Metropolis im Kopf

Das "Metropolis" stellt einen neuen LED-Rekord in Trier auf. Foto: Michel ThielIn einem Trierer Online-Stadtführer heißt es: „Die Geschichte hat Trier auch heute noch fest im Griff.“ Man fragt sich nur, welche. Die spätantike Blüte der Metropolis Trier ist längst vorbei, die Kultur frisst ihre eigenen Kinder und heutzutage braucht’s nicht mal mehr einen karthagischen Feldherrn, damit ein Angriff mit Elefanten misslingt. Dementsprechend stellt sich die Frage, ob neue Vergnügungsstätten und vor allem monumentale Namensgebungen der Stadt zu neuem Glanze verhelfen können. Vergangene Woche eröffnete im ehemaligen „Forum“ der Club „Metropolis“. Ein Dissen-Diss von Anne Schaaf.

TRIER. Da Trier schon einige hundert Jährchen nicht mehr als Mittelpunkt der westlichen Welt angesehen werden kann, wagte ich eine kleine Schnellassoziationsrunde zur Namensgebung des neuen Clubs mit mir selbst und gelangte zu folgenden Schlüssen:

1. Der Bezug zur Heimatstadt von Superman kann nicht gemeint sein. (Obwohl ich sehr viel drum gäbe, Guildo Horn mal in Leggins, Body und Umhang zu sehen.)

2. Für eine Anlehnung an einen expressionistischen Stummfilm klingt das Konzept irgendwie zu laut. (Und der Klub der [verwöhnten] Söhne fristet sein Dasein ja ohnehin schon in den hoch angesiedelten „Ewigen Gärten“ gegenüber der Glockenstraße.)

3. Es kann keinen direkten Bezug zu den mindestens 20 anderen Clubs geben, die den gleichen Namen tragen. (Im österreichischen Behamberg angesiedelten „Metropolis“ kann man nämlich beispielsweise auch übernachten.)

Da ich also alleine nicht weiterkam, beschloss ich, einige Schritte auf dem noch sauberen Clubboden zu wagen.

Direkt nach dem Betreten des ehemaligen „Franzosen-Kinos“ fühlte ich mich an zwei große Werke der deutschen Literatur erinnert. Zum einen musste ich an den Titanic-Artikel über das hauptstädtische „Berghain“ denken, welcher mit der Bemerkung „Gute Laune und Nudelsalat sind mitzubringen“ abschloss. Zumindest Letzteres trifft nämlich für die hiesige, schicke Partyhöhle nicht zu, da im hauseigenen Schnellrestaurant dem Heißhunger, der die Partygänger aller Völker vereinigt, gefrönt und die Nobel-Pommes gepriesen werden darf.

Nachdem ich die Eingangshalle hinter mir gelassen und den Hauptraum erreicht hatte, fühlte ich mich, als würde der werte Schiller seine Hand sanft auf meine Schulter legen und eines seiner wohl größten Werke rezitieren: „Frisch Gesellen, seid zur Hand. / Von der Stirne heiß, / Rinnen muß der Schweiß.“ (Die neue Lüftungsanlage war wohl so heiß diskutiert worden, dass sie kurzerhand ausfiel.) Die Größe der Getränkekarte war dementsprechend wohl ein Meisterstreich, denn sie wurde in jeder Ecke des Clubs als Fächer genutzt.

Schiller beschloss, nicht von meiner Seite zu weichen und fuhr fort: „Soll das Werk den Meister loben, / Doch der Segen kommt von oben.“ Damit hatte er in einem doppelte Sinne recht, denn einerseits unterhielten die etlichen, an der Decke befestigten Laser jene Sprösslinge, denen der Spielplatz ihrer Eltern doch zumindest die Möglichkeit bot, mit den grünen Lichtquellen ein wenig Fangen zu spielen. Anderseits war die mit dem Schriftzug „Vip Area“ verzierte, wie eine güldene McDonalds-Essecke anmutende Galerie der einzige Ort, an dem man tief durchatmen und zumindest nicht an der Hitze, sondern wenigstens an einer Überdosis süßlichem Parfüm ersticken konnte.

Ich freute mich sehr darüber, festes Schuhwerk gewählt zu haben, da die prunkvoll dekorierten (und gefühlt 50 Zentimeter größeren) weiblichen Gestalten um mich herum zwar besser zur pompösen Innenausstattung (vom nationalen Teleshopping-Helden höchstpersönlich) des Clubs passten, jedoch konstant erhebliche Staus auf den stufigen Pfaden hin zum sanitären Himmelreich verursachten.

