalen Finanzausgleich, aus Soziallasten, die der Bund übernimmt, und dem Entschuldungsfonds. In der Summe ermöglicht das, die Neuverschuldung zu begrenzen und gleichzeitig im Kleinen zu gestalten. Ich spiele zudem mit dem Gedanken, jemanden anzustellen, der nur und ausschließlich die Finanzen der Stadt ins Auge fasst und zur Not den Rotstift zückt. Das kann, muss aber nicht unbedingt ein vierter Dezernent sein.

„Bei Schulen Qualität vor Quantität“

16vor: Sie haben die Trierer Arbeitsagentur geleitet, derzeit führen Sie die Geschäfte der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in Stuttgart. Es dürfte außer Frage stehen, dass Sie Mitarbeiter leiten und mit höchsten Summen wirtschaften können. Auch in Trier sind haushaltsbedingt Entscheidungen gefragt – für Weniges, gegen Vieles. Was steht auf Ihrer Prioritätenliste oben?

Leibe: Wissen Sie, manchmal wäre ich gerne Oberbürgermeister in Düsseldorf: Keine Schulden, ein volles Konto, Wünsch-dir-was. So ist es hier aber nun mal nicht. Mir sind die Schulen wichtig und hier gilt Qualität vor Quantität, denn die Stadt hat pro Jahr nur zehn Millionen Investitionsmittel. Der Maßstab sollten Grundschulen wie in Tarforst sein: schöne Räume, Turnhalle, Garten. Wenn sich der Stadtrat entschließt, alle Schulen zu erhalten, bedeutet das, die Mittel fast nur in Grundschulen zu stecken, beispielsweise in Egbert. Das wäre unfair, dem HGT etwa fehlt auch Geld. Alles, und vor allem alles gleichzeitig, das geht nicht.

16vor: Trier soll – laut Zukunftskonzept – eine Stadt werden, in der man auch gerne arbeitet. Gerade junge Menschen kommen zwar zum Studieren her und es werden Fachkräfte geschult, viele ziehen aber nach dem Studium oder der Ausbildung weiter. Wie wollen Sie das ändern?

Leibe: Um sich etwa erfolgreich selbstständig zu machen, reicht eine gute Idee allein nicht aus, es braucht einen Zugang zum Markt und vor allem professionelle Begleitung. Ein kostengünstiges Modell wäre, dass Menschen, die bereits auf eigenen Beinen stehen, ihr Kapital zur Verfügung stellen und mit ihrer Erfahrung Neugründern helfen. In Stuttgart klappt das bereits.

16vor: Nun haben sich die Neugründer für Trier als Arbeitsort entschieden, wollen vermutlich sogar hier wohnen. Dort erwartet sie: eine schwierige Wohnungssuche und hohe Preise. Das sind nicht unbedingt Aushängeschilder für eine Stadt.

Leibe: In der Tat. Wir müssen die Hausbesitzer in der Altstadt ansprechen, denn über den meisten Läden stehen Wohnungen leer, und sie überzeugen, erst Geld in die Hand zu nehmen, um dann vermieten zu können. Gleichzeitig müssen wir neue Flächen als Bauland erschließen.

Der Stadt selbst gehören etwa 700 Wohnungen, die Kosten für deren Sanierung werden im Wohnraumkonzept mit einem zweistelligen Millionenbetrag kalkuliert. Da ist der Oberbürgermeister als Lobbyist für die Stadt im besten Sinne gefragt. Ich denke, die Wohnungen lassen sich mit Landes- und Bundesmitteln sanieren. Da sie nur mit unseren Steuermitteln saniert werden können, möchte ich sie in eine städtische Wohnungsbaugesellschaft einbringen.

16vor: Nicht nur junge Menschen und Familien wollen unterkommen, auch die älter werdende, pflegebedürftige Bevölkerung stellt einen Oberbürgermeister vor Herausforderungen.

