Mut zur Herz-Schmerz-Operette

Mit der 1924 im Theater an der Wien uraufgeführten „Gräfin Mariza“ konnte der ungarische Komponist Emmerich Kálmán an den Welterfolg seiner „Csárdásfürstin“ anknüpfen. Das zwischen turbulenter Komödie und gefühlvollem Melodrama pendelnde Stück, das viermal verfilmt wurde, erhält seine besondere Wirkung aus der folkloristischen Färbung der Musik – ungarische Rhythmen und Zigeunerklänge machen den Charme dieses Klassikers aus. Noch bis zum 21. April ist „Grafin Mariza“ in der Inszenierung von Klaus-Dieter Köhler im Trierer Theater zu sehen.

TRIER. Die schöne und reiche Gräfin Mariza will zahlreichen lästigen Mitgiftjägern entfliehen und täuscht eine Verlobung mit einem von ihr erfundenen „Baron Koloman Zsupán“ vor. Zu ihrer Überraschung erscheint auf der Feier auf ihrem transsylvanischen Landgut tatsächlich ein Herr dieses Namens. Bei Mariza knistert es aber ab der ersten Begegnung mit ihrem Gutsverwalter Bela Törek, der in Wirklichkeit der verarmte Graf Tassilo ist und inkognito für seine Schwester Lisa eine Mitgift zusammensparen will.

Tassilo schreibt einem Freund, dass er nur wegen der Mitgift für Lisa auf dem bedrückenden Posten ausharren will. Der Gräfin gelangt dieser Brief in die Hände und sie glaubt, auch ihr „Verwalter“ habe es nur auf ihr Geld abgesehen, zumal sie die Zuneigung zwischen Tassilo und Lisa als Liebesbeziehung missinterpretiert. Nach einem Eklat zwischen Gräfin und Tassilo erscheint (als dea ex machina) Tassilos Tante: Sie hat alle Schulden beglichen und führt die standesgemäß einander entsprechenden Mariza und Tassilo zusammen. Baron Zsupán hat sich unterdessen in Lisa verliebt, und auch dieses Paar findet zusammen.

„Gräfin Mariza“ ist eines der erfolgreichsten Werke von Kálmán (eigentlich: Koppstein Imre), ja, eine der erfolgreichsten Operetten überhaupt. Das Werk enthält etliche bekannte Ohrwürmer.

Kálmáns musikalische Qualitäten werden vielfach unterschätzt: Nach einer krankheitshalber abgebrochenen Ausbildung zum Klaviervirtuosen trat er im Alter von 18 Jahren in die Kompositionsklasse Hans Kösslers an der Budapester Musikakademie ein, übrigens als Kollege von Bartók und Kodály. Kössler selbst war neben seiner Verehrung für Brahms ein besonders für die Männerchor-Literatur bedeutender Komponist. Beides hatte auf Kálmán wichtigen Einfluss. Er konnte als Gewinner des Franz-Joseph-Preises in Budapest Bayreuth besuchen. Der große Erfolg seiner humorvollen Kabarett-Gesänge führte ihn aber zur leichten Muse.

In Kálmáns Werken hat der Chor eine gesteigerte Bedeutung, während die Tanzelemente gegenüber anderen Operetten-Klassikern etwas zurücktreten. Er hatte auch bezüglich seiner Texte Gespür für Qualität und für das Geschäft: Nach dem großen Erfolg der „Czárdásfürstin“ (uraufgeführt 1915 in Wien) versuchte er, den Texter Alfred Grünwald ausschließlich für sich zu gewinnen. Dieser lehnte zwar ab, war aber – gemeinsam mit Julius Brammer – weiterhin für Kálmán tätig, so auch für die 1924 uraufgeführte „Gräfin Mariza“.

Kálmán wurde 1933 von den Nationalsozialisten auf die Liste unerwünschter Komponisten gesetzt. Obwohl 1934 über seine Werke in Deutschland ein Aufführungsverbot verhängt wurde, erschien noch im selben Jahr eine Verfilmung seiner „Czárdásfürstin“. Kálmán war wie seine Librettisten Brammer und Grünwald bis zum Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich (1938) in Wien tätig. Als Juden mussten dann alle drei emigrieren.