Beeindruckt zeigte ich mich durch die größte Clubleinwand und die höchste Ansammlung an LED-Installationen, die diese Stadt zu bieten hat. Als Hommage an die ursprüngliche Nutzung des Ortes kann Ersteres jedoch wahrscheinlich nicht gelten, da die französischen Soldaten sich damals wohl eher weniger in die Hindenburgstraße begaben um Energie-Drink-Werbung zu schauen. Die damals wie heute auch noch knapp gekleideten Damen auf dem Bildschirm werden da wohl schon eher ihren Geschmack getroffen haben.

Nachdem ich durch wiederholtes Nachfragen bei verschiedensten Angestellten vergeblich versucht hatte, herauszufinden, wie der Herr hinter den virtuellen Plattentellern heißt, begriff ich erst, dass dieses kleine Mysterium sowie auch das geplante Musikprogramm eigentlich fast schon philosophisch anmuteten. Da nämlich freitags „Rhythm ’n‘ Beat mit etwas House“ und samstags „House & Electro mit etwas R&B“ (für jene Leser, die nicht vom Fach sind: das eine ist Quatsch mit Soße und das andere Soße mit Quatsch) laufen soll, wurde mir klar, dass hier frei nach Victor Hugos „Musik ist das Geräusch, das denkt“ agiert wird, damit niemand Anderes sich dieser Anstrengung hingeben muss.

Volles Haus bei der Vorpremiere in der vergangenen Woche. Foto: Michel ThielIch beendete meine Erlebnis-Tour mit einer kleinen Raucherpause im dunstigen Separee und freute mich über die Wege der Sprachentwicklung. Es ist wenig überraschend, dass, wenn Spielplatzwärter zu „Playgroundmanagern“ werden, man auch einen Hamsterkräfig mit Tapete vom bereits genannten König der Dauerwerbesendungen als „smokers lounge“ bezeichnet. Die Wandverzierung ist sehr raffiniert gewählt, da auf den ohnehin gelben Krönchen eine weitere Gelb-Schattierung gar nicht weiter auffällt. Falls für das Kämmerlein noch eine Security eingeteilt werden sollte, wird diese sicherlich trotz regelmäßigen Einlassstopps von den Gästen zum Mitarbeiter des Jahres gekürt.

Als ich jenen Ort verließ und mich fragte, was mir (abgesehen von Sauerstoff und der Antwort auf die Frage nach der Berechtigung der Namenswahl) denn nun fehlte, erschloss sich mir recht schnell, dass ich sowohl die persönliche Note als auch ein gewisses Maß an Kreativität vermisste. Es ist nicht so, als hätte ich das Bedürfnis, mit den wirklich freundlichen und engagierten Inhabern ein persönliches Teekränzchen zu veranstalten, aber ein Club ohne eigen- und einzigartige Ecken und Kanten ist steril und langweilig. Eine Horde Menschen, eine Möglichkeit, um Geld auszugeben, ein bisschen Hintergrundmusik und das Ganze dann noch ohne Fenster – das bekomme ich auch in den Einkaufszentren dieser Stadt.

Bezüglich des Kreativitätsbegriffs lerne ich an ebensolchen Orten immer wieder dazu. Niklas Luhmann hatte nicht unrecht, als er annahm, dass Kreativität nichts Anderes als demokratisch deformierte Genialität sei. „Die Dreiheit neu / bedeutend / überraschend bleibt erhalten, aber die Ansprüche werden abgesenkt“ heißt es bei ihm, und die Ströme an Gästen, die in der scheinbar neuen Umgebung (die letztlich das neue alte „Forum“ bleiben wird) auf ein Neues den Traum vom Leben jenseits der Provinz träumen, bestätigen dies.

Zu guter Letzt löste sich das Mysterium um die Namengebung doch noch auf: Man gedenke auf feierliche Art und Weise dem gleichnamigen ehemaligen Club im Rotlichtmilieu von Luxemburg-Stadt. Dementsprechend bestätigt sich einmal mehr: Wo es keine wahrhaftige, physische Metropolis gibt, schafft man eine kollektive Vorstellung von dem, was einem in der Realität verwehrt wird.

Anne Schaaf

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