„Man, what are you doing here?“

SebastianMatzSebastian Matz ist tot. Eine Nachricht, die mich am Mittwochabend erreichte; eine Erkenntnis, die sich im Lauf des Donnerstags in mir ausbreitete; eine Tatsache, die ich mich am gestrigen Freitag immer noch weigere, als solche anzuerkennen. Aber ich muss, denn es ist wahr. Meine Gefühlslage springt im Minutentakt zwischen Trauer, Wut, Ratlosigkeit und kompletter Leere. Ein Nachruf auf Sebastian Matz von seinem Freund und Bandkollegen Tom Rüdell.

Ich kannte ihn knapp sieben Jahre, was uns verband war Musik, was uns zusammengeschweißt hat, war die Tatsache, dass wir beide mehr (er) oder weniger (ich) unbeschadet aus einem Himmelfahrtskommando namens „Chat Noir“ rausgekommen waren. An dem Tag als ich ihn kennen lernte, zählte er, ohne damit zu prahlen, auf, wie viele Auftritte er in den letzten sieben Tagen gespielt hatte. Es waren sieben. Er war schon damals gut im Geschäft und stand trotzdem noch ganz am Anfang. Nach der „Piano Bar“ kam die Arbeit an seiner Soloplatte unter dem Namen matz., nach der immer ausverkauften Wilhelm-Busch-Revue mit Michael Ophelders kamen „Die Professoren“ – für mich sein opus magnum – und seine Arbeiten fürs Theater. Es kamen Gigs, Gigs, Gigs. Und dann kam letzten Sommer der Krebs, der ihn am Mittwoch endgültig fertig gemacht hat.

Sebastian hat mich in der Zeit, als es mir nach beruflichem und privatem Misserfolg dreckig ging, gefragt, ob ich für ihn Bass spielen wolle – er wolle endlich mal seine Platte fertig machen, und das mit den „Professoren“ wäre als Idee ja auch viel zu gut, um es liegen zu lassen. Ich war überrascht: er kannte mich nicht als Bassisten, außerdem würden nach einem Anruf von ihm diverse Szenehengste von Trier bis Köln bei ihm Schlange stehen. Aber er bestand darauf.

Was folgte, war sensationell. Er eröffnete mir, dem übefaulen Autodidakten mit dem passablen Gehör, eine neue musikalische Welt. Wir suchten und fanden Mitstreiter, um seine Ideenflut in Form zu bringen. Wir standen schon nach wenigen Monaten auf der Bühne – nach harter Probenarbeit, die sich nie wie Arbeit anfühlte, manchmal acht Stunden am Stück. Und mit jeder Stunde fühlte man den Fortschritt. Die Stimmung war bestens. Sebastian war ein großartiger Bandleader, trieb an, führte und ließ auch mal laufen – alles im richtigen Moment. Dabei war er gleichzeitig ein ebenso großartiger Chaot, der ständig Gefahr lief, sich in seinen vielen Projekten zu verzetteln – ein Grund, warum die matz.-Platte immer angekündigt war, aber nie kam; ein Grund, warum die Professoren nur vier Konzerte spielten.

Die Krankheit war ein Schock, erst recht, als sie zurück kam. Und keiner genau wusste, was passieren würde. Sebastian kämpfte, und der Krebs kämpfte zurück. Und gewann.

Davon will ich nichts mehr wissen. Ich sitze hier und habe schönere Erinnerungen.

Zum Beispiel wie er eines Morgens im menschenleeren „Chat Noir“ auf dem Petrisberg am Flügel saß, den wunderschönen Elvis-Costello-Song „The Sharpest Thorn“ spielte und hinterher, wieder völlig ohne Prahlerei, zu mir sagte, dass dieser Song einen Akkord enthält, den nicht viele Pianisten beim ersten Versuch raushören könnten. Wir kannten uns damals noch nicht lange, aber ich wusste: den wirst Du lieben – weil er einen obskuren Costello-Song spielen kann und selbst weiß, wie ungewöhnlich das ist. Wie er an gleicher Stelle einmal 18 Stunden am Stück Klavier spielte – weil er es konnte. Wie er am Kornmarkt, als Witwe Bolte verkleidet, mit Michael Ophelders die berüchtigte und immer ausverkaufte Busch-Revue spielte. Einmal sagte eine Besucherin anschließend zu mir: „Das Stück war etwas dünn, aber das Mädchen am Klavier war hervorragend.“ Ich erklärte: „Das Mädchen ist 37.“ In diesem Moment kam er in voller Montur vom Herrenklo zurück. Das fanden wir saukomisch.

Und meine persönliche Lieblingsstory, über die ich auch in Zeiten tiefster Trauer immer noch laut lachen muss: In einer Kneipe in Berlin-Steglitz. Wir sollen dort abends spielen, sind gerade angekommen. Eddie, der Wirt, hat aufgesperrt und musste nochmal weg. Ein Tontechniker, der Eddie nicht persönlich kennt, kommt rein, um die Anlage aufzubauen. Sebastian, der Eddie vorher auch knapp verpasst hat, betritt die Kneipe. Beide, Tontechniker und Pianist sehen sich an, fragen: „Bist Du Eddie?“, verstehen aber den jeweils anderen falsch, „Ich bin Eddie“. Und weil sie sich, typisch für zumindest den Pianisten, nicht zugehört haben, vermuten beide für lange Sekunden, der jeweils andere sei Kneipenwirt in Steglitz. Und nennen sich gegenseitig Eddie.

Diese Geschichten fühlen sich an wie aus einem anderen Jahrtausend. Sebastian ist tot, und in mir ist ein Loch, da wo mal Platz für Musik war. Ich würde so gerne, wie in einem ordentlichen Nachruf, sagen: Er hinterlässt einen reichen Fundus an großartiger Musik. So als wäre er Frank Zappa. Oder Elliott Smith oder Jeff Buckley oder Kurt Cobain. Leider ist das nur bedingt richtig. Sebastian nimmt diesen Fundus mit. Ja, man kann seine Kindermusicals noch aufführen. Und den TBB-Fansong bei jedem Heimspiel laufen lassen. Aber die Projekte, für die ich ihn am meisten geliebt und bewundert habe – seine unverschämt cleveren Arrangements für die Professoren, seine nie fertig gewordene Solo-Platte, seine spontanen und doch immer gleichen Piano-Bar-Spielereien – sind mit ihm gegangen. Diese Lücke ist nicht zu schließen.

Print Friendly, PDF & Email

von

Schreiben Sie einen Leserbrief

Angabe Ihres tatsächlichen Namens erforderlich, sonst wird der Beitrag nicht veröffentlicht!

Bitte beachten Sie unsere Kommentarrichtlinien!

Noch Zeichen.

Bitte erst die Rechenaufgabe lösen! * Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.