Leibe: Betreutes Wohnen und Altersheimplätze, da wird mir in Trier nicht bange. Die Herausforderung sehe ich bei den Pflegekräften. Die verdienen in Luxemburg mehr, viele Frauen arbeiten aber gerne nur Teilzeit. Das ist in Luxemburg schwer möglich ist, außerdem macht dafür Pendeln kaum Sinn. Ein Drittel bricht die Ausbildung im ersten Jahr ab, die, die abschließen, bleiben durchschnittlich fünf Jahre im Beruf. Die Überlegung aus Sicht der Stadt muss also sein: Wie können wir Interessierte im Beruf halten?

16vor: Und, wie gelingt das?

Leibe: Natürlich habe ich Ideen, wie ich mich seit Jahren beruflich damit beschäftige. Aber das würde ein Fachvortrag werden. Zusammenarbeit unter den Einrichtungen ist wichtig.

„Den Taktverkehr der Busse verdoppeln“

16vor: Ein weiteres relevantes Thema ist der Verkehr. Was ändern Sie kurzfristig?

Leibe: Ich möchte statt günstigerer Tickets den Taktverkehr der Busse verdoppeln und den Fahrplan in der Frühe und nachts erweitern – etwa 60 Prozent des Verkehrs ist innerstädtisch, der würde damit entlastet.

16vor: Wie stehen Sie zum Moselaufstieg?

Leibe: Von mir ein klares Nein dazu. Es kann noch dauern, bis der Bund das Projekt auf Wirtschaftlichkeit geprüft hat. Ich befürchte, dass in der Zwischenzeit andere, kleinere Vorhaben nicht bezuschusst werden, weil die Kostenträger erst einmal abwarten. Dabei hat jeder Stadtteil eine Baustelle, die es anzugehen gilt.

16vor: Stichwort Baustelle – wann waren Sie zuletzt im Theater?

Leibe: (überlegt) Ich denke es war „Hair“.

16vor: Werden Sie als Oberbürgermeister zukünftig in einem Neubau Stücke sehen?

Leibe: Das ist eine Frage von Kosten und Nutzen, was ist wirtschaftlich sinnvoll? Aus dem reinen Stadtetat lässt sich ein Neubau jedenfalls nicht finanzieren, wir müssten also private Partner finden oder uns um Projektmittel aus Berlin bemühen. Ich bevorzuge eine dritte Lösung: Die Zusammenarbeit mit der Landesregierung, da haben wir als Stadt einen verlässlichen Partner.

16vor: Welche Rolle spielt für Sie die freie Kulturszene?

Leibe: Ich verspreche, den Kostenzuschuss für die freie Szene auf 50.000 Euro zu verdoppeln. Das ruiniert den Haushalt nicht, zeigt ihnen aber, dass sie willkommen ist.

16vor: Sie waren zu Besuch im Frauenhaus, auf der Eurener Kirmes, dem Olewiger Weinfest. Auf Facebook danken Sie der AIDS-Hilfe für den „super leckeren Zwetschegenkuchen“. Wie viel Bürgernähe bleibt nach dem 28. September?

Leibe: Gerade bin ich viel unterwegs und spreche mit Menschen. Wenn es Probleme gibt, erwarte ich aber auch, dass die Bürger zu mir kommen – oder sich an den jeweiligen Ortsvorsteher wenden. Der wiederum soll im Rathaus einen direkten Ansprechpartner haben, damit die Wege zu mir kurz sind.

16vor: Wie geht es weiter, wenn Sie die Wahl verlieren?

Leibe: Ich habe einen tollen Job in Stuttgart. Natürlich wäre ich enttäuscht, weil ich um das Amt kämpfe und mich darauf freue, Oberbürgermeister für Trier zu sein. Aber ich bin kein Berufspolitiker – meine Existenz hängt nicht vom Wahlerfolg ab.

Das Interview mit Hiltrud Zock finden Sie hier.

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