Kálmáns bekannteste Werke greifen stark auf die Zigeunermusik zurück. Der heute wegen Political Correctness verpönte Ausdruck „Zigeuner“ ist bei Kálmán unvermeidlich: So hieß eine seiner ersten Erfolgsoperetten „Der Zigeunerprimas“, und auch in der „Mariza“ gibt es die berühmten Liedertexte „Komm Zigány“ oder „Höre ich Zigeunerklänge“. Gottlob hat man am Trierer Theater nicht umgetextet und nur im Programmheft statt von „Zigeunern“ von den „Gemeinschaften der Roma“ gesprochen. Musikalisch enthält die „Mariza“ eine abwechslungsreiche Mixtur aus „Zigeunerklängen“ und wienerischem Melos, angereichert auch mit neuerer Tanzmusik.

Die Inszenierung besorgte Klaus-Dieter Köhler, in Trier seit langem bekannt – in früheren Jahren unter anderen als Oberspielleiter des Schauspiels und Stellvertreter des Intendanten. Als nunmehriger Freiberufler arbeitet er in Schauspiel, Jugendtheater, Revuen, Musicals und eben auch Operette. Für Trier hat er unter anderem mehrere Operetten inszeniert, zuletzt 2010 den „Graf von Luxemburg“.

Bei Operetteninszenierungen ist es ein gängiges Problem, dass sich die meisten Regisseure für das „altmodische“ und „kitschige“ Genre genieren und die Stücke bis zur Unkenntlichkeit „bearbeiten“. Besonders zu fürchten sind historisch-politische Reminiszenzen, so etwa Erinnerungen an die (Gestapo-)Verfolgung der jüdischen Autoren. Köhler hat mit Recht den Unterhaltungscharakter betont und nur eine passable Distanzierung vorgenommen. Er stellt das Stück in eine Rahmenhandlung, die der Filmkomödie „Nachts im Museum“ entspricht: Ein Museumsbesucher wird versehentlich eingeschlossen und erlebt zur „Geisterstunde“, dass Statuen von ihren Podesten herabsteigen und die Geschichte rund um Gräfin Mariza darbieten. Trotz dieser meines Erachtens durchaus entbehrlichen Rahmenhandlung bekennt sich Köhler im Kern zur Herz-Schmerz-Operette – und das ist gut so, andernfalls soll man überhaupt die Hände von solchen Werken lassen.

Bei überzeugender Personenführung gibt es zahlreiche mehr oder weniger witzige Zutaten, die zum Großteil beim Publikum gut ankommen. So wird (mit Textanpassungen) viel aus anderen Operetten zitiert, etwa der Kellner Sigismund aus dem „Weißen Rössl“ oder Zsupáns „Schweinespeck“ aus dem „Zigeunerbaron“; auch wird – dem Schauplatz Transsylvanien gemäß – der Dracula-Mythos bedient. Das Bühnenbild (Thomas Gruber) und die Kostüme (José Manuel Vazquez und Carola Vollath) sind üppig und dabei geschmackvoll.

Die musikalische Leitung liegt in den Händen des neuen Trierer Ersten Kapellmeisters Joongbae Jee – keine leichte Aufgabe für den Einstand! Die Operette wird in ihren musikalischen Schwierigkeiten oft unterschätzt. Das Ergebnis ist achtbar. Von der Gestaltung her ist dem Dirigenten zuzustimmen, dass er insbesondere bei den gefühlvollen Stellen recht mäßige Tempi wählt, freilich erhöht das die Anforderungen an die Sänger. Solisten, Orchester und der anspruchsvolle Chor werden gut koordiniert.

Sängerisch beginnt die Aufführung schwach: Sowohl die Sängerin der jungen Zigeunerin Manja (Silvie Offenbeck) als auch teilweise die Piroschkas drücken zwecks Stimmvergrößerung und produzieren dabei ein Riesen-Tremolo und recht unsaubere Intonation – weniger wäre mehr.

Im Folgenden bessert sich die Lage aber wesentlich: Joana Caspar als Gräfin Mariza besitzt eine kräftige, insbesondere auch höhensichere Stimme, die sogar noch bei gleichzeitigem Forte des Chors deutlich zu hören ist. Dass man sie bei manchen Parlando-Stellen in der für einen Sopran unangenehmen tiefen Mittellage wenig hört, ist dem Komponisten anzulasten, der vielleicht Vorbildern Richard Strauss oder Puccini nacheifern wollte, aber zu dick instrumentierte. Frau Caspar besitzt auch eine gute Bühnenerscheinung und punktet schauspielerisch, wenn sie sich trotz stolzen, ja blasierten Gehabens als Gesellschaftsdame immer mehr der vermeintlich nicht standesgemäßen Liebe öffnet. Insgesamt eine überzeugende Operettendiva!

Den Verwalter Bela Törek – in Wahrheit Graf Tassilo – gibt Svetislav Stojanovic mit beeindruckender darstellerischer Eleganz. Er singt auch gut textverständlich mit klarem, hellem Tenor. Leider bewältigt er die Höhen nur mit Kraftanstrengung; über die extreme Höhe, die noch dazu teilweise ein Piano verlangt, muss er sich hinwegmogeln. Speziell im ersten Akt hätte der Dirigent da durch raschere Tempi helfen können.

Das „zweite Paar“ (Zsupán und Lisa) ist mit Luis Lay und Evelyn Czesla besetzt. Lay bringt für den Tenor-Buffo alles Wünschenswerte mit: Er singt mit schönem Timbre, im allgemeinen auch mit genügend Volumen; wenn er in der Tiefe an seine Grenzen stößt, bleibt er angenehm locker. Hinzu kommt ein spritziges und witziges Spiel eines charmanten Spaßvogels, der doch auch als schüchterner Verliebter berührt. Frau Czesla befriedigt sängerisch eingeschränkt: Sie liefert zwar alle Töne richtig ab, hätte aber für die Rolle des jungen Mädchens ihren reifen Sopran eher zurücknehmen und nicht quasi der Diva Konkurrenz machen sollen.

Kleinere Rollen sind bei Michael Höhler, Lászlo Lukácz und Ferry Seidl in guten Händen. Von der Regie wird Lukácz Gelegenheit zu (gekonnter) Komödiantik gegeben. Besonderes musikalisches Vergnügen bereitet der Geiger Jakub Hanisz als Zigeunerprimas auf der Bühne. Dass er und nicht die Alternativbesetzung spielt, erfährt man (wie übrigens auch für den vergessenen Museumsbesucher) aus dem Programmheft allerdings nicht. Es würde doch kaum etwas kosten, wenn das Trierer Theater das Publikum mit einem Einlagezettel informieren würde.

Chor und Extrachor mit ihren bei Kálmán großen Aufgaben wurden von Angela Händel musikalisch erstklassig einstudiert. Leider ist aber vom Text – wie auch manchmal bei den Solisten – wenig zu verstehen. Man sollte überlegen, auch bei einer Aufführung in deutscher Sprache bei den Musiknummern eine Übertitelung zu geben (bei Wagner-Opern ist diese Praxis auf dem Vormarsch).

Da neben der Statisterie auch das Tanztheater (Choreographie: Jean-Pierre Lamberti) und das Schauspiel (in Gestalt von Angelika Schmid) vorzüglich zum Abend beitragen, soll wieder einmal ein Plädoyer für das Drei-Sparten-Theater abgegeben werden. Trier sollte trotz Sparzwängen alle drei Sparten aufrechterhalten.

Dieter Rückle

Am 26. Januar hatte „Gräfin Mariza“ Premiere in Trier. Besucht wurde die Aufführung am 3. Februar, auf die sich die berichteten Eindrücke beziehen. Weitere Aufführungen im Februar: Heute, 16 Uhr (mit Kinderbetreuung); Samstag, 16. Februar, 19.30 Uhr; Mittwoch, 20 Februar, 20 Uhr; Samstag, 23. Februar, 19.30 Uhr.